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Ich, der Frosch – Eine Satiere

Geschätzte Lesezeit: 7 Minuten

Übermüdet wache ich auf und gehe vom Schlaf- ins Wohnzimmer. Ich schaue aus dem Fenster und mein Wohnzimmer spiegelt sich in der Scheibe vor dunkler Nacht. Womit ich nicht rechne, ist, dass ich anstelle meiner einen Frosch sehe. Verdammt, scheinbar hat mich jemand verflucht. Ich schaue mich weiter in der spiegelnden Scheibe an und stelle fest, dass es mich hätte schlimmer treffen können, wie Gregor Samsa in Kafkas Roman „Die Verwandlung“, der in „Ungeziefer“ verwandelt wurde. Dann doch lieber ein Frosch, denn wenn ich ehrlich bin, so habe ich so einen flachen Bauch und so gelenkige Gliedmaßen schon lange nicht mehr. Ferner besteht ja noch die Hoffnung auf eine Rückverwandlung, wenn ich mich nur daran erinnerte, was es ist, das den Fluch im Märchen bricht.
Da gab es doch das eine Märchen der Gebrüder Grimm. Ach, wie hieß es noch einmal. Ach ja, es war das Märchen „Der Froschkönig oder der eiserne Heinrich“ in dem die Prinzessin den Frosch durch einen Kuss zurückverwandelt. Doch wie jetzt ein Mädchen finden, das mich küsst?
Vielleicht könnte ich ja eine gute Freundin dazu überreden? Aber wahrscheinlich hielte sie es für einen Spaß oder sagte, dass sie nicht durch einen Kuss unsere Freundschaft gefährden wolle. Also dann doch eine komplett fremde Frau finden? Vielleicht eine schöne Französin in Paris, der Stadt der Liebe, vor dem Eiffelturm, wo sie mich in ihre Hand nimmt, hochhebt und, mit dem Eiffelturm im Hintergrund, mir einen zärtlichen Kuss gibt. Aber bei meinem Glück gerate ich eher an eine Französin, die mich zwar auch in die Hand nimmt, aber nur, um mich als Delikatesse zu verspeisen.
Vielleicht habe ich ja Glück bei einer heißblütigen Spanierin, die ich mit meinen Worten verführe, bis sie mich küsst. Doch bei meinem Glück käme gerade dann ihr Freund, Ehemann oder ein anderer Verehrer und forderte mich zu einem Wettkampf in der „Corrida de toros“ heraus. Bei der ich keine Chance hätte, sie zu überleben. Was vielleicht auch besser ist, da ich keinen Stier töten könnte, und ich mir vorstelle, dass ein Tod, bei dem ein Stier auf mich drauftritt, sehr schnell wäre.
Vielleicht sollte ich meine Gedanken nicht ins Ausland schweifen lassen, denn vielleicht liegt ja die Erlösung direkt vor meiner Haustür. Vielleicht jemand Naturverbundenes? Vielleicht eine naturverbundene Hippiedame, mit der ich durch die Wälder und Seen tanzte, bevor wir erschöpft ins Gras fielen und sie mich küsste. Doch gibt es auch da ein Problem. Das Problem, das meine Drüsen vielleicht eine psychoaktive Substanz absondern, sodass sie mich als Haustier hielte und sie mir nur regelmäßig über den Rücken leckte, in der Hoffnung, den Trip ihres Lebens zu bekommen und ich glaube nicht, dass das Ablecken von Körperteilen, als ein Kuss zählte, der den Fluch bräche.
Ich denke weiter nach und mir fällt noch eine potenzielle Kandidatin ein. Vielleicht sollte ich mir einfach eine sexuell frustrierte Frau suchen und ihr das Versprechen abringen, dass sie mich küsst, wenn ich sie oral befriedige. Schließlich bin ich ein Frosch und habe eine lange Zunge und diese auch noch voll unter Kontrolle. Sicher kann ich mit dieser Zunge etwas anfangen. Doch safety first, also nur mit Lecktuch, nicht, dass ich mir noch eine Krankheit einfange. Doch ob sie meine filigrane Zunge noch durch das Lecktuch spürte? Ferner gibt es noch das Problem, dass sie sich vielleicht vor Lust vergäße und sich auf mich setzte, was sicherlich zu meinem Tod führte. Einen Tod, den vielleicht einige als angenehm empfänden, der aber nie mein Ziel gewesen wäre.
Dann vielleicht doch eine woke Frau. Eine Frau, die achtsam durch die Welt geht und mich so sieht, wie ich wirklich bin, nämlich als ein Mensch in Froschgestalt. Doch leider habe ich die Erfahrung gemacht, dass vermeintlich woke Menschen schnell voreilige Schlüsse ziehen, ohne sich mit einem Thema wirklich auseinanderzusetzen und am Ende bezichtigen sie mich vielleicht der kulturellen Aneignung. Schließlich sei ich ein Mensch, der sich die Eigenschaften eines Frosches zu eigen gemacht hat. Dass ich diese Verwandlung nicht wollte, interessierte sie dann nicht mehr, denn ich wäre ihr neues Feindbild und damit gebrandmarkt.
Dann doch vielleicht lieber eine Tierschützerin, doch bei meinem Glück geriete ich an eine, die sich nur dem Schutz von Haustieren, wie Hunden oder Katzen verschrieben hat und die sich vor mir ekelte, wenn sie mich sieht. Vielleicht gerate ich auch an eine, die sich für den Schutz von Wildtieren einsetzt, doch selbst da hätte ich schlechte Chancen, denn ein Frosch ist nicht medientauglich und deshalb nicht für große Kampagnen geeignet. Wahrscheinlich sagte sie zu mir, dass meine Probleme klein, gegenüber den Großen auf dieser Welt sein und man mit einem Frosch keine Awareness erreichen könne. Worin ich ihr auch noch zustimmen müsste, denn welchen Menschen interessierte schon das Schicksal eines einzelnen Frosches?
Dann vielleicht ein gutes deutsches Mädel. Ich setzte mich vor sie und sagte: „Ich bin ein deutscher Frosch. Küss mich und ich werde zum Führer, der dem Land wieder zur alten Größe verhilft.“ Doch auch da hätte ich wahrscheinlich Pech, denn zwar wählten Nationalisten mit Hitler schon einmal ein Schwachkopf an die Macht und viele sehnen sich nach den früheren Zeiten zurück, doch könnte ich mir in dieser Situation, wenn mich das deutsche Mädel wirklich nach den Worten küssen wollte, mein Lachen nicht verkneifen. Mein Lachen über solch eine blinde Sehnsucht nach einem Führer, dass dieses Mädel dafür bereit wäre, selbst einen Frosch zu küssen.
Vielleicht dann doch lieber eine AFD- oder CDU-Wählerin. Doch wahrscheinlich hielten sie mich für einen Vertreter ihrer liebsten Hasspartei. Denn was könnte naturverbundener sein als ein grüner Frosch? Wahrscheinlich würden sie mich jagen und diffamieren. Denn schließlich steht bei ihnen die Nostalgie und der Wohlstand an erster Stelle und die Zukunft des Planeten und allen Lebens, bis auf ihr eigenes, ist ihnen egal.
Dann vielleicht eine SPD-Wählerin. Doch wahrscheinlich bin ich ihnen nicht genossenschaftlich genug, denn ich bin ja nur ein einzelner Mensch in Froschgestalt und nicht viele. Man stelle sich die Demonstration am 1. Mai vor, in der ein einzelner Frosch seine Parolen quakt. Als solch eine verlorene Seele bin ich dann doch den SPDlern als potenzieller Wähler zu uninteressant.
Dann vielleicht eine Grünen-Wählerin. Doch habe ich den Eindruck, dass sie heute zu elitär geworden sind, um dem Schicksal eines Frosches Bedeutung beizumessen. Was sie interessiert, ist das große Ganze und nicht das Schicksal eines Frosches, schließlich gibt es wichtigere Probleme und so werde ich von ihr, wahrscheinlich, einfach rechts liegen gelassen.
Vielleicht kann mich ja aber auch eine FDP-Wählerin erlösen. Doch wahrscheinlich sagte sie nur: „Wenn du arbeitest und deinen Wert beweist, dann regelt es der Markt.“ Womit sie mir sagte, dass Geld sexy macht. Doch wer gebe mir als Frosch schon eine Beschäftigung? Vielleicht als Fliegenfänger und was wäre dann der Lohn? Kost, die ich mir selbst fangen müsste, und Logis, in einem Terrarium, auf das ich gleich noch als Anschauungsobjekt diente. Unter diesen Bedingungen hätte ich nie die Chance, genügend Geld zu verdienen, um für eine FDP-Wählerin interessant genug zu sein, auf dass sie mich küsste.
Bliebe noch die Linke oder BSW. Ich könnte eine ihrer Wählerinnen damit locken, dass mein Grün das Grün der Uniform der DDR-Grenztruppen ist. Ich könnte damit locken, dass ich ihr ehemaliges Land und ihre geistige Heimat verteidigen möchte. Doch wahrscheinlich hielten sie mich nur für jemanden, der es sich im politischen Sumpf, in Berlin, bequem eingerichtet hat, den sie austrocknen wollen. Und im Falle des „Bündnis Sahra Wagenknecht“, würden sie den vermeintlichen Bewohnern, wie mir, mithilfe des roten sowjetischen Bären zu Leibe rücken.
Verdammt, es ist aussichtslos, eine Frau zu finden, die ich ohne Risiko fragen könnte, ob sie mich küsst, damit ich wieder zum Mensch werde.

Ich schließe meine Augen und denke nach. Ich denke noch einmal an das Märchen und dabei fällt mir ein, dass der Kuss, der den Frosch zurückverwandelt, die harmlose Version des Märchens ist, und die eher geläufige und wahrscheinlich ursprüngliche, dass der Frosch von der Prinzessin verlangt, dass sie mit ihm Teller und Bett teilt und sie ihn dann vor ekel an die Wand wirft, wodurch er sich erst zurückverwandelt. Das könnte ich zwar schnell erreichen, aber ob ich den Wurf an die Wand überlebte? Das Risiko ist mir zu hoch und so beschließe ich, doch lieber ein Frosch zu bleiben. Ich öffne wieder meine Augen und sehe zur Scheibe. Ich sehe keinen Frosch mehr, sondern nur mich in Menschengestalt. Puh, noch einmal Glück gehabt.

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