Zum Inhalt springen

Du lebst nur einmal – Teil 10: Der Spieleabend

Geschätzte Lesezeit: 7 Minuten

Es ist Freitagabend und ein paar Freunde und ich haben uns zum Spieleabend getroffen. Jetzt sitzen wir zu viert am Tisch und spielen EXIT-Games und Wizard. Die zwei Arten von Gesellschaftsspielen spielen wir, da einige von uns nicht tagtäglich in Wettstreit treten möchten, sondern gemeinsam Rätsel und Aufgaben lösen und einige andere von uns nicht gerne als Teil einer Gruppe um einen gemeinsamen Sieg spielen, sondern gerne sich mit den andern messen möchten. Dadurch sind die Spiele ein Stück weit der Spiegel unserer Gesellschaft, in der einige zusammenarbeiten, um Probleme und Aufgaben zu lösen, während andere wiederum sich nur messen möchten, um zu zeigen, wie gut sie im Vergleich zu anderen sind.
Mir persönlich gefallen die kooperativen Spiele besser, da man da zusammen an der Lösung arbeitet und nicht nur für sich überlegt, wie man andere übertrumpfen kann. Dass Menschen andere Menschen übertrumpfen und zum Teil schlecht da stehen lassen möchten, begegnet mir schon im Alltag genug, in dem sich Menschen auf Kosten anderer bereichern und sich zum Teil mit fremden Federn schmücken, um gut dazustehen, gelobt oder befördert zu werden. Sie sind sich selbst die nächsten, während andere nur Mittel zum Zweck sind und dieses Verhalten soll ich dann noch in meiner Freizeit, beim Spielen, ertragen? Wohl eher nicht.
Aber so wie es in der Demokratie sein sollte, so ist es auch bei unseren Spieleabenden, wir stimmten ab und spielten dann meistens je zur Hälfte, kooperative Spiele und Spiele, in denen man im Wettstreit zueinander steht.

Was die Anzahl an Spielern betrifft, so waren wir früher mal mehr, doch es kam, wie es so häufig im Leben kommt, und erst begannen einige immer wieder Termine ausfallen zu lassen oder kurzfristig abzusagen, wobei sie häufig meinten, dass sie bei einem anderen Termin wieder teilnähmen, aber das taten sie nicht. Man fragte noch ein paar mal nach, da sie ja immer auf einen anderen Termin verwiesen, doch ließ man es dann auch irgendwann bleiben, weil gar keine Reaktion mehr auf die Nachfrage erfolgte. Sie wurden zu Geistern. Zu Geistern, von denen man nicht wusste, warum sie nicht mehr reagierten und von denen man nicht wusste, warum sie plötzlich zu Geistern wurden, weil sie eben immer nur schrieben: „Beim nächsten Mal.“, bevor sie schließlich gar nicht mehr antworteten.
Doch Gedanken über diese Menschen zu verschwenden, bringt einem auch nichts, denn davon werden die Geister nicht wieder zu Menschen, die das eigene Leben bereichern, sondern sie verfolgen einen nur immer und immer weiter, weil man sich selbst quält und fragt, warum sie auf einmal nicht mehr antworteten und an den Veranstaltungen teilnahmen. Ich denke an all die Freunde und Bekannten, die wortlos zu Geistern wurden. Ich stelle fest, dass Jahr für Jahr neue dazu kommen und frage mich, ob es schon immer so war, dass Menschen plötzlich aufhörten zu interagieren und auf Nachfragen nicht mehr zu antworten, oder ob das eine neue Marotte ist, die unserem modernen Zeitgeist geschuldet ist. Ich finde keine Antwort auf die Frage und so bleibt mir nur, mit dieser gesellschaftlichen Ausprägung zu leben und zu versuchen, nicht selbst für andere Menschen plötzlich zum Geist zu werden, da mir ein solches Verhalten gegen den Strich geht, aber ich auch schon häufig merkte, das Verhaltensweisen, die man immer und immer wieder erlebt, dazu neigen auf einen abzufärben, wenn man nicht bewusst mit ihnen umgeht und sie bewusst aus dem eigenen Leben verbannt.

Nachdem wir zwei Spiele gespielt haben, machen wir eine Pause, um zu Abend zu essen. Während wir gemeinsam kochen, meint eine der Anwesenden zu einer Bekannten und mir, die wusste, dass wir beide Singles sind, dass wir doch ein schönes Paar abgäben. Worauf die Angesprochene meinte, dass wir ja schon einmal auf einem Date gewesen seien, es aber nicht richtig gefunkt hätte, worauf es an mir war, perplex zu schauen und zu fragen, wann denn das gewesen sein soll.
Auf meine Aussage hin fing meine Bekannte an, verbal zu schwimmen und meinte: „Na ja, ‚Date‘ ist vielleicht das falsche Wort. Wir haben auf jeden Fall etwas gemeinsam unternommen und es hat zwar Spaß gemacht, aber eben nicht gefunkt.“ Worauf hin ich überlege, wann wir mal nur zu zweit etwas unternommen haben und mir fällt nur ein Spaziergang vor drei Jahren ein, worauf ich meine Bekannte anschaue und meine: „Du meinst doch nicht etwa den Spaziergang vor drei Jahren? Hätte ich gewusst, dass das ein Date ist, hätte ich Blumen mitgebracht.“ Worauf hin mich meine Bekannte wiederum verblüfft ansieht.
Während wir fertig kochen und den Tisch decken, wandern meine Gedanken immer wieder zurück zu dem Spaziergang vor drei Jahren. Ich überlege, wie es zu dem Spaziergang kam. Die Idee dafür kam, als wir mit anderen Freunden gemeinsam in einem Restaurant waren. Sie meinte da, dass sie am kommenden Wochenende nichts vorhabe und noch nach einer Beschäftigung suchte. Auf ihre Aussage hin meinte ich, der bis dahin auch noch nichts Spezifisches vorhatte, dass wir uns ja treffen und eine Runde spazieren gehen könnten. Sie stimmte zu und so trafen wir uns das Wochenende darauf am Bahnhof und machten uns auf zu einem Spaziergang. Der Spaziergang ging über etwa zehn Kilometer und wir ließen ihn anschließend in einem Restaurant ausklingen.
Während des Spaziergangs redete die meiste Zeit meine Bekannte, während ich mich darauf zurückzog, zuzuhören und auf ihre Ausführungen einzugehen. Wobei mir bis heute am präsentesten der Satz ist, den sie mehrmals wiederholte, wenn sie mir etwas erzählte. Der Satz war: „Aber ich weiß gar nicht, warum ich dir das genau erzähle.“ Ich ging auch nicht auf diesen Satz ein, da ich es einfach mochte, wie sie erzählte und lachte. Warum sollte ich sie also mit Nichtigkeiten unterbrechen oder von mir erzählen? Vor allem, was hätte ich schon von mir erzählen können? Ich lebte mein Leben, las gerne und versuchte, meinen umweltrelevanten Fußabdruck möglichst gering zu halten. Solche Erlebnisse und Geschehnisse, von denen sie berichtete, sind mir noch nie widerfahren und würden mir mit ziemlicher Sicherheit auch nicht widerfahren. So wie dieser Spaziergang verlief, war es einfach ein schöner Tag, und nachdem wir im Restaurant gegessen hatten, verabschiedeten wir uns voneinander.
Am Tag darauf schrieb ich ihr dann noch, dass mir der Spaziergang Spaß gemacht habe und wir gerne mal wieder etwas unternehmen könnten, doch es kam nie eine Antwort darauf.

Jetzt, beim Spieleabend, sehe ich sie an und frage mich, ob da nicht hätte mehr sein können. Ich sehe sie an, höre ihr Lachen und frage mich, ob es ein Fehler ist, wenn man neuen Menschen begegnet, immer in das Kennenlernen mit der Frage an sich selbst einzusteigen, ob man Freunde sein kann, oder ob man ins Kennenlernen, bei Menschen die einem gefallen, mit der Frage einsteigen müsste, ob man nicht auch ein Paar sein könnte? Verändert sich durch die Art, wie man in den Kennenlernprozess einsteigt, die Art, wie man auf die Menschen wirkt und schließt das eine das andere aus? Sollte man nicht erst zu Freunden werden und dann schauen, ob da nicht auch mehr daraus werden kann?
In dem Moment fällt mir ein Spruch ein, den ich schon häufiger, sowohl von männlichen als auch weiblichen Bekannten hörte. Der Spruch: „Du bist ja voll in der Friendzone gefangen.“, womit sie meinten, dass keine der Frauen, die mir gefielen und die Single waren, mit mir etwas anfingen, da sie eben unsere Freundschaft nicht riskieren wollten.
Doch ist dem wirklich so? In unserer Gesellschaft, mit den ganzen Vorurteilen und durch Medien geprägten Bildern der sozialen Eigenschaften und Verhaltensweisen von Männern und Frauen, sicherlich schon. Doch ist es nicht auch anstrengend und wenig zielführend, wenn man Single ist und eine Beziehung führen möchte, allen neuen Menschen, denen man begegnet und an denen man potenziell Interesse hat, unter der Fragestellung zu begegnen: „Ist das der Mensch, für das zukünftige Leben in Zweisamkeit?“ oder verschenkt man dadurch und dem damit verbundene Auftreten nicht auch die Chance, einfach gute Freunde und Bekannte kennenzulernen? Da zum einen vielleicht das eigene, suchende Auftreten auf den anderen abstoßend wirkt oder man sich selbst zurückzieht, wenn die eigenen Hoffnungen enttäuscht werden? Man ist das kompliziert!
Ich sehe noch einmal zu meiner Bekannten, die gerade herzlich lacht und stelle fest, dass es wirklich schön wäre, mit ihr mehr Zeit zu verbringen und eventuell zusammenzuleben, doch niemals um den Preis, dass unsere Freundschaft darunter litte, denn wie hatte sie für sich entschieden: „Es hat einfach nicht gefunkt.“, und trotzdem kann man ja die gemeinsame Zeit, als Freunde, genießen.

Nachdem wir gegessen haben, spielen wir noch zwei Spiele, bevor sich jeder auf seinen Heimweg macht. Es war wirklich ein schöner und unterhaltsamer Abend. Ein Abend, der sicherlich mein Leben bereicherte.

Published inErzählungen