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Vom Versuch nicht „verrückt“ zu werden – Teil 1: Ein ganz normaler Tag

Geschätzte Lesezeit: 13 Minuten

Ich erwache. Mein Bett ist nass geschwitzt und ich fühle mich nicht wirklich gut. Doch ich muss aufstehen. Ich muss zur Arbeit gehen. Nur ein Moment noch liegen bleiben. Mir fallen die Augen wieder zu.

Ich schrecke hoch, mein Blick sucht die Uhr, verdammt, eine halbe Stunde lang lag ich jetzt noch im Bett. Es verging Zeit, die ich bei meiner Morgenroutine eigentlich nicht habe. Ich stehe schnell auf und merke, wie der Schlafanzug an mir klebt. Warum habe ich letzte Nacht nur so viel geschwitzt? Es war doch eigentlich eine kalte Nacht. Habe ich vielleicht schlecht geträumt? Ach, ich verschwende schon wieder meine Zeit mit meinen nicht zielführenden Gedanken. Schnell unter die Dusche, frische Sachen anziehen und eine rudimentäre Morgentoilette absolvieren. Was sagt die Uhr? Noch zehn Minuten, bis die S-Bahn fährt. Okay, das schaffe ich noch. Schnell die Jacke und die Schuhe anziehen und ein Brötchen auf die Hand. Jetzt nur nicht das Portemonnaie mit der Fahrkarte vergessen und los geht es.
Ich laufe zügig zur S-Bahnhaltestelle und komme gleichzeitig mit der S-Bahn an. Einsteigen, hinsetzen und durchschnaufen, geschafft. Jetzt noch etwas Musikhören. Doch als ich meine Jacke und meine Hose abtaste, stelle ich fest, dass ich sowohl mein Smartphone als auch meine Noise-Cancelling-Kopfhörer vergessen habe. Na gut, dann muss es halt mal einen Tag ohne gehen.
Ich schließe die Augen und versuche einfach etwas zu entspannen, doch von Haltestelle zu Haltestelle steigen mehr Menschen ein und es wird lauter und lauter. Ich frage mich, ob es jeden Morgen so laut ist. Wahrscheinlich. Ich bekomme es aber anscheinend sonst nicht mit, da ich eigentlich immer meine Noise-Cancelling-Kopfhörer in den öffentlichen Verkehrsmitteln trage, egal ob ich Musik höre oder etwas lese.
Ich schaue auf meine Uhr. Noch 20 Minuten bis zu meiner Zielhaltestelle. Ich merke, wie ich unruhig werde. Ich merke, wie der Lärm meine Nerven strapaziert. Der Lärm wird von Minute zu Minute unerträglicher für mich.
Ich atme tief durch und schaue mich in der S-Bahn um. Gibt es vielleicht einen ruhigeren Platz, den ich bis zum Aussteigen aufsuchen kann? Vielleicht weiter vorn? Nein, da hört ein Jugendlicher laut mit seinem Smartphone Musik. Vielleicht etwas weiter hinten, in der Mitte der S-Bahn? Nein, da hält sich eine Frau ihr Smartphone einen halben Meter vors Gesicht und plärrt laut in es, sowie in die S-Bahn hinein. Vielleicht ganz hinten? Ich drehe mich um. Nein, da auch nicht. Da hört auch jemand laut mit seinem Smartphone Musik.
Panik steigt in mir auf. Meine linke Hand fängt an zu zittern. Ich muss hier raus. Ich stehe auf, drücke mich an den anderen Fahrgästen vorbei zur Tür. Ich stehe an der Tür und überlege, ob ich aussteigen soll. Wie viele Haltestellen noch? Noch vier! Tief durchatmen, das schaffe ich noch. Noch drei! Es steigt eine Gruppe Jugendlicher ein, einer hält sein Smartphone in der Hand und lässt darüber auch laut Musik laufen. Die Gruppe Jugendlicher stellt sich neben mich. Ich schaue sie an und presse hervor: „Könntest du bitte die Musik ausmachen, das ist ein öffentliches Verkehrsmittel und es möchte nicht jeder deine Musik hören.“ „Eh, du Depp, du hast uns gar nichts zu sagen! Willst du paar aufs Maul!“ ist die einzige Erwiderung, die ich auf meine Frage hin bekomme, worauf hin ich meinen Kopf schüttle und als sich die Tür das nächste Mal öffnet, aussteige. Es geht einfach nicht mehr.
Ich überlege, wie ich zur Arbeit komme und beschließe kurz entschlossen zu gehen. Die Strecke beträgt gute zwei Kilometer und die müsste in weniger als einer halben Stunde zu schaffen sein. Ich verlasse die S-Bahnhaltestelle und laufe durch die morgendlichen Straßen, wobei meine Nerven langsam wieder zur Ruhe kommen und auch meine Hand aufhört zu zittern. Was ist nur mit mir los, dass ich in den letzten Tagen so auf meine Umgebung reagiere.

Ich erreiche meine Arbeitsstelle. In der Umkleide treffe ich einen Kollegen, mit dem ich etwas quatsche und Späße mache, wodurch auch die letzte Anspannung, die ich in der S-Bahn verspürte, verfliegt. Besserer Stimmung gehe ich zu mir ins Büro, schalte die Kaffeemaschine ein und lasse sie mir einen Kaffee bereiten. Als die Maschine den Kaffee bereitet hat, verdünne ich ihn mit der doppelten Menge Haferdrink und setze mich an meinen Arbeitscomputer, wobei ich auch mein Dienstsmartphone einschalte, das ich immer zum Feierabend in meinen Rollcontainer lege.
Wie jeden Morgen an meinem Arbeitscomputer öffne ich als Erstes mein E-Mail-Postfach, und während sich die E-Mails aktualisieren, verliere ich mehr und mehr die Lust, sie zu lesen. Innerhalb eines Tages, wobei eher von fünfzehn Stunden, wurden mir 37 neue E-Mails geschickt. E-Mails zur Kenntnisnahme, die ich nur überfliege, bevor ich sie in die verschiedenen Ordner in meinem Postfach verschiebe, mit denen ich zumindest versuche, so etwas wie Ordnung zu halten. Ferner erhielt ich einige E-Mails, für deren Beantwortung ich am Computer verschiedene Dinge heraussuchen muss, die ich nach und nach abarbeite. Doch gänzlich schaffe ich es nicht, denn schon klingelt mein Dienstsmartphone und ein Kollege ruft an, dass er mir doch vor zwei Stunden eine Einladung zu einem Meeting geschickt habe und ich gefälligst kommen solle. Ich erinnere mich vage an die E-Mail, aber der Termin war doch erst um zehn Uhr. Verdutzt schaue ich auf die Computeruhr und stelle fest, dass ich schon drei Stunden am Computer sitze und vor lauter Heraussuchen der angefragten Informationen gar nicht merkte, wie die Zeit verging. Ich beeile mich, zu dem Meeting zu kommen.

Das Meeting ist wieder so ein Meeting, bei dem viele Leute viel Arbeit verteilen und selbst nichts machen wollen. Immer wieder fallen Sätze wie „Du musst das machen.“, „Das ist deine Aufgabe.“, und viele ähnliche, und mein Hinweis, dass das zeitlich bei mir gar nicht mehr geht, wird mit dem Hinweis abgewickelt, dass ich das mit meinem Vorgesetzten klären soll, da er mich der Arbeitsgruppe zugewiesen habe. Aber mein Hinweis, dass die Zuweisung nur in beratender Funktion war und nicht als einer, der alles überprüfen, technologisch bewerten und auch noch die Gewerke koordinieren soll, wird mit der Bemerkung abgetan: „Das glaubst du doch wohl selbst nicht!“ Woraufhin ich wieder Wut in mir aufsteigen spüre und auch wieder meine Hand zu zittern anfängt. Ich beschließe nichts mehr zu sagen und höre einfach nur noch zu, wobei ich merke, dass sich einige Mitarbeiter der Arbeitsgruppe im Klein-Klein verrennen, da noch nicht einmal die Rahmenparameter vollständig geklärt sind.
Schließlich ist das Meeting vorbei und ich deaktiviere den Flugzeugmodus, den ich zu Beginn des Meetings auf meinem Dienstsmartphone aktiviert hatte. Acht verpasste Anrufe haben sich in der Stunde des Meetings angesammelt, wovon vier von der gleichen Rufnummer sind. Anscheinend etwas Dringendes. Ich überlege, ob ich gleich zurückrufen soll, doch ich entscheide mich dagegen. Erst einmal mein verpasstes Frühstück nachholen und zumindest eine Kleinigkeit essen. Doch noch bevor ich zehn Schritte gegangen bin, klingelt mein Dienstsmartphone. Ich gehe ran. „Hey, wo bist du? Wir haben hier eine Störung und kommen nicht weiter. Kannst du schnell vorbeikommen und schauen, ob du den Fehler findest?“ „Lass mich kurz etwas essen, bevor ich komme, okay?“ „Das wäre sehr ungünstig, denn wenn wir noch viel länger stehen, müssen wir die vorgelagerten Anlagen abschalten.“ „In Ordnung, ich komme.“, sage ich und gehe zu der Maschine, wo mein Kollege Dienst tut, da ich weiß, was es für einen Rattenschwanz es hinterherzieht, wenn wir unsere Hauptmaschine abstellen müssen.
An der Maschine warten sowohl der Anlagenfahrer, der zuständige Instandhaltungsmeister, der Produktionsverantwortliche als auch der Elektroniker auf mich. „Endlich! Schau mal, ob du den Fehler findest.“ Worauf ich frage, wobei ich selbst merke, dass ich richtig genervt bin: „Dann sag doch erst einmal, was das Fehlerbild ist.“ „Es geht nichts mehr!“, ist die Antwort, die ich bekomme. Ich setze mich vor den Computer mit dem Steuerungsprogramm und frage noch einmal: „Was genau geht nicht.“ „Na, halt gar nichts!“ Ich stütze meinen Kopf auf meinen Händen auf und massiere mir mit meinen Handballen die Stirn: „Andere Frage, was wolltest du gerade machen?“ „Na, das sieht man doch, die Anlage neu starten.“ Ich schaue ins Programm, was für Bedingungen für einen Neustart der Anlage fehlen, und sehe, dass laut Programm noch ein Handventil offen ist, das eigentlich geschlossen sein sollte. Ich schaue den Anlagenfahrer an und frage: „Hast du mal das Handventil kontrolliert, ob es zu ist.“, wobei ich auf die Bezeichnung des Ventils und seine Kreisnummer zeige. Auf meine Frage hin sehe ich, wie sich die Augen des Anlagenfahrers weiten und er meint: „Oh, das hatte ich ja für die Reinigung geöffnet.“ bevor er aus der Warte verschwindet. „Wenn das die Ursache ist, sollte es doch eine Fehlermeldung geben!“, schnauzt mich der Produktionsverantwortliche an, worauf ich mich an die Bedienstation setze und mir das Archiv mit den Störmeldungen ansehe. Tatsächlich gab es eine. Doch der Anlagenfahrer hatte sie quittiert, wodurch sie in die Passivliste rutschte und nicht mehr in der Aktivliste stand. Während ich auf die Liste sehe, kommt der Anlagenfahrer wieder in die Warte und fährt die Anlage ohne Probleme an.
Ich stehe auf und möchte gehen, worauf der Elektroniker, der erst vor wenigen Monaten ausgelernt hatte, sich bei mir bedankt. Er meint noch: „Ich hatte gefragt, ob sie alle Ventile und Störmeldungen überprüft haben und sie haben das bejaht und da ich mich in dem Steuerungsprogramm noch nicht so gut auskenne und meine Kollegen auf Schulung sind, habe ich halt dich angerufen.“ Ich sehe ihn an und meine: „Kein Problem, doch eins kannst du dir merken: ‚Traue keinem!‘ Egal, was sie dir erzählen, was sie schon gemacht oder nicht gemacht haben, traue ihnen nicht und überprüfe es selbst noch einmal. Ich habe das auch selbst auf die harte Art, bei Bereitschaftseinsätzen, lernen müssen. Bei Bereitschaftseinsätzen, bei denen man mich des Nachts aus dem Bett klingelte und meinte, dass ich auf Arbeit kommen müsse, weil ‚Nichts‘ mehr ginge und sie alles schon probiert hätten. So kam ich rein, suchte Stunde um Stunde, fragte nach, nur um am Ende noch einmal mit den einfachen Dingen, die sie angeblich schon selbst gemacht hatten, anzufangen. Die Fehler waren häufig Zylinder oder Ventile, die nicht in der richtigen Position waren, weil sie beim Bereitschalten nach Wartungsarbeiten einfach vergessen oder, aus welchen Gründen auch immer, auf Handsteuerung genommen wurden.“
Ich schaue auf meine Uhr und sehe, dass auch bald das Mittagessen in der Kantine vorbei ist. Ich verlasse die Warte und beeile mich, zu ihr zu gelangen, während mein Dienstsmartphone bereits wieder klingelt, aber dieses Mal ignoriere ich es. Ich habe Hunger und eine Pause mehr als nötig!

Die letzten Jahre hat sich etwas in unserer Kantine getan und es gibt, obwohl es eine recht kleine Kantine ist, eigentlich immer etwas Veganes. Das gestaltet sich gelegentlich etwas schwierig, da es standardmäßig nur zwei Gerichte gibt und der Koch von der Dachgesellschaft zum Teil die Menüpläne vorgegeben bekommt. Doch der Koch, mit dem ich gut klarkomme, nimmt das sportlich und wenn bei den beiden Gerichten nichts Passendes dabei ist, bereitet er häufig noch einen „Tipp des Tages“ zu, sodass es dann doch noch ein veganes Gericht gibt. Ich finde es nett und der Küchenchef meint, dass ihm das Kochen für uns Veganer noch Spaß mache, da er da experimentieren könne, während die übrigen Gäste eigentlich immer das Gleiche wollen. So kann er damit rechnen, dass die Kantine voll besetzt ist, wenn er Schnitzel, Pizza, Lasagne oder Käsespätzle macht. Sollte er aber an diesen Gerichten etwas ändern, gäbe es nur Gemoser, während er bei uns halt ausprobieren und uns um unsere Meinung fragen könne. Um es kurz zu machen, ich habe den Eindruck, dass die zwei Veganer in unserer Firma, die in die Kantine essen gehen, sein Alibi sind, um aus der Routine auszubrechen, um auch einmal etwas kreativ tätig zu werden.

Meine Kollegen, mit denen ich gerne Mittag esse und plausche, stehen gerade auf, als ich mich mit meinem Tablett zu ihnen setzen möchte. Na gut, dann halt alleine und in Ruhe essen. Ich setze mich hin und beginne langsam und bedächtig zu essen.
Plötzlich setzt sich jemand gegenüber von mir hin und ich blicke von meinem Teller auf. Mir gegenüber hat sich mein Bereichsleiter gesetzt. Er grüßt mich kurz, bevor er anfängt, mir verschiedene Probleme und seine Lösungen zu schildern. Mein Gott, ich habe Pause und möchte nur einen, nur einen klitzekleinen Moment Pause vom Arbeitsgeschäft haben. Da ich aber gegenüber dem Bereichsleiter nicht unhöflich sein möchte, höre ich ihm zu und nicke gelegentlich, da er einen Hang zum Monologisieren hat, wenn man ihn nur sprechen lässt, ist das ausreichend. Während ich ihm so beiläufig zuhöre, fällt mir wieder ein, warum ich auch gern mit meinen anderen Kollegen essen gehe, denn dann setzt sich der Bereichsleiter seltenst dazu, da er dann nicht zu Wort käme.
Schließlich habe ich aufgegessen und ich mache mich wieder auf zu meinem Arbeitsplatz, schließlich warten noch unbearbeitete und unbeantwortete E-Mails auf mich.

An meinen Arbeitsplatz angekommen sehe ich meine Kaffeetasse mit dem Kaffee-Haferdrink-Gemisch, von der ich nicht mal ein Drittel getrunken habe, und ich frage mich, wie viel ich heute überhaupt getrunken habe. Und mir fallen nur die paar Schlucke aus meiner Kaffeetasse ein. Na, gesund ist das nicht. Ich nehme einige große Schlucke aus der Kaffeetasse und wende mich den E-Mails zu.
Zeit vergeht und schließlich kommt der Feierabend. Ich fahre meinen Computer herunter und mache mich auf den Weg zur S-Bahnhaltestelle, wobei es mir etwas davor graut, dass es vielleicht so wie heute Morgen wird. Doch als die S-Bahn kommt und ich einsteige, stelle ich fest, dass sie fast komplett leer ist und keiner irgendwelchen lautstarken Beschäftigungen nachgeht, was sich auch auf der weiteren Fahrt nicht ändert.

Schließlich komme ich zu Hause an und lege mich erst einmal auf mein Sofa, um nur einen kleinen, einen klitzekleinen Moment auszuruhen. Doch dieser Moment ist mir nicht vergönnt, denn ich höre von meinem Esszimmertisch, auf dem ich mein Smartphone vergessen hatte, es schellen. Ich stehe auf und nehme den Anruf entgegen. In der Leitung ist mein Vater, der fragt, ob bei mir alles in Ordnung sei, da ich den Familienchat verlassen habe, worauf ich erwidere, dass es einer von vier verschiedenen Familienchats gewesen sei und ich ihn verlassen hätte, da ich die entsprechende App gelöscht habe. Worauf er verständnislos fragt: „Warum denn das?“ Und ich ihm mühsam erkläre, dass es mir einfach zu viel wurde und man nicht mehrere Apps zum Chatten auf einem Smartphone bräuchte. Schließlich legt er beruhigt auf und ich lese mir die anderen Meldungen auf meinem Smartphone durch. Sechs Anrufe in Abwesenheit, wobei die meisten Anrufer auch noch eine SMS schrieben, warum ich denn diese oder jene Gruppe verlassen hätte. In meiner verbleibenden Chatapp lese ich die Nachrichten von drei Bekannten, die sich beschwerten, dass ich ihnen bisher nicht geantwortet habe, wobei bei einem Bekannten die erste Beschwerde bereits eine Stunde nach seiner Nachricht kam. Man, woher kam nur diese übertriebene Erwartungshaltung, dass man sofort reagieren soll?
Ich beantworte die Nachrichten eine nach der anderen, wobei ich denke, dass es doch möglich sein sollte, auch mal nicht erreichbar zu sein, schließlich ging das früher auch, wo es nur Festnetztelefone gab oder man gar noch Briefe schrieb. Während ich so über die Erwartungshaltung nachdenke, fällt mir auf, dass ich in der digitalen Kommunikation bisher zwei Extreme erlebte. Das eine Extrem, dass innerhalb kürzester Zeit eine Antwort erwartet wird, und dem Adressaten nicht einmal ein, zwei Tage für eine Antwort eingeräumt werden, denn Mobiltelefonempfang und Zeit, um einem zu antworten, hat ja der Adressat immer. Pah, dass ich nicht lache. Da spielt schon wieder die Erwartungshaltung eine Rolle, nach der man selbst das Zentrum des Universums ist, und sich alles um einen dreht. Vielleicht sollte ich doch nicht immer mein Smartphone mitnehmen und die Leute dahingehend erziehen, dass man halt auch mal nicht erreichbar ist. Ob das meine Bekanntschaften überlebten?
Das zweite Extrem, das mir auffällt und dem ich schon häufiger begegnet bin, ist das sogenannte „Ghosting“, also das Verhalten, dass bestimmte Personen gar nicht mehr antworten, egal, wie viel Zeit man ihnen gibt und auf welchen Wegen man versucht, in Kontakt mit ihnen zu treten. Man schreibt und fragt und es kommt keine Antwort. Manchmal geht das gar so weit, dass man gar an sich selbst zweifelt. Manch einer dieser Personen begegnete ich dann aber bei Treffen mit Freunden und als ich sie darauf ansprach, warum sie denn nicht antworteten, kamen Antworten wie: „Ach, das habe ich vergessen.“ und ich dachte „Fünfmal?“. „Ich hatte keine Zeit zu antworten.“, und ich dachte: „Aber du hättest kurz schreiben können, dass du keine Zeit oder keine Lust mehr an unserer Bekanntschaft hast, aber scheinbar war dir selbst dafür deine Zeit zu kostbar.“ Doch was mir auch bei diesen Antworten auffällt, man denkt wieder nur an sich, nicht was das Fehlen einer Antwort mit dem anderen macht. Die Person ist sich wieder selbst der Nächste. Kann denn so ein Verhalten normal sein?

Bei diesen Gedanken werde ich traurig. Wann ist nur aus dem „Wir.“ aus Sätzen wie „Wir schaffen das.“, „Wir finden eine Lösung.“ „Wir sind die Veränderung, die wir selbst wollen.“ Das „Ich“, „Mir“ und „Meine“ in den Sätzen: „Ich will das!“, oder „Ich will das nicht“, „Mir steht das zu!“, „Meine Zeit ist kostbarer als deine.“, geworden? Wie möchte man, wenn das „wir“ gar nichts mehr zählt, die Welt noch voranbringen und zum Positiven verändern? Ich weiß es nicht.
Deprimiert mache ich leise Musik an, um mich von meinen Gedanken abzulenken und lege mich auf mein Sofa, wo ich alsbald erschöpft einschlafe.

Published inErzählungen