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Du lebst nur einmal – Teil 7: Kultur

Geschätzte Lesezeit: 6 Minuten

Das Hörspiel endet, aber ich weiß eigentlich gar nicht, was ich da gerade hörte, zu weit weg waren meine Gedanken. Auch meine Müdigkeit ist noch vorhanden. Was soll ich nur tun? Ich gehe zum Schallplattenspieler und lege eine Platte auf. Aus den Boxen klingen jetzt Lieder der Band „Dritte Wahl“. Lieder, die eine Kritik an unseren zerstörerischen Lebensstil üben. Lieder, die Steuervermeidung, Umweltzerstörung und rechtes Gedankengut geißeln. Ich mag die Lieder und fange an mitzusummen, wobei ich mich wieder aufs Sofa lege.
Während ich der Musik lausche, wandern meine Gedanken zu den Musikgruppen. Besonders zu den eher unbekannten Gruppen, von denen die Mitglieder häufig einen Zweitjob haben, um über die Runden zu kommen und trotzdem viel Zeit und Energie in ihre Musik stecken, zum einen, weil es ihnen Spaß macht und zum anderen, weil sie Menschen unterhalten und zum Nachdenken anregen möchten. Wobei es da auch Ausnahmen gibt. Ausnahmen, in denen eine Gruppe menschenfeindliche Ideologien oder Propaganda verbreitet, in dem sie gegen Andersdenkende oder Aussehende hetzen und bestimmte Rollenbilder, die sich eigentlich schon selbst überlebte, propagieren, unter anderem die Rolle der Frau, als dem Mann untergeordnet. Ja, es gibt auch Kulturtreibente, die spalten, hetzen und zerstören wollen und man muss die Kraft haben diesen zu widerstehen und Kontra zu geben.
Meine Gedanken wandern weiter, zu der „Geiz ist Geil“ Mentalität, die viele Menschen auch in Bezug auf die Musik, wenn nicht gar auf die Kultur im Allgemeinen, an den Tag legen. Die Künstler bereichern uns unseren Alltag, in dem sie Lieder singen, Bücher schreiben und Theater-, Film- und Fernsehstücke darbieten und uns damit zum Nachdenken, zum Lachen und im besten Fall zum Träumen bringen. Doch wir leben in einer Flatratezeit, in der man für wenig Geld möglichst viel konsumieren möchte. Wobei dieses Verhalten dazu beiträgt, dass die Mainstream-Künstler, die möglichst keine Angriffspunkte bieten, das meiste Geld kassieren, während die, die kritische Texte, kritische Lieder oder kritische Filme drehen, die nur ein Nischenpublikum bedienen, wenig bis gar nichts bekommen, wenn ihre Lieder oder Filme gestreamt werden. Zwar werden sie auch auf den Streamingdiensten gehört und gesehen, doch es ist, wie so häufig in Bezug aufs Internet: „The winner takes all“. Ferner trägt diese ständige Verfügbarkeit von Musik dazu bei, dass sie entwertet und zur Hintergrundmusik verkommt. Wir nehmen die Musik nicht mehr bewusst wahr, da sie einfach immer und überall um uns herum ist und so wird sie mit der Zeit zum weisen Rauschen.

Ich denke zurück, zurück in eine andere Zeit, als ich noch jünger war. Zurück an meines erstes Konzert, auf dem ich allein war. Es war während meiner Ausbildung und setzte mir eine Flamme ins Herz, die mich dazu brachte, während meiner Ausbildungs- und anschließenden Gymnasiumszeit regelmäßig auf Konzerte zu gehen. Bei den Konzerten, auf denen ich war, war meistens gute Stimmung und es machte Spaß, die Musik zu hören und mitzusingen. Eigentlich nur einmal war ich enttäuscht und die Musikgruppe danach für mich gestorben.
Es war bei einem Unifest, bei dem mein Bruder mit im Organisationskreis tätig war. Über Kontakte hatten sie es geschafft, dass an diesem Abend auch eine schon etwas bekanntere Band auftreten würde. Eine Band, bei der ich auch schon einmal auf einem Konzert war, das mir richtig Spaß gemacht hatte. Mein Bruder, der wusste, dass ich die Band hörte, fragte, ob ich nicht beim Unifest helfen und am Abend die Band hören wollte. Ich stimmte zu.
So kam der Tag des Festes und das Helfen beim Aufbau und der Organisation machte mir viel Spaß, wobei sich mit Erscheinen der Hauptband auf dem Unigelände schon abzeichnete, dass es kein angenehmer Abend wird. Sie bekamen einen Schulungsraum, als Aufenthaltsraum und belegte Brote, Obst und später sogar warmes Essen und ich spielte etwas Aufpasser, da die für den Nachmittag angeheuerte Security für das Unifest, noch nicht anwesend war. So stand ich bei der Tür des Schulungsraums und während die Crew und zwei der Bandmitglieder nett und gut gelaunt waren, pöbelten zwei der Mitglieder nur herum und wanden sich auch bald dem Alkohol zu. Mich nervte es, dieses Verhalten zu sehen und so war ich froh, als endlich die richtige Security kam und ich weg konnte. Anschließend half ich noch bei der Einlasskontrolle und schließlich war es Abend und die Band sollte spielen. Die Band kam auch, doch im Gegensatz zu dem Konzert, auf dem ich sie das erste Mal sah, machten sie keine gute Stimmung, sondern spielten nur ihre Lieder herunter. Nach etwas mehr als einer Stunde beendeten sie das Konzert und gingen aufs Unifest, wo ein Teil von ihnen noch mehr soff und anschließend die zwei Bandmitglieder, die mir schon am Nachmittag negativ aufgefallen waren, zwei junge Mädchen mit in den Schulungsraum schleppten und kräftig mit ihnen soffen.
Schließlich endete das Unifest, und sie wurden aufgefordert, das Unigelände zu verlassen, doch die zwei saufenden Bandmitglieder weigerten sich, stattdessen pöbelten sie herum und es wurde sogar überlegt, sie von der Security vom Unigelände entfernen zu lassen. Doch die zwei vernünftigen Bandmitglieder und zwei von der Crew, denen das Verhalten ihrer Bandkollegen sichtlich unangenehm war, schafften es schließlich ihre Bandkollegen zum Gehen zu bewegen.
So war die Band gegangen und der Schulungsraum lag vermüllt und nach Alkohol riechend vor uns da. In diesem Moment war die Band für mich gestorben, obwohl zwei ihrer Mitglieder und die Crew wirklich nett gewesen waren, doch der Sänger und das vierte Bandmitglied haben mir die Lust auf ihre Musik echt verleidet, sodass ich nicht mehr ihre Musik hören konnte, ohne an dieses Rücksichtslose, dass sie beim Unifest an den Tag legten, zu denken.

Meine Gedanken wandern weiter in die Zukunft, über viele schöne Konzerte, zu dem letzten, auf dem ich war, was aufgrund der Pandemie auch schon wieder eine halbe Dekade her ist.
Auf das Konzert ging ich mit einer Bekannten, die sich mehr oder weniger aufdrängte, als sie hörte, dass ich auf das Konzert gehen möchte. Eigentlich wollte ich sie nicht dabeihaben, da sie gegenüber anderen immer übertrieben fröhlich und gut gelaunt, um nicht so sagen „schrill“ auftrat. Man konnte mit ihr versuchen, ein ernstes Gespräch zu führen, doch sobald ihr Smartphone klingelte, schaltete sie um und plärrte übertrieben aufgedreht in es hinein. Es war einfach anstrengend. Aber gut. Schließlich sagte ich ja und besorgte für uns beide die Konzertkarten.
Wir trafen uns am Abend des Konzertes in der Schlange vor dem Veranstaltungsort. Während wir auf den Einlass warteten, quatschten wir miteinander und ich stellte fest, dass es sich recht gut mit ihr unterhalten ließ, wenn sie nicht gerade versuchte, anderen Menschen zu gefallen oder übertrieben glücklich zu wirken, obwohl sie es nicht war. Um es kurz zu machen, es war ein schönes Konzert und wir vereinbarten, mal wieder etwas zu unternehmen. So kamen es, dass wir bald darauf eine Buchlesung besuchten, die ich ausgesucht hatte, und drei Tage später einen Kinofilm anschauten, den sie sich herausgesucht hatte.
Während der zwei Termine bemerkte ich, dass Kultur nicht nur verbinden, sondern auch voneinander trennen kann, denn während das Konzert uns noch beiden gefiel, so war die Buchlesung nichts für sie, zu eintönig und uninteressant, und auch fachlich über die vorgestellte Thematik zu diskutieren war nicht möglich, da sie alles, was sie nicht unmittelbar selbst betraf, nicht interessierte. Was den Kinofilm betraf, so handelte es sich bei ihm um eine seichte Komödie, ohne jegliche gesellschaftliche Kritik. Es war ein einfacher Film zur Unterhaltung und zum Zeitvertreib, der auch keinen höheren Anspruch hatte.
Nach dem Kinobesuch merkten wir, dass wir doch kaum was miteinander unternehmen könnten, da sich der eine von uns unterfordert und der andere überfordert von den Unternehmungen fühlte und wir beiden eben unterschiedliche Ansprüche an die Kultur haben. Der eine als Zeitvertreib, der andere als Mittel, die Menschen zum Nachdenken zu bringen, Wissen zu vermitteln und die Welt zu einer besseren zu machen. Welche Art des Kulturgenusses wohl die bessere ist, um glücklich und bewusst zu leben?
Meine Gedanken wandern wieder ins hier und jetzt und mir wird bewusst, dass ein Leben ohne Kultur nur langweilig und fad sein kann. Ein Leben ohne Bücher, Filme und Musik, wer möchte das schon?

Die Zeit vergeht und ich merke, wie meine Gedanken immer träger werden. Mit halbem Ohr höre ich den Liedern, die von der Schallplatte wiedergegeben werden, zu und schließlich, zum Lied „Panama“, nimmt mich Morpheus in seine Arme.

Published inErzählungen