Ich betrete das Restaurant, in dem ich mich mit meinen Freunden treffen möchte, und werde von Hintergrundmusik begrüßt. Hintergrundmusik, die ich eigentlich immer als störend empfinde, da man sie nicht bewusst wahrnimmt und ihr auch nicht bewusst folgt. Es sind einfach Töne, die unsere ohnehin schon laute Welt noch lauter machen. Besonders in Restaurants mag ich die Hintergrundmusik nicht, da sie immer wieder störend in meine Gedankenwelt eindringt, sodass ich nicht ruhig nachdenken oder mich wirklich auf das Essen konzentrieren kann. Doch nicht nur das, darüber hinaus trägt sie dazu bei, dass die Gespräche im Restaurant lauter geführt werden, als sie müssten, da die Menschen zum einen die Hintergrundmusik und später meistens auch noch die anderen Gespräche übertönen wollen, wenn sie sich unterhalten. Also, was ist der Sinn von Hintergrundmusik im Restaurant? Doch höchstens Ablenkung, oder?
Doch dass Hintergrundmusik gespielt wird, lässt sich nun einmal durch mich nicht ändern und ich begebe mich zu unserem Stammtisch und stelle fest, dass ich mal wieder der Erste bin, was mir aber ganz recht gelegen kommt. Ich bin gern der Erste, da ich dann in Ruhe das Essen bestellen und es mit allen Sinnen genießen und auskosten kann, im Gegensatz zu später, wenn die Bekannten da sind, man sich unterhält und aufgrund dessen sich nur noch nebenbei Essen in den Mund schiebt, ohne es wirklich noch richtig zu genießen und den guten Geschmack voll auszukosten.
Die Bedienung kommt und ich bestelle etwas zu essen und zu trinken. Während ich auf meine Bestellung warte, lasse ich meine Gedanken schweifen. Ich überlege, wie lange ich schon zu dem Treffen gehe. Es ist bald eine Dekade. Eine Dekade, in der ich einige neue Freunde gewonnen und viele andere wieder verloren habe. Ich überlege, wie viele von denen, die heute noch zu den Treffen kommen, schon damals dabei waren und stelle fest, dass es nur noch eine Handvoll ist. Mit der Zeit sind einige weggezogen, einige konnten die Hosen nicht oben behalten und haben dadurch Freundschaften und Bekanntschaften zerstört und wieder andere, fingen an, ihre Leben als zu anstrengend zu empfinden, als dass sie sich noch aufrafften, um Freunde zu treffen, wenn sie doch alles über deren Leben auf Facebook, Instagram und TikTok erfahren konnten. Wofür denn noch den persönlichen Austausch suchen, die eigene Wohnung verlassen und mit den Leuten von Angesicht zu Angesicht reden, also den inneren Schweinehund besiegen, wenn man doch auch einfach auf dem Sofa liegen und den nächsten Film oder die nächste Serie schauen kann? Ja, ich kenne solch trägen Leute, wobei die Bekanntschaft häufig nur noch virtuell sind, falls ich sie nicht schon innerlich für tot erklärte.
Doch für die, die nicht mehr zu unseren Treffen kamen, kamen auch mitunter neue Gesichter dazu. Manche waren nur einmal da, obwohl man mit ihnen interessante Gespräche führte. Aber es gab auch andere. Andere, die einmal kamen und in den Bann unserer Gesellschaft gerieten. In den Bann des gemeinsamen Austausches, der Gespräche und Diskussionen, und daraufhin immer und immer wieder kamen.
Meine Gedanken verweilen beim Thema Gemeinschaft und mir wird bewusst, dass sie in unserer heutigen Zeit an Stellenwert verloren hat. Früher war man aufeinander angewiesen, wenn man etwas im Leben erreichen wollte. Man half sich gegenseitig, um ein Ziel zu erreichen, das größer war, als dass man es je alleine erreichen könnte. So trugen die verschiedenen Menschen etwas zur Gruppe bei, in dem sie gut waren, und es ging gesellschaftlich und persönlich voran. Doch an die Stelle der Gemeinschaft trat mit der Zeit mehr und mehr der Materialismus und das Geld. Wofür sich denn auch noch selbst einbringen und vielleicht auch selbst einmal zurücktreten, wenn man andere dafür bezahlen kann, einem zu Dienst zu sein? Wofür noch den persönlichen Kontakt mit anderen pflegen, andere Meinungen wahrnehmen und Kompromisse finden, wenn man Geld hat und dadurch seinen alleinigen Willen durchsetzen und seine materiellen Bedürfnisse stillen kann, ohne Kompromisse und Abstriche eingehen zu müssen?
Mein Essen und Trinken kommt. Die Bedienung stellt es vor mir auf den Tisch und ich bedanke mich. Dabei wird mir bewusst, dass sich viele Menschen im Restaurant nicht mehr bedanken, wenn ihnen da Essen gereicht wird. Ich frage mich, warum das wohl so ist und stelle fest, dass dem wahrscheinlich so ist, da die Bedienung nur noch als Dienstleister gesehen wird, die man ja schließlich bezahlt. Ich denke an mein Umfeld. An den Besuch des Supermarktes, wo ich meistens einer der wenigen bin, die dem Kassenpersonal noch einen schönen Tag oder ein schönes Wochenende wünschen. An einige Friseurbesuche, bei denen andere vor mir ihre Haare geschnitten bekamen und sich nicht bedankten, sondern stumm bezahlten und gingen. Gerade so, als wäre die andere Person eine Maschine und kein Mensch. Dabei kostet Freundlichkeit meistens nichts und wenn sie nicht nur als Floskel daher kommt, sondern mit einem echten Lächeln und von Herzen, hat sie das Potenzial unsere Gesellschaft zu einem besseren Ort zu machen. Einem Ort, an denen sich die Menschen gesehen und wahrgenommen fühlen und nicht nur zu Dienstleistungsmaschinen degradiert.
Ich schenke mir Wasser ein und langsam und genussvoll beginne ich zu Essen. Meine Gedanken wandern wieder zu dem Thema Freunde. Freunde. Mir wird bewusst, dass ich ein Mensch bin, der sich schwer damit tut, Freundschaften zu schließen. Es fällt mir schwer, da Freundschaft auch immer heißt, sich ein Stück weit für andere zu öffnen. Es heißt, seinen Panzer abzulegen und dadurch verletzlich zu sein und viel zu häufig hatte ich in meinem Leben schon erlebt, dass diese Verletzlichkeit ausgenutzt und einem dann hinterrücks ein Messer in den Rücken gejagt wird. So fällt es mir schwer, auf Menschen zuzugehen. Ferner erlebte ich bei diesen Treffen, sowohl in Freundschaften, als auch in Beziehungen, dass die Bekannten mit den Jahren immer häufiger nur sich selbst, ihre Leben und ihr Vergnügen im Sinn hatten und ihnen die Gefühle anderer mehr oder weniger egal wurden. So erlebte ich Bekannte, die fast jede Woche andere Partner*innen hatten. Wobei nicht auch selten „friends with benefits“ dabei waren. Sie lebten ihre Lüste und Gelüste aus, wobei sie nur sich selbst und ihr Vergnügen sahen, wodurch sie zum Teil Beziehungen zerstörten, da sie einen schwachen Moment auszunutzen wussten, anstatt sich auch einmal zurückzunehmen und zu sagen: „Das wäre überstürzt, mach dir erst einmal klar, was du wirklich möchtest.“ Aber diese Zurückhaltung war selten und bei einigen, mit denen ich darüber sprach, kam die Antwort: „Der Mensch kann nun einmal nicht wider seiner Natur handeln.“ Gerade so, als hätte es die Aufklärung nicht gegeben und wir Menschen wären allein unseren Trieben unterworfen.
In diesen Zusammenhang wandert mein Gedanke auch weiter zu einer Bekannten, die plötzlich meinte „polyamour“ zu sein und sich ihr Freund damit abfinden solle, dass sie noch andere Männer neben ihn hätte. Wobei man, wenn man ihr denn genau zuhörte, merkte, dass sie eigentlich „Polygam“ meinte. Der Grund für meine Einschätzung ist, dass sie immer nur davon erzählte, dass sie mit anderen Männern schlafen wolle, aber nie, dass sie mit diesen eine Liebesbeziehung zu führen gedächte, wobei doch gerade „polyamour“ bedeutet, mehrere Menschen, wirklich und aufrichtig zu lieben und nicht nur mit ihnen zu schlafen. Aber wer achtet bei der Befriedigung der eigenen Lüste und Triebe schon auf die feinen Nuancen?
Von der Bekannten wandern meine Gedanken zu einem Bekannten. Der Bekannte kam gefühlt jeden Monat mit einer anderen „Freundin“ zu den Treffen, sodass wir bald aufhörten, uns deren Namen zu merken, da sie so schnell wechselten. Die Frauen waren wirklich zum Teil Feuer und Flamme für ihn und man merkte das auch. Doch die Erwiderung der Zuneigung beschränkte sich meistens nur auf den Akt und wenn er sie mit zu Treffen oder auch Picknicks brachte, ließ er sie schnell links liegen. Ihn interessierte dann nur noch sein Vergnügen. Es waren Aussagen wie: „Was, dir gefällt die Musik nicht, dann geh halt.“ oder bei einem Picknick, an dem seine temporäre Freundin fragte, ob er ihr zeigen könne, wo die Toilette sei, eine ellenlange komplizierte Wegbeschreibung, nach der ich mich erbarmte und mit ihr hinging. Ihn interessierte es keinen Meter, auch als es spät wurde, und sie fragte, ob sie gehen wollten, kam nur die Antwort: „Mach, was du willst.“ Man gewann richtig den Eindruck, dass für ihn die Frauen nur für den Akt gut genug waren. Sie waren sein Mittel der Wahl, um sein eigenes Ego zu streicheln und sich einzureden, was für ein „toller Hecht“ er doch sei. Doch sich auf den anderen einzulassen und zu schauen, ob man, trotz einiger unterschiedlicher Interessen sich eine gemeinsame Zukunft aufbauen kann, war ihm nicht gegeben. In den Gesprächen merkte man, dass jedes persönliche Zurücktreten, ein Verrat seiner Ideale und daher Selbstaufgabe wäre. Wie könnte er denn dann noch glücklich sein?
Doch auch bei Freunden war es so, dass sie zum Teil anfingen, nur noch sich zu sehen und Freundschaften aufgrund von Kostennutzenbewertungen zu führen. Sie beurteilten Sie nach Fragen wie: „Was bringt mir die Freundschaft.“, „Macht es für mich Sinn, mir wieder und wieder andere Meinungen anzuhören.“ oder gar „Warum sollte ich einem Treffen fest zusagen, wenn doch noch kurzfristig etwas Besseres kommen könnte und ich notfalls einen Film oder eine Serie streamen kann.“ Ja, das festlegen und an einer Entscheidung festhalten, fiel vielen Menschen, die ich im Laufe der Jahrzehnte kennenlernte, immer schwerer. Die Optimierung des eigenen Nutzens, der Gedanke, dass es immer noch etwas Besseres geben könnte, was einem persönlich mehr wert ist, war der Killer von Freundschaften und gemeinsamen Treffen, denn wer veranstaltete noch etwas oder lud andere ein, wenn sie denn dann plötzlich kurzfristig absagten, weil sich eben doch noch etwas „besseres“ ergeben hatte?
Ich habe fertig gegessen und die Bedienung kommt, um mein Geschirr abzuräumen. Ich schaue auf die Uhr und stelle fest, dass gleich die anderen Bekannten kommen sollten. Und tatsächlich öffnet sich bald die Tür und die Ersten treten ein.
Einige, die ich schon seit Jahren kenne, begrüße ich mit Umarmung, andere mit einem Nicken und schon beginnen die Unterhaltungen. Die Zeit vergeht wie im Flug, und wie von mir erwartet wird es lauter und lauter. Anstrengender und Anstrengender den Gesprächen, die sich gegenseitig zu übertönen versuchen, zu folgen. Doch Zähne zusammenbeißen und durch. Im Austausch bleiben und schauen, was es neues bei den Freunden und Bekannten gibt.
Die Zeit vergeht und die Müdigkeit stellt sich bei mir ein. Müdigkeit. Meine Gedanken schweifen ab, zurück in meine Kindheit, als ich nicht verstehen konnte, dass bei Geburtstags- und andere Feiern meine Eltern schon zwischen acht und neun Uhr gehen wollten. Der Abend war doch noch jung! Doch mit dem Eintritt ins Berufsleben und dem Älterwerden, merkte ich auch bei mir, dass mir mehr und mehr die Kraft fehlte, nach einem langen Tag, bis spät in die Nacht, wach und aktiv zu bleiben. So ändern sich die Perspektiven.
Ich schließe kurz die Augen. Die Gespräche um mich herum sind beinahe unerträglich laut. Ich öffne wieder die Augen und beschließe zu gehen. So stehe ich auf, bezahle, verabschiede mich von meinen Freunden und Bekannten und verlasse das Restaurant.
Außerhalb des Restaurants komme ich wieder zur Ruhe und stelle fest, dass es schön ist Freunde und Bekannte zu treffen, auch wenn es das ein ums andere Mal anstrengend ist. Doch der Austausch, das gemütliche Beisammensein, sind dafür Ausgleich genug, und es ist sicherlich besser als seine Abende vor einem Bildschirm dahinzuvegetieren.