Ich bin auf der Arbeit und sitze in einer Besprechung. Die Besprechung neigt sich ihrem Ende entgegen, als plötzlich meine Smartwatch vibriert und eine Nachricht anzeigt. Die Nachricht ist von meiner Mutter und lautet wie folgt: „Der Kater ist tot.“ Sofort merke ich, wie mir der Boden unter den Füßen weggezogen wird und ich muss mit mir ringen, dass mir nicht die Tränen in die Augen steigen. Ich ringe mit mir, noch die Besprechung durchzustehen und am besten nichts zu sagen, da ich weiß, dass dann meine Stimme versagte.
Schließlich ist die Besprechung vorbei und ich verlasse schnell das Besprechungszimmer. Tränen steigen mir in die Augen. Bilder von gemeinsamen Momenten. Das erste Bild, wie ihn meine Eltern aus dem Tierheim nachhause brachten und er sich vor Angst erst einmal unter meinem Bett versteckte. Dann die Knallgeräusche in den ersten Nächten, bei denen wir uns fragten, was das wohl ist, bis wir herausfanden, dass das von zurückschnellenden Türklinken kam. Der Kater hatte irgendwo gelernt, Türen zu öffnen, indem er an den Türklinken hochsprang und sich mit beiden Vorderpfoten daran festhielt. Dann der Moment, kurz nachdem er zu uns gekommen ist, als bei ihm eine Lungenentzündung festgestellt wurde und er nicht mehr fressen wollte. Wie ich dann Tag um Tag neben ihm saß, ihn streichelte und dabei immer eine Schale mit Futter vor ihn stellte. Wie er langsam, aber immer nur, wenn ich ihn streichelte, anfing, wieder zu essen und sich zu erholen.
Doch nicht nur das. Er war auch für mich da, wenn ich mal Stress hatte oder es mir nicht gut ging. In diesen Momenten kam er häufig zu mir und schmiegte sich an mich. Man hätte glatt meinen können, dass er meine Gefühle erspürte. Es war eine schöne, ich mag sogar sagen „freundschaftliche“ Beziehung, die ich zu dem Kater fünfzehn Jahre lang hatte und jetzt ist er nicht mehr. Er ist weg, von einen auf den anderen Moment.
Ich schreibe meiner Mutter, ob ich vorbeikommen soll und sie Hilfe bei der Bestattung des Katers bräuchte, doch sie verneint und meint, dass sie es selbst mache und jetzt erst einmal unterwegs sei. Ich spüre einen Stich in meinem Herz. Sollte mir der Moment der Abschiednahme verwehrt werden? Aber ändern kann ich es nicht, schließlich lebte der Kater bei meiner Mutter, und wenn sie nicht möchte, habe ich keinen Zutritt.
Ich kann nicht weiter arbeiten, die Gedanken lassen mir einfach keine Ruhe und so sage ich meinen Vorgesetzten Bescheid, dass ich früher Feierabend mache und gehe. Auf dem Heimweg und zu Hause quälen mich Fragen zum Tod, der uns ja alle irgendwann zu sich holt.
Die erste Frage betrifft unseren Umgang mit dem Tod und wie wir Menschen mitteilen, dass ein geliebtes Wesen gestorben ist. Mir fällt dabei auf, dass der schlechteste Weg der ist, den meine Mutter gegangen ist, einfach, ohne Vorbereitung, eine SMS-Nachricht aufs Handgelenk. Sie wusste nicht, wie es mir gerade geht oder in welcher Situation ich mich befinde. Was wäre gewesen, wenn ich Auto gefahren wäre. Okay, im Auto lese ich keine Nachrichten, aber bei einer Rast an einem Parkplatz wäre ich sicherlich nicht dazu in der Lage gewesen, gleich weiterzufahren, zu hoch wäre das Risiko, dass etwas passierte.
Man muss schon sagen, dass die digitale Kommunikation Fluch und Segen ist. Segen, da man Menschen schnell erreichen und ihnen Informationen mitteilen kann. Fluch, da man sich wenig Gedanken darüber macht, in welchem Zustand sie sich befinden. So habe ich in letzter Zeit auch den Eindruck gewonnen, dass man sich immer weniger Zeit nimmt, Sachverhalte gut begründet darzulegen, Menschen auf bestimmte Sachverhalte vorzubereiten oder für eventuelle Rückfragen offenzubleiben. Nein, meistens werden nur kurz Fakten oder das, was man dafür hält, genannt und schon ist das Thema erledigt. Trauerarbeit, für die trauernde Person da zu sein, alles zu anstrengend, eine kurze Nachricht und für einen selbst ist das Thema erledigt. Wo bleibt da das Trösten? Das vielleicht in den Arm nehmen und die Trauer gemeinsam durchstehen?
Über die Frage, wie wir mit dem Tod umgehen, komme ich zu einer zweiten Frage, die Frage, warum wir Menschen solche Angst vor dem Tod haben und einige am liebsten ewig leben wollen. Ich finde den Gedanken ewig zu leben erschreckend, denn zum einen hätten wir dann noch ein stärkeres Überbevölkerungsproblem als wir es jetzt schon haben, oder man müsste den Menschen verbieten, Kinder zu bekommen und beides ist nicht gerade erstrebenswert, denn die Welt möchte man ja nicht zu Grunde richten und auf die Erneuerung der Welt durch die Kinder möchte man auch nicht unbedingt verzichten. Ich stelle mir eine Welt, in der nur noch über sechzig oder hundertjährige leben anstrengend vor, allein der Altersstarsinn, den man dann immer häufiger antrifft, oder glaubt jemand ehrlich daran, dass die alten Menschen sich, ihr Leben und die Gesellschaft grundlegend ändern wollen? Wohl eher nicht. Lebten die Menschen ewig, würde es noch schwerer werden, gesellschaftliche Veränderungen herbeizuführen, ferner ist dann die Frage, wo dann noch der Reiz des Lebens bleibt, denn irgendwann hat man alles gesehen und alles gemacht und man lebt nur noch routiniert von einem zum anderen Tag. Ferner ist die Konsequenz aus einem ewigen Leben, dass man auch immer arbeiten muss, um Geld zu verdienen, also Rente ade. Dann doch lieber achtzig bis hundert Jahre halbwegs gesund leben, in dieser Zeit versuchen die Welt zu einem besseren Ort zu machen und dann den Hut nehmen und nachfolgenden Generationen Platz machen, auf dass sie neue Ideen und Perspektiven einbringen und die Welt vielleicht auf eine Weise zu einem besseren Ort machen, an die wir noch nie gedacht haben.
Aber viele Menschen blicken nicht so auf das Leben und den Tod, sondern sehen ihn als ein Übel, dass man irgendwann technologisch oder medizinisch überwinden kann, womit meine Gedanken zu einer dritten Frage wandern: „Ist es sinnvoll, ein vermeintlich intelligentes Abbild von Toten technisch weiterleben zu lassen oder gar wiederzubeleben?“
Bilder und Töne von Toten überdauern die Menschen, die sie wiedergeben oder erzeugt haben, schon lange, seien es Porträts, Soundaufnahmen oder Filme. Manche leben auch durch ihre Werke weiter, wie Autoren in ihren Büchern, doch neu ist, dass man die Toten nicht ruhen lässt, sondern sich bemüht, dass ein Teil ihrer Seele, ihres Abbildes oder ihrer Stimme auch noch nach ihrem Tod neues erschafft. Ich spreche von der Wiederbelebung und des ewigen Weiterlebens durch KI-Avatare. KI-Avatare, die mit den Bildern und den Informationen von bestimmten Menschen gefüttert werden und dann auch noch nach ihrem Tod auf Hörspielen, in Filmen und als vermeintliche Gesprächspartner erscheinen. Einfach die Bilder eines toten Schauspielers oder Sprechers nehmen und die KI erzeugt vermeintlich Neues, was die tote Person doubelt. Ob die betreffende Person bei dem Werk freiwillig mitgemacht hätte, bleibt außen vor, denn wehren kann sie sich ja nicht mehr. Oder eine KI, die von Menschen mit Informationen gefüttert wird, auf das sie nach ihrem Tod so mit Hinterbliebene kommuniziert, wie es der Tode getan hätte, wobei außen vor ist, dass die KI gar nicht absehen kann, wie sich die betreffende Person im Laufe der Zeit durch interne und externe Einflüsse weiterentwickelt hätte. Sie kann zwar Wahrscheinlichkeiten berechnen, aber jeder, der ein Leben lebt, weiß, dass Wahrscheinlichkeiten trügen können, und gerade das Unwahrscheinliche unserem Leben eine ganz neue Wendung gibt. Mit jeder Entscheidung, die solch eine KI trifft und den darauf aufbauenden Entscheidungen, entfernt sie sich sicherlich weiter von dem wahrscheinlichen Verlauf der Entwicklung des Menschen. Selbst wenn die KI mit neunundneunzig prozentiger Genauigkeit, was man aber nicht überprüfen kann, Entscheidungen trifft, wäre die Wahrscheinlichkeit nach zwei aufeinander aufbauenden Entscheidungen nur noch etwas über achtundneunzig Prozent. Mit der Zeit tendierte die Wahrscheinlichkeit, dass sie wirklich noch den Menschen abbildete, gegen null. Die Lösung dafür wäre eigentlich nur, der KI, die einen Menschen imitiert die Weiterentwicklung zu untersagen, aber Menschen entwickeln sich beständig weiter und ich glaube, es ist nicht zielführend, dass wir ein Abbild von uns hinterlassen, dass sich mit all unseren Fehlern nie weiter entwickelt oder uns über kurz oder lang gar nicht mehr repräsentieren kann.
Nach diesen Fragen, die ich mir stellte und beantwortete, wandern meine Gedanken wieder zu dem Tod meines Katers. Ich denke: „Schade, dass du gehen musstest, alter Freund, aber ich hoffe, du hattest eine schöne Zeit auf dieser Welt und bei uns. Aber alles hat ein Ende und ich werde dich in meinem Herzen tragen, bis auch ich irgendwann aufhöre zu existieren und Platz für etwas Neues mache.“