Endlich Urlaub. Drei Wochen nicht an Arbeit denken, entspannen und wandern gehen. Ich freue mich darauf. Die ersten Tage bringe ich meine Wohnung in Ordnung, dann gehe ich einige Tage wandern und während ich wandere, beginnen auch meine Gedanken zu wandern. Sie wandern zu den Erlebnissen der letzten Monate. Und ich bin überrascht, dass das hauptsächlich negative Momente sind. Streit, Auseinandersetzungen und Missgunst. Mein Leben besteht doch nicht nur aus solchen Momenten, oder?
Ich denke intensiv nach und stelle fest, dass zwischen diesen Momenten viele schöne Momente liegen. Das Treffen mit Freunden. Die gemeinsamen Spieleabende. Das gemeinsame Kochen. Das geborgene Gefühl, wenn ich mit meiner besten Freundin unterwegs bin.
Warum muss ich intensiv nachdenken, um mich an diese schönen Momente zu erinnern? Warum sehen wir Menschen häufig das Negative eher als das Positive? Warum freuen wir uns nicht über die vielen Jahre, die wir eine Freundschaft oder eine Liebesbeziehung führen, sondern reduzieren sie meistens auf den Schluss? Es kann ja nicht alles schlecht gewesen sein, sonst hätte die Freundschaft oder Beziehung ja nicht so lange gehalten.
Ich glaube beinahe, dass die Menschen ein Drama brauchen. Sie brauchen Fallhöhe, damit ihre Neugier und ihre Schadenfreunde gedeckt sind. Man denke an die Schaulustigen bei einem Umfall, die sich am Leid und an der Zerstörung ergötzen, anstatt zu helfen. Man denke an die Menschen, die immer nur nörgeln, dass alles schlechter und schlechter wird, wobei der Lebensstandard über die Jahre stieg. Dabei fällt mir auch auf, dass ein Grund dafür sein kann, dass wir uns nur an schlechte Dinge erinnern, dass wir immer mehr und mehr haben möchten. Mehr Anerkennung. Mehr Freunde. Mehr Geld. Der Status quo ist uns nicht genug, und selbst wenn wir aus sehr hoher Höhe nur ein kleines Stück fallen, ohne dass uns wirklich etwas passiert, ist das gleich ein Drama. Ein Drama, wie wir es gerne in einem Roman lesen oder bei anderen zur Unterhaltung sehen, solange es uns nur nicht selbst betrifft.
Ich denke an einige der vergangenen Geschehnisse zurück. Das Ende der Freundschaft zu meinem alten Klassenkameraden? Irgendwie tragisch, wie er sich entwickelt hat, aber viele Jahre hatten wir eine Menge Spaß und diese Erinnerungen sind ein Teil von mir und meinem Leben und nicht unbedingt ein schlechter. Das Ende der Freundschaft zur guten Freundin, schade und sinnlos, aber wir pflegten sie viele und schöne Jahre, warum nicht diese anstatt des Endes in der Erinnerung und im Herzen behalten? Der Tod des Katers? Früher oder später unausweichlich, aber wir hatten eine schöne Zeit und er bereicherte mir mein Leben viele Jahre lang.
Ferner gibt es noch die Momente, die eigentlich schön waren, die ich aber gar nicht bewusst wahrnahm. Die Wanderung mit Freunden. Die strahlenden Augen meines Neffen und meiner Nichte, wenn ich ihnen mit Kleinigkeiten eine Freude machen konnte. Das erstmalige Gehen auf eine Demonstration mit einer Bekannten, um auf ihr zu sehen, wie viele Menschen sich für die gleiche Sache einsetzen. Der blühende Balkonkasten, mit selbst ausgesäten Pflanzen und die Hummeln und Bienen, die um ihn schwirren. Die Freude von Tieren aus Tierheimen, wenn man sie adoptiert und ihnen ein möglichst gutes Leben bietet, anstatt dass man Tiere von Züchtern holt, die am Ende noch Qualzucht betreiben, einfach, weil es einen Markt dafür gibt, da viele Menschen nicht an das Wohl der Tiere denken, sondern nur an das, was sie sich als Wunsch vorstellen. Vielen Tieren und Menschen wäre geholfen, wenn sie langfristiger im Umgang mit Tieren dächten und dadurch nicht leichtfertig das Glück der Tiere und ihr eigenes verspielten.
Ich merke, wie meine Gedanken abschweifen. Wie sie sich wieder auf das Negative richten und so denke ich wieder an die schönen Momente. An den Baum und die Pflanzen, die ich aus kleinen Stecklingen zog und verschenkte, um anderen eine Freude zu machen. Die Erkenntnis, dass man auch im Kleinen etwas zum Positiven verändern kann, wenn man nicht nur an sich selbst denkt, sondern etwas erschafft, was die Welt zu einem besseren Ort macht oder Lebensinseln für Tiere erschafft, wie der kleine Teich im Garten meines Vaters, an dem man jetzt Frösche, Libellen und allerhand andere Tiere beobachten kann.
An dieser Stelle meiner Gedanken fällt mir die Begegnung mit einer alten Klassenkameradin auf einem Klassentreffen ein. Am Ende unserer Schulzeit zog sie ins Ausland und am Anfang schrieben wir uns noch, doch mit der Zeit, mit dem Mangel an Begegnungen und gemeinsamen Momenten, schlief die Bekanntschaft ein. Zwanzig Jahre nachdem ich sie zum letzten Mal gesehen hatte, steht sie auf dem Klassentreffen plötzlich wieder vor mir, lächelt mich an und wir kommen sofort ins Gespräch. Wir sind sofort wieder auf einer Wellenlänge, so als lägen keine Jahrzehnte zwischen diesem und unseren letzten Treffen. Die Zeit verging wie im Flug und schon bald musste sie wieder gehen, da am nächsten Morgen ihr Flugzeug in ihre Heimat ging. Zur Verabschiedung umarmen wir uns. Ich spüre ihre vertraute Nähe, gerade so, wie ich sie als Jugendlicher spürte. Ich denke an die Zeit zurück, an den Schabernack, den wir gemeinsam trieben und lächelte, obwohl ein Teil von mir aufgrund des baldigen Abschieds traurig war. Ich sagte zu ihr: „Schön, dich mal wieder gesehen zu haben. Vielleicht schaffen wir es ja, uns häufiger zu sehen, als alle zwanzig Jahre.“, worauf hin auch sie lächelte und meinte: „Schauen wir mal, aber selbst wenn, die Momente, die wir gemeinsam erlebten und wie sie uns prägten, werden auf jeden Fall ein Teil meines, und sicherlich auch deines Lebens bleiben.“ und dann ging sie fort.
Nach dieser Erinnerung frage ich mich, warum ich nicht gleich diesen Moment als glücklichen Moment wahrgenommen habe. Warum musste ich erst zur Ruhe kommen und mich daran erinnern, dass es wirklich ein schöner Moment war, der mich erfreute und mein Leben bereicherte?
In diesem Moment beschließe ich, mein Augenmerk nicht nur auf das Negative zu legen, sondern auch auf das Positive. In mir und in der Welt dem Negativen die positiven Werte und Momente entgegenzuhalten. Im Klein anzufangen, positiv zu wirken, da sich das Positive auch auf das eigene Gemüt auswirkt.