Zum Inhalt springen

Vom Versuch nicht „verrückt“ zu werden – Teil 9: Eifersucht und Schüchternheit

Geschätzte Lesezeit: 5 Minuten

Es ist Samstagabend und ich habe mich doch noch dazu durchringen können, mich mit einigen Freunden und Freundinnen zum gemeinsamen Kochen zu treffen. Ein Abend, um abzuschalten und zu versuchen, jegliche politische Diskussionen zu umfahren. Der Abend beginnt auch vielversprechend und zu meiner Freude ist auch eine Freundin da, die ich sehr mag. Eine Freundin, die ich fast zu sehr mag.
Beim Kochen und Essen sprechen wir etwas miteinander, und ich fühle mich gut. Doch das endet, als ein weiterer Gast verspätet eintrifft. Der neue Gast ist raumfüllend, zieht gleich jedes Gespräch an sich und so auch das Gespräch, das ich mit der Freundin führe. Ohne Unterlass wechselt er von Thema zu Thema, bringt sie zum Lachen und drängt mich aus dem Gespräch heraus, sodass ich bald nur noch stumm da sitze und zuhöre.
In diesem Moment beginnt sich ein nagendes Gefühl in meiner Brust auszubreiten. Ein Gefühl, das ich seit meiner Schulzeit nicht mehr verspürte. Ein Gefühl, das ich eigentlich nie wieder fühlen wollte, da es, objektiv betrachtet, keinem etwas Gutes bringen kann. Es ist das Gefühl der Eifersucht.
Langsam atme ich tief ein und aus, um die Eifersucht zu verdrängen, doch ein kleines nagendes Gefühl bleibt. Wie bei einem Kabelbrand schwellt es in mir. Es ist zum verrückt werden. Ich kämpfe mit dem Gefühl und möchte mich ablenken, mit anderen Anwesenden ein Gespräch führen, doch da ich im Smalltalk nicht bewandert bin, brechen die Gespräche immer wieder nach kürzester Zeit ab, so dass ich wieder still da sitze, den Gesprächen lausche und die Menschen beobachte. Das passive Zuhören gelingt mir so lange, bis der verspätete Gast vertraulich seinen Arm um die Freundin legt, die ich sehr mag, und sie vertraulich zusammenrücken. Ach, wie gerne hätte ich das mal getan, doch ich hatte mich nie getraut. Manch einmal hatte ich gar den Eindruck, dass die Freundin mit Gesten und Anspielungen genau darauf hinaus wollte, doch traute ich meinen Gefühlen nicht und so unterließ ich es. So kam es, dass wir über die Jahre einfach eine vertraute Freundschaft führten.
Ich stehe auf und sage den Gastgebern, dass ich etwas Bewegung bräuchte und einen kleinen Spaziergang unternähme. Gesagt, getan und während ich so durch die nächtlichen Straßen laufe, verfluche ich mich selbst. Mich, der aufgrund seiner Schüchternheit nie die Initiative ergriffen hat. Der immer nur da saß und hauptsächlich beobachtete. Der weder besonders witzig noch charmant ist, sondern einfach freundlich, zurückhaltend und häufig da, wenn man ihn mal braucht. Fast wie ein altes Möbelstück oder das berühmte fünfte Rad am Wagen, also das Ersatzrad.
Wie gerne hätte ich die Freundin, die ich so mag, in die Arme genommen. Wie gerne mit ihr mehr Zeit verbracht. Doch den Mut, etwas zu sagen, hatte ich nie gehabt, denn was wäre, wenn sie Nein sagte.

Ich komme an einer Parkbank vorbei, die an einem kleinen Teich steht. Ich setze mich und blinke in die finstere Nacht. Ich frage mich, was ich denn erwartete. Ich, der keine Aufregung verspricht. Ich, der versucht sachlich zu diskutieren und vor Witzen und Späßen Angst hat, da sie leicht verletzend wirken können. Ich, der seine Fragen und Antworten dreimal überlegt, um ja nichts falsch zu machen, aber der dabei unnötigerweise Chancen und Zeit vergehen lässt. Wahrlich, eigentlich kann ich nur mir selbst die Schuld geben, da ich nie etwas fragte oder sagte, sondern mich von meinen Ängsten leiten ließ.
Könnte mir gelingen, das zu ändern? Wahrscheinlich nicht. Dafür bin ich zu alt und ich werde nie eine Person sein, die unbeschwert auf fremde Menschen und in bestimmten Momenten vertrauten Personen zugehen kann. Doch was bleibt mir dann? Mich damit abfinden, dass raumergreifende Gockel, mit Imponiergehabe, die Gespräche kapern? Zusehen, wie sie an manchen Abenden eine Frau nach der anderen angraben, bis sie eine finden, bei der sie verweilen können.
Wahrscheinlich ja, ich muss mich damit abfinden, wenn ich nicht nur zuhause sitzen möchte. Ich muss mich damit abfinden, wenn ich nicht schlagfertiger werde und meine Worte nicht immer mit Bedacht wähle. Aber bin ich dann noch ich? Bin ich dann noch die Person, die ich all die Jahre war? Nein, ich wäre nur noch ein schemenhaftes Abbild meiner selbst und ob ich mir dann noch in die Augen schauen könnte? Wohl eher nicht.
Also einfach das Beste daraus machen. Freundlich bleiben und darauf hoffen, dass doch eine Frau, mit der ich gut klarkomme, den ersten Schritt macht.

Das gedacht, mache ich mich wieder auf dem Rückweg zu den Gastgebern des Abends. Dort angekommen sehe ich die Freundin, die ich sehr mag, an den Kerl angekuschelt und ich verspüre wieder einen Stich. Doch ich ignoriere ihn, stattdessen schau ich in die Rund, die überall in kleinen Gruppen verteilt sitzt, wobei einige in kleinen Grüppchen sitzen und quatschen und andere allein sitzen und vor sich hin starren, und frage, ob jemand Lust hätte ein Gesellschaftsspiel zu spielen, wobei ich eine kleine Auswahl aus meinem Rucksack hole. Tatsächlich finden sich einige, die mitspielen möchten, und so spielen wir für mehrere Stunden und ich werde von meiner Eifersucht abgelenkt.
Schließlich ist es Zeit, zu gehen, und ich verabschiede mich von den noch Anwesenden. Als ich zu der Freundin komme, die ich sehr mag, umarme ich sie etwas länger als sonst und überlege, ob ich etwas sagen soll. Ich merke ihren Körper an meinen, und ihr vertrauter Duft steigt mir in die Nase. Doch der Moment vergeht, denn schon merke ich, wie sie ihre Arme von mir löst und so flüstere ich nur: „Pass auf dich auf.“, was sie nur mit einem „Du auch.“ quittiert, bevor ich mich auf den Heimweg mache.

Schon wieder habe ich mir nichts getraut. Betrübt gehe ich nach Hause, und obwohl ich versuche nicht an die Freundin, die ich so sehr mag, zu denken, wandern meine Gedanken ständig zu ihr. Es ist wie beim Spruch: „Denk nicht an einen rosa Elefanten.“, und sofort denken alle an ihn, aber woran sollte man auch sonst denken.
Während ich so an die Freundin denke, steigt wieder Eifersucht auf den Kerl, der den ganzen Abend mit ihr anbandelte und mit dem sie in kürzester Zeit so vertraut wurde, in mir auf. Ich muss sagen. Die Eifersucht ist wirklich ein scheiß Gefühl.

Schließlich komme ich zu Hause an, mache mich bettfertig und lege mich hin. Einfach schlafen. Einfach alles verdrängen. Doch es gelingt mir nicht. Immer wieder wandern meine Gedanken zu der Freundin, zu ihrem schönen Lächeln, zu ihrem angenehmen Duft und dem Gefühl, das ich verspürte, als ich sie zum Abschied umarmte. Doch dann kommt plötzlich der Kerl, reißt uns auseinander und verbirgt sie vor mir.

Wie soll ich so nur Schlaf finden?!

Published inVom Versuch nicht „verrückt“ zu werden