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Diese Person – Eine Liebesgeschichte? – Teil 6: Das zweite Date

Geschätzte Lesezeit: 6 Minuten

Ich bin mal wieder zu früh dran. Viertel sieben wollten wir uns treffen. Jetzt ist es halb sechs. Was soll ich die Dreiviertelstunde noch tun? Einfach dasitzen und warten? Nein, das lässt meine innere Unruhe nicht zu. Na dann, gehe ich einfach spazieren, wie ich es immer mache, wenn mich Unruhe befällt. Ich lenke meine Schritte weg von unserem Treffpunkt, hin zu einer Grünanlage. Ich betrete die Grünanlage und höre die Vögel zwitschern. Sie singen ein schönes Lied. Die äußere Ruhe beginnt in mich einzudringen. Nach und nach verdrängt sie meine innere Unruhe. Doch ganz, bis in den Kern meines Herzens, schafft sie es nicht vorzudringen. Sie schafft es nicht meine innere Unruhe, die aus meinen Zweifeln bezüglich meiner Gefühle für die Person erwachsen, zu beruhigen oder zu verdrängen. Nein, stattdessen vertreibt die äußere Ruhe alles andere, was mich beschäftigt und gibt so erst den Zweifeln allumfassenden Platz in meiner Seele.
Die Zweifel plagen mich. Ich frage mich, ob ich nicht falsch handele. Falsch, da ich dieser Person, die ich gleich treffen werde, falsche Hoffnungen mache. Falsch, da ich nicht den Mut aufbringe zu sagen, dass ich sie eigentlich nur als einen Freund sehe und alles andere, was passierte, nur meinem körperlichen Verlangen und einem gewissen Grad an „Geilheit“ entspränge. Ja, ich mag sie, stehe ich mir ein, und eben weil ich sie mag, müsste ich doch den Mut aufbringen, ihr zu sagen, dass zwischen uns nie eine Liebesbeziehung von Dauer entstehen kann. Ich müsste den Mut haben, ihr zu sagen, dass wir bei vielen grundlegenden Fragen, die unsere Lebenseinstellungen betreffen, einfach zu verschiedene Antworten leben, als dass wir, auf lange Sicht, miteinander kompatibel wären. Also, warum tue ich es nicht? Ich tue es nicht, da ich die Hoffnung hege, dass sich doch noch ein Gefühl von „wahrer Liebe“, bei mir einstellt und wir vielleicht doch zu einem guten Paar zusammenwachsen. Ich hege die Hoffnung, nach Jahren der Einsamkeit, ihr zu entkommen. Doch, um welchen Preis? Ist es das wert?

Über meine Gedanken ist eine Dreiviertelstunde vergangen und ich stehe wieder vor der Arbeitsstätte der Person, mit der ich heute Abend ausgehen werde. Kurze Zeit später verlässt sie auch ihre Arbeitsstätte, sieht mich, kommt auf mich zu und umarmt mich herzlich. Ich tätschle ihren Rücken und fühle mich wie ein Heuchler. Die Person nimmt meine Hand und während sie von ihrem Alltag erzählt und ich eher passiv zuhöre, führt sie mich zum Kino, wo wir die Karten für den Film kaufen und anschließend zu einem kleinen Restaurant, in der Nähe, in dem wir noch etwas Essen, bevor der Film beginnt. Die ganze Zeit verhalte ich mich eher passiv, da ich nicht weiß, wie ich mich verhalten soll und das fällt auch der Person auf, denn sie fragt: „Ist bei dir alles in Ordnung? Du bist so still.“ „Ja, bei mir ist alles in Ordnung. Ich gehe nur mal wieder meinen Gedanken nach, die mich nicht loslassen.“ Danach verstummt das Gespräch.
Wir beenden das Essen mehr oder weniger schweigend und gehen zum Kino. Wir haben zwei zentrale Sitzplätze, die nebeneinander liegen. Die Person lehnt sich an mich und erst tätschle ich ihren Rücken, bevor ich ihr sanft über den Arm streichle. Es ist ein angenehmes Gefühl, das ich verspüre, als die Person da so neben mir sitzt. Es ist angenehm und erfreut mein Herz. Doch auch Zweifel nagen an meiner Seele, ob das alles, was ich jetzt mache, wirklich richtig ist. Ich habe die Angst, dass sich die Person am Ende noch mehr als nötig verletzt und gekränkt fühlt, wenn ich ihr irgendwann später sage, dass ich keine Chance für eine Liebesbeziehung, die von Dauer ist, zwischen uns sehe.
Über das Tätscheln des Körpers der Person und meine Gedanken vergeht die Zeit. So endet schließlich der Kinofilm, ohne das ich wirklich etwas von ihm mitbekommen habe. Er endet und was meine Gefühle für die Person betrifft, die da neben mir sitzt, so bin ich genauso schlau wie vorher.
„Hast du noch Lust etwas zu unternehmen?“, frage ich sie. „Nein, ich würde sagen, wir gehen jetzt zu mir und lassen den Abend gemütlich ausklingen.“ „Bist du dir sicher, dass ich bei dir Übernachten soll? Ich habe mir zwar vorsichtshalber morgen freigenommen, damit ich dich morgen Früh nicht aus Versehen wecke, sondern du und auch ich ausschlafen können, aber für mich ist es kein Problem auch noch nachhause zu fahren.“ „Was redest du denn da! Du kommst jetzt mit zu mir und wir lassen den Abend noch gemütlich, bei Musik oder einem Hörspiel, ausklingen.“ „Na gut, da begleite ich dich erst einmal zu deiner Wohnung, sie liegt ja sowieso auf dem Weg zur S-Bahnhaltestelle, von der ich aus nachhause komme.“ „Man, was ist denn mit dir los? Warum zierst du dich denn auf einmal so? Ich werde dich schon nicht fressen. Oder gefalle ich dir etwa nicht oder bin ich dir etwa unsympathisch?“ „Nein, du gefällst mir sogar außerordentlich gut. Und ich finde dich auch außerordentlich sympathisch.“ „Was ist denn dann dein Problem?“ Ich atme tief ein, fasse all meinen Mut zusammen und sage: „Ich habe einfach den Eindruck, dass alles zu schnell geht. Ich weißt nicht, was du von mir erwartest und ich weiß nicht, wo dass alles hinführen soll.“ „Ganz einfach. Wir lernen uns Stück für Stück besser kennen und dann wird sich irgendwann zeigen, ob wir beide zu der Überzeugung gelangen, das wir ein Paar werden oder ob einer oder wir beide doch der Meinung sind, dass wir besser getrennte Wege gehen.“ „Ja, aber hast du nicht Angst, dass du später etwas bereuen könntest?“ „Nein, habe ich nicht, denn ich lebe meine Entscheidungen und jetzt schalt mal deinen Kopf ab. Ich verspreche dir, dass ich nichts versuchen werde, zu dem du nicht bereit bist. Wir werden einfach sehen, wie sich der Abend und unsere Beziehung weiter entwickelt. Dagegen kannst du doch nichts haben, oder?“ Ich gehe in mich und frage mich selbst, ob etwas dagegen spricht. Nein, in meinem Inneren finde ich keine Argumente, die gegen ihre Ausführungen sprechen und in meinem tiefsten Inneren freue ich mich sogar, diese Person besser kennenzulernen und vielleicht, aber nur vielleicht, wird aus dem Gefühl des Mögen, doch noch ein Gefühl von Liebe. Mit diesem Entschluss gefasst, sage ich: „Okay, machen wir das so. Ich freue mich darauf, dich noch besser kennenzulernen.“ Da lächelt die Person wunderschön, nimmt meine Hand und wir spazieren durch die Stadt, zu ihrer Wohnung.

Als wir vor ihrer Wohnung ankommen, stellen sich doch noch einmal Zweifel bei mir ein, ob das, was ich tue, so richtig ist. Jetzt böte sich mir ja immer noch die Gelegenheit, die Person einfach kurz zum Abschied zu drücken und mich auf den Weg zur S-Bahnhaltestelle zu machen. Doch ich tue es nicht. Stattdessen fühle ich sogar ein mir unbekanntes Verlangen in mir, mit der Person mitzugehen. Ich frage mich, woher das Verlangen nur kommen mag, das ich bis jetzt noch nie in meinem Leben verspürte. Das Verlangen hat beinah etwas Animalisches an sich und ich muss an das „Es“ aus Sigmund Freuds Psychologiemodell denken.
Ich versuche mich auf das Modell zu konzentrieren, das „Es“ nicht die Oberhand gewinnen zu lassen, doch es gelingt mir nicht. So gehe ich wie ferngesteuert der Person, die mich zu sich in die Wohnung eingeladen hat, nach.

Mein letzter Gedanke, bevor ich ihre Wohnung betrete, ist: „Hat jetzt nach all den Jahren, doch das ‚Es‘ den Kampf gegen mein ‚Ich‘ gewonnen?“

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