Es stellte sich leider heraus, dass ich der Freundin wirklich einen Kuss gestohlen hatte. Andere anwesende Bekannte bestätigten mir das und meinten, dass sie ganz verwundert darüber waren, dass ich so ein Verhalten an den Tag legte, da das gar nicht zu mir passen wollte. Ich versuchte auch mich bei der Freundin zu entschuldigen, doch auf meine Nachrichten antwortete sie nicht und zufällig sehen, tat ich sie auch nicht.
Was das Monster betrifft, so ist es zurück und ob ich jetzt im Traum oder im Wachen mit ihm Zwiesprache gehalten hatte, ist erst einmal irrelevant. Ferner stellte ich fest, dass es damit recht hatte, dass ein neuer Kampf mit ihm noch schwerer als der erste würde. Der Grund dafür ist, dass es wirklich schwer ist, es von der Nahrungsversorgung abzuschneiden. Überall im Internet und in den sozialen Medien stolpert man über Artikel, in denen Influencer erklären, wie man am besten Frauen abschleppt, gerade so, als wären sie Objekte. Doch nicht nur das, darüber hinaus findet man auch Tipps dazu, was ein Mann tun und lassen muss, um Frauen zu imponieren. Es ist wie aus dem Lehrbuch der klassischen Ehe des neunzehnten Jahrhunderts, was die selbst genannten Manfluencer und Pick-up-Artists da online verbreiten.
Früher wechselte man seinen Freundeskreis, wenn man merkte, dass er einem nicht guttut und was macht man heute? Dem Internet kann man nicht aus dem Weg gehen, zu tief ist es in unserem Leben verwurzelt und so trifft man mehr oder weniger zwangsweise in ihm auf solche Posts und Artikel. Man kann zwar die Kontaktflächen und Zeiten reduzieren, indem man wenig Zeit auf sozialen Medienplattformen verbringt, doch selbst auf Nachrichtenseiten begegnet man diesen Themen.
Was das Monster betrifft, so freut es sich natürlich über solche Artikel und Posts, und da es aus irgendeinem Grund ein verkappter Dichter ist, gibt es immer, wenn ich über solche Nachrichten und Post stolpere, das folgende Gedicht zum Besten:
Geld macht dich interessant,
Ewig hast du das verkannt.
Im Internet kannst du es jetzt nachlesen.
Los, ändere endlich dein Wesen!
Doch das Monster in mir erhält seine Nahrung nicht nur durch die männlichen Influencer, nein, auch teilweise Frauen füttern es. Am stärksten bekommt es Futter von sogenannten „Tradwives“, die die klassische Ehe zelebrieren, in dem sie zeigen, was sie alles zuhause machen, während ihr Mann sie finanziell aushält. Man gewinnt den Eindruck, dass sie Zuneigung und Liebe gegen finanzielle Sicherheit tauschen. Doch wo bleibt da die Romantik? Die Begegnung auf Augenhöhe? Wenn alles mehr oder weniger nur darauf hinausläuft: „Der Mann sichert die Frau finanziell ab, die sich dann um den Haushalt und die Kinder kümmert und darüber hinaus die schönsten Sachen shoppen geht, um gut auszusehen.“
Ebenso begegnet mir immer mehr und immer stärker das Mansplaining, bei dem Männer davon ausgehen, dass Frauen in bestimmten Bereichen weniger als sie wissen und sie es deshalb von einem „Mann“ erklärt bekommen müssten. Es ist zum aus der Haut fahren. Man könnte glatt meinen, dass es sowohl die Zeit der Aufklärung, der Romantik, als auch der Gleichberechtigung nie gegeben hat, so wie ihre Errungenschaften im Internet und durch die Menschen, die sie sich die klassischen Rollenbilder zu eigen machen, infrage gestellt werden. Warum wollen nur so viele Menschen die Uhr zurückdrehen?
Das Monster in mir lacht natürlich über meine Bedenken und mir wird bewusst warum. Der Grund dafür ist, dass der gesellschaftliche Fortschritt in dem Moment zum Stillstand kam, in dem sich ein Großteil der Bürger nicht mehr wertgeschätzt und überfordert fühlte. In dem Moment, in dem sie sich fragen mussten, wer oder was sie überhaupt sind. Hauptsächlich die Männer. Früher war der Mann als Familienoberhaupt und Ernährer in einer führenden und bestimmenden Rolle, und was ist heute? Heute muss er auf Augenhöhe mit den Frauen seinen Willen aushandeln und kann nicht einfach mehr entscheiden, ohne zu riskieren, dass seine Frau oder Freundin ihn verlässt, wenn er über sie hinweg Entscheidungen trifft. Ganz problematisch wird es dann, wenn die Frau auch noch einen höheren Bildungsabschluss hat und er nicht mehr davon ausgehen kann, dass er entscheiden kann, was die Wahrheit ist, da sie ihm nicht mehr blind glaubt. Ich habe den Eindruck, dass Frauen über Jahrhunderte der Zugang zur Bildung erschwert, wenn nicht gar unmöglich gemacht, wurde, damit sie eben nicht das Patriarchat und dessen Entscheidungshoheit infrage stellten. Die Frau als Sklavin der männlichen Gesellschaft.
Was das Monster in mir betrifft, so freut es sich natürlich über jeden Rückschritt, der ihm vermeintlich mehr Macht verspricht und es hat sogar damit angefangen, ein Gedicht zu rezitieren, wenn ich einer Frau begegne, die mir vom Aussehen her gefällt, auch wenn ich weiß, dass sie charakterlich gar nicht zu mir passte. Das Gedicht lautet:
Bei ihr möchtest du liegen.
Einmal über deine Schüchternheit siegen.
In ihren Armen die Nacht verbringen,
Schon kann dir dein Leben wieder gelingen.
Charmant musst du dafür nicht einmal sein,
Halte einfach deine Bedenken klein.
Liebe braucht es dafür nicht,
Auf dass ein neues Zeitalter anbricht,
Für dich und mich, immer im Licht.
Ich muss sagen, es ist nicht leicht mit diesem Monster, aber noch habe ich es größtenteils unter Kontrolle. Meine aufklärerischen Gedanken halten es noch in Fesseln. Das einzige Problem dabei ist, dass ich mich nicht mehr wirklich in der Umgebung von Frauen, die mir gefallen, entspannen kann, da sich da dann die Fesseln lockern. Ferner bin ich auch froh, dass ich bereits vor Jahren dem Alkohol abschwor und keine anderen Drogen nehme, denn diese entfesselten sicherlich das Monster komplett und ich könnte es garantiert nicht mehr beherrschen.
Das wäre dann ein Zustand, in dem ich mich selbst über kurz oder lang verabscheute.