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Du lebst nur einmal – Teil 2: Neugier

Geschätzte Lesezeit: 5 Minuten

Ich sitze am PCs und lese ein paar Nachrichten im Internet, als plötzlich ein heller Schemen an meinem Fenster vorbeirauscht. Ich blicke auf, doch es ist nichts mehr zu sehen. Habe ich mich getäuscht? Ich wende mich wieder meinem Computer zu und plötzlich sehe ich wieder etwas aus dem Augenwinkel am Fenster. Ich blicke auf und in das neugierige Gesicht der Nachbarkatze. Normalerweise hält sie immer zwei Meter Abstand zu mir. Sie lässt mich ihr nicht nahekommen, doch jetzt, durch die Scheibe getrennt, fühlt sie sich scheinbar vor mir geschützt und verzichtet auf den Sicherheitsabstand. Ich fühle mich beobachtet, wie ein Tier im Käfig und frage mich, wie es wäre, wenn ich meine Wohnung nicht mehr verlassen könnte und tagein, tagaus Tiere vorbeigingen und mich mal desinteressiert, mal neugierig anstarrten. Also fast so, als lebte ich in einem Zoo mit Menschen für Tiere. Ich stelle es mir nicht besonders aufregend vor und denke, dass es den Tieren, die wir in Zoos oder in Gehegen in unseren Wohnungen oder auf unseren Grundstücken halten, nicht besonders gut geht, vor allem, wenn wir sie nur zur Unterhaltung, zur Befriedigung unserer Neugier oder als Ware betrachten.
Was mag die Katze wohl sehen und denken, wenn sie mich so beobachtet? Hat die Katze Empathie wie wir Menschen und kann sich in mich hineinversetzen und versucht herauszufinden, was ich denke und fühle? Ich weiß es nicht genau und deswegen gehe ich einmal davon aus, dass sie es kann.
Also, was sieht sie, wenn sie mich betrachtet? Sie sieht einen Menschen, der viel liest, ab und an am Computer sitzt und auf einer Tastatur herumtippt. Umgeben ist der Mensch von lauter Büchern und CDs. Betrachtete sie mich genauer, stellte sie noch fest, dass ich männlich und nicht mehr der Jüngste bin, in der Leibesmitte etwas zu füllig und der Zenit meiner körperlichen Fähigkeiten schon einige Jahre hinter mir liegt. Viel mehr sähe sie nicht, genau wie wir, wenn wir Tier in Gehegen oder generell nicht in ihrem natürlichen Umfeld beobachten. Aber warum tun wir das dann?
Neugierde, Unterhaltung oder einfach nur Zeitvertreib? Ja, wir Menschen sind neugierige Lebewesen. Lebewesen, die schon von klein an die Welt erkunden und verstehen wollen, wobei die Neugier, wenn sie grenzenlos ist, leicht zu Zerstörung und Gewalt führen kann. Schon die Frage: „Was passiert wenn, … ?“ kann zu Unglücken führen, wenn sie sich auf ein Lebewesen oder eine Maschine bezieht, beispielsweise, wenn man eine Schraube in eine hochkomplexe Maschine wirft oder, was seit einigen Jahren als Warnung in Gebrauchtanweisungen von Mikrowellen auftaucht, man überlegt, was passiert, wenn man das Haustier in der Mikrowelle zu trocknen versucht. Was andere Lebewesen betrifft, so äußert sich die Neugierde auch mal in den kindlichen Gedanken, die von einigen Eltern auch nicht unterbunden werden, „Was passiert, wenn ich das Tier scheuche? Nach der Taube trete? Den Fisch fange und aufs Trockene lege?“ Sein wir ehrlich, manchmal kann Neugier echt grausam sein, wie man auch an den Menschenversuchen sehen kann, die Ärzte während des Dritten Reiches, an Menschen, die sie nicht wertschätzten, durchführten.
Doch viele von uns sind ja erwachsen und vermeintlich reifer und trotzdem haben nicht alle von uns, ihre zerstörerische Neugier abgelegt. Wäre in diesem Kontext ein Leben ganz ohne Neugier nicht besser?

Meine Gedanken wandern weiter. Weiter zu den Menschen, die scheinbar gar keine Neugier mehr haben. Solchen Menschen bin ich leider auch schon zu oft in meinem Leben begegnet. Ich begegnete ihnen, wie sie lustlos Computerspiele konsumierten oder sich nur noch von den verschiedensten Filmen und Serien berieseln ließen. Sie konsumierten nur noch stumpfsinnig und sprachen nicht selten die Meinungen und Aussagen derer nach, die sie ihnen, vorgekaut und in mundgerechten Stücken, reichten. Sich selbst mal auf die Suche machen, um die Wahrheit zu finden oder neugierig danach zu sein, Dargebotenes zu hinterfragen und zu analysieren, sah man bei ihnen selten, denn Neugier ist eigentlich immer auch mit einer Arbeitsleistung verbunden. Man muss etwas ergründen, analysieren oder probieren und nicht einfach nur konsumieren. Ich gebe zu, in diesem Zusammenhang ist einfacher, nur zu konsumieren und anderen nach dem Mund zu reden. Einfacher, aber auch erfüllender? Kann ein Leben lebenswert sein, in dem man immer nur konsumiert und Meinungen anderer, ohne Überprüfung, adaptiert? Sicher nicht!

Doch welches Maß an Neugierde ist jetzt das passende? Welche Neugier sollte man sich im Leben bewahren, damit man kein langweiliges Leben führt? Während ich so nachdenke, fallen mir ein paar Richtlinien für mich selbst ein. Richtlinien, durch die mein Leben interessant, aber nicht zu zerstörerisch ist. Die wichtigste Regel ist, zu versuchen, nach Wissen zu streben, ohne dabei zerstörerisch zu wirken. Also wenn mich etwas interessiert zwei, drei Meinungen, Reportagen oder Dokumentationen zu lesen oder anzuschauen, anstatt alles selbst erleben und ausprobieren zu müssen, wenn der Preis dafür Leid oder Umweltzerstörung ist. Ferner möchte ich versuchen, in persönlichen Begegnungen mich auf mein Gefühl und auf meine persönliche, mir angemessene erscheinende, Neugier zu verlassen, um Menschen kennenzulernen oder bei Diskussionen über verschiedene Themen mit ihnen im Austausch zu bleiben. So werde ich darauf achtgeben, dass ich nicht zu einem Mensch werde, der Menschen, die er gerade kennenlernt oder kennengelernt hat, Google oder bei Facebook, Instagram oder wie die Social-Media-Plattformen auch alle heißen, sucht und die digitale Vergangenheit analysiert. Der Grund dafür ist, dass das Internet nie oder zumindest ganz selten etwas vergisst, wodurch man zu jeder Person, wenn sie nicht gerade ganz alleine und nur offline lebt, immer fragwürdige Dinge findet. Kramt man diese Dinge, auch wenn sie Jahrzehnte alt sein sollten, hervor und projiziert diese auf die Person, spricht man diesem Menschen das Recht ab, dass er sich vielleicht geändert hat, weil man ihn gedanklich immer wieder auf diesen oder jenen Sachverhalt reduziert. Also lieber seine persönliche Neugier bewahren und im direkten Gespräch anwenden, um zu erfahren, was für ein Mensch einem gegenüber ist und nicht eine falsche Neugier, die einen nur erfahren lässt, was für ein Mensch, der andere einmal war.

Nach diesen Gedanken schaue ich noch einmal bewusst auf und merke, dass die Katze weg ist. Scheinbar hat sie ihre Neugierde befriedigt und sich wichtigeren Dingen, etwa dem Mittagsschlaf, zugewandt.

Published inErzählungen