Ich habe mein Zeitgefühl verloren. Jeder Tag ist wie der andere. Ich vegetiere dahin, in meiner 16 Quadratmeter großen Wohnung. Einer Wohnung, die aus einem Kleiderschrank, einem Bett, einem Schreibtisch, auf dem ich ein kleines Kochfeld stehen habe, und einem Minikühlschrank, der fast immer leer ist, besteht.
Ich sitze auf meinem Bett und schaue aus dem Fenster. Ich sehe nur lauter Wohneinheiten, die wie meine aussehen, und eine tote, durchorganisierte Stadt. Eine Stadt ohne wirkliches Leben. Ich frage mich, wie es nur so weit kommen konnte, und zünde mir eine Zigarette an. Als ich zum Ausatmen nach oben schaue, sehe ich den Raumelder, den ich dahingehend manipuliert habe, dass er nie auslöst. Sollen sie mich doch verklagen, denn bei mir gibt es eh nichts mehr zu holen, und wenn es brennen und ich sterben sollte, hätte ich es wenigstens hinter mir. Ich lasse mich wieder zurück auf mein Bett sinken. Liegend rauche ich die Zigarette. Schon komisch, früher, als ich noch nicht rauchte, verstand ich die Aussage einiger Bekannter nicht, dass sie kein Geld hätten, aber trotzdem rauchten, denn es ist wirklich eine teure Angelegenheit. Doch die Antwort, die sie mir auf meine Frage gaben, bestätigte sich auch bei mir: Für Zigaretten findet man immer Geld, wenn man süchtig ist, wie ich, und notfalls spart man es sich am Essen, an der Kleidung oder an den Hygieneprodukten ab.
Doch wie landete ich nun in dieser Situation, in der ich mich jetzt befinde? Ich denke zurück. Zurück, an den letzten Job, den ich hatte, bevor ich als widerspenstig und unbelehrbar aussortiert wurde. Dieses Aussortieren begann, als mein letzter Arbeitgeber, mit Nachdruck, sogenannte „KI-Tools“ einführte und uns die Vorteile damit verkaufte, dass wir so Entlastung erführen und mehr Zeit für unsere eigentliche Arbeit hätten. Doch die Beispiele für Entlastung, die sie uns nannten, waren überwiegend einfach lächerlich.
Sie gaben selbst zu, dass die „KI“ halluzinieren, also Daten wiedergeben könnte, die nirgendwo stehen oder sich in den aufgeführten Quellen nicht finden ließen, und wir deswegen alle Antworten überprüfen sollten. Auf die Frage, wo wir denn dann Zeitersparnis hätten, antworteten sie: „Na ja, man muss sich auf die ‚Quick-Wins‘ fokussieren.“ und als ich fragte, was das sein sollte, brachten sie tatsächlich das Beispiel, dass ich ja die „KI“ nach meinen täglichen Terminen fragen könnte, und sie mir diese ausgäbe. Ich konnte es nicht glauben, das sollte ein Quick-Win sein? Mit einem Klick auf dem Monitor sah ich meine Termine, und bei der „KI“ musste ich ganze Sätze schreiben oder sie verbal fragen, wobei sie bei meinem Dialekt nur die Hälfte verstand, also viel mehr Arbeit als bisher betreiben, und das sollte ein „Quick-Win“ sein? Na danke!
Aber gut, damals wollte ich nicht alles negativ sehen, also überlegte ich, wo ich die „KI“ sinnvoll einsetzen könnte, und als ich einmal zwei Tabellen mit Zahlen vergleichen sollte, sah ich die Chance für den Einsatz der „KI“ gekommen. So fragte ich die, in das Tabellenkalkulationstool integrierte, „KI“: „Gib mir die Zahlen aus, die nur in einer der beiden Tabellen vorkommen.“ Die „KI“ gibt mir zwei Zahlen aus. Da ich die Tabellen aber schon vorher überflogen hatte, ist mir aufgefallen, dass es mindestens drei Zahlen sind, die nur einmal vorkommen. So suche ich die dritte und frage die KI, wo in der Tabelle sie die Zahl fände. Die Antwort ist A273 und „B “ Ich sage, dass das nicht richtig ist und die Zahl nur einmal vorkommt, doch die KI bleibt bei ihrer Aussage. Soviel zur Verlässlichkeit.
Doch da meine Arbeitskollegen so viel vom Einsatz der „KI“ hielten, setzte ich mich am Abend zu Hause hin und testete die Genauigkeit der „KI“ mit privaten Fragen, auf die ich die Antwort mehr oder weniger bereits wusste. Bei meinem Test kam heraus, dass die „KI“ bei 30 % meiner Fragen eine falsche Antwort lieferte. Angefangen mit der einfachen Frage: „Wie kann ich bei der Mobilität Geld sparen?“ Worauf sie unter anderem antwortet, mit dem Deutschlandticket, das 49 € kostet, worauf ich erwidere, dass es bereits seit zehn Monaten 58 € kostet, und die „KI“ mir, nach meiner Rückfrage, nach einigem Rechnen recht gibt. Auch das Schnittbild durch ein Kugelsektorventil im geschlossenen Zustand, ist eine Kombination aus Schieber und Kugelsektorventil, wobei die Komponenten auch noch recht beliebig benannt wurden.
Soviel zu meinem ersten Eindruck. Doch da eine „KI“ ja auch aus der Interaktion mit den Nutzern lernen sollte, fragte ich sie nach drei Tagen noch einmal nach dem Preis für das Deutschlandticket, und die „KI“ gab mir wieder 49 € aus. Daraufhin schrieb ich, dass sie mir bereits einmal die falsche Antwort gegeben habe, und fragte sie, wann ihre Datenbank denn aktualisiert würde, worauf die „KI“ meinte: „Das ist eine berechtigte Frage, sie wird zu festen Zeitpunkten aktualisiert. Ich stoße jetzt eine Aktualisierung an.“ Ich denke bei mir, dass in unserer kurzlebigen Zeit über zehn Monate alte Daten schon ein Problem sein können. Aber zumindest diesmal hat die „KI“ ihre Datenbank aktualisiert, denn beim nächsten Test, einen Tag später, gibt sie die richtigen Kosten für das Deutschlandticket aus.
Das war also meine erste Begegnung mit einer „KI“, nicht gerade vielversprechend.
Jetzt, in der Gegenwart, macht sich meine Blase bemerkbar, und so stehe ich auf und mache mich auf den Weg zur Gemeinschaftstoilette, denn in meiner Wohneinheit gibt es nur Gemeinschaftstoiletten und Duschen.
Ich erreiche die Toilette und ein übler Gestank steigt mir schon im Flur in die Nase. Als ich die Toilette betrete, wird mir schlecht und ich fange an zu würgen. Sie ist komplett verschissen. Der Würgreiz wird unglaublich stark und mir steigt Magensäure in den Mund. Was für ein ekliger und brennender Geschmack. Mit Abstand stelle ich mich vor die Toilettenschüssel und uriniere im Stehen, da haben Männer echt einen Vorteil. Ich wüsste nicht, wie eine Frau diese Toilette noch benutzen sollte, ohne sich mit Scheiße zu beschmieren, die wirklich überall klebt. Während ich so pisse, stelle ich fest, dass der Zustand der Toilette gut die Einstellung von uns Menschen zu Dingen widerspiegelt, die uns nicht selbst gehören. Wir vernachlässigen sie und lassen sie verwahrlosen, denn es wird sich ja sicherlich jemand anderes darum kümmern. Doch Pustekuchen, wie man auch an unserem Planeten sieht, den wir mehr und mehr ausbeuten auf unserer Suche nach persönlicher Bereicherung.
Mein kleines Geschäft erledigt und die Hände gewaschen, kehre ich in meine kleine Welt, mein Zimmer, zurück. Dabei frage ich mich, wie Menschen nur so eklig sein können. Dabei stelle ich fest, dass das schon immer so war, und somit haben sie vielleicht sogar das verdient, was die „KI“ aus ihnen machte und immer noch macht.
Zurück in meinem Zimmer, lege ich mich wieder auf mein Bett, starre an die Decke und überlege, wie meine Auseinandersetzung mit den „KIs“ weiterging. Das, was mir als Erstes einfällt, ist, wie ich eines Abends mit Bekannten zusammensaß und sie davon schwärmten, was „KI“ alles könnten. Eine Bekannte meinte, dass „KI“ ihr Leben ungemein erleichterte, da sie die „KI“ fragen könne, was mit bestimmten Nachrichten gemeint sei, die sie von Freunden, Bekannten oder Fremden erhält, ohne sich selbst den Kopf darüber zerbrechen zu müssen. Damals erwiderte ich, dass das doch irrsinnig sei, da die „KI“ gar nicht die Historie, die sie und die jeweilige Person hätte, kenne, und sie darum nur stochastische Mittelwerte ausgeben könne, die aber Menschen, die nicht dem Durchschnitt oder der Norm entsprächen, immer missinterpretierte. Doch sie blieb bei ihrer Meinung, einfach, weil es für sie bequem war und sie sich nicht mehr selbst Gedanken machen musste, was gemeint sein könnte.
Ach, Gedanken machen… Viele der Bekannten schwärmten auch, dass sie die „KI“ jetzt auch Geburtstagstexte und Gedichte schreiben ließen, ohne sich mehr Mühe machen zu müssen, da der Unterschied zwischen „KI“-generiert und durch einen Menschen geschrieben kaum noch jemandem auffiel. Doch damit war das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht, nein, schließlich ließen die Leute immer mehr Medien, als sogenannte Kultur online durch die „KI“ generieren und sie verbrachten noch mehr Zeit vor den großen und kleinen Bildschirmen, die sie durch ihren Alltag begleiteten. Der Mensch wurde zu einem reinen Konsumenten, der keine Kultur mehr erzeugte, eben weil die Menschen, das von Menschen Gemachte nicht mehr wertschätzten.
Was die ökonomisch-sozialen Auswirkungen betrifft, so wurden einige Reiche, noch reicher, da sie die Produktivität ihrer Anlagen steigern und Arbeitskosten einsparen konnten. So verloren viele Datenanalysten und Arbeiter ihre Jobs und rutschten in prekäre Verhältnisse ab. Anfänglich hieß es noch, dass die Menschen wie im Laufe der industriellen Revolution auch wieder andere, höherwertige Arbeit fänden, doch das stimmte nicht. Stattdessen wurde das Proletariat das Sammelbecken derer, deren Arbeitsleistung nicht mehr benötigt wurde, da der Staat und die Sozialsysteme nicht die finanziellen Mittel besaßen, sie menschenwürdig aufzufangen. Das Proletariat wuchs und sie hatten keine Chance aufzusteigen, denn nur denen, die viel Geld hatten, gelang es, auf der Welle zu schwimmen, alle andern wurden auf den Grund gezogen. Doch nicht nur das, es war auch ein Stück weit nicht mehr gewünscht, dass sie arbeiteten, denn dann fielen sie als Konsumenten weg, die den ganzen Tag, mit „KI“-generierten Inhalten ihre Zeit totschlügen, und BIG-Tech könnte nicht mehr so viel verdienen und die Meinung manipulieren.
Was mich betrifft, so hatte ich in meiner Firma gute Chancen, nicht von der KI arbeitslos gemacht zu werden, doch war ich zu kritisch. Ich hinterfragte zu viel und schließlich fand man einen Grund, mich loszuwerden. Der Grund: Mangelnde Produktivität, da ich alle KI-generierten Ergebnisse überprüfte, wie es eigentlich auch in den internen Richtlinien vorgeschrieben war, wie es aber meine Kollegen aus Bequemlichkeit nicht taten, wodurch sie scheinbar produktiver waren. So wurde ich geschasst und aufgrund meiner kritischen Einstellung fand ich keinen neuen Job.
Die Freizeit, die ich durch meine Arbeitslosigkeit hatte, benutzte ich, um die verschiedenen „KI“-Modelle und ihre Antworten zu analysieren und meine Ergebnisse in Leserbriefen und online kundzutun, doch sie erzeugten keine Reaktion, zu groß und verlockend waren die Versprechungen der Konzerne. Dabei fielen mir aber einige wichtige Dinge auf, so unter anderem, dass die „KI“ häufig, wie beim Preis des Deutschlandtickets, die Vergangenheit und alte Werte zementiert, einfach weil man zu diesen Themen mehr in den Tiefen des Internets findet, und sich keiner mehr die Mühe macht, die Daten zu ändern, wenn die Ausgaben der „KI“-Modelle nicht mehr hinterfragt oder gar angezweifelt werden.
Ein weiterer wichtiger Punkt, der mir auffiel, war, dass viele Menschen zu bequem waren, um selbst zu denken, denn wenn sie erst einmal einer „KI“ vertrauten, glaubten sie ihr auch noch, wenn ihre Datenbank durch Institutionen und Firmen manipuliert worden war. So verschoben bestimmte Firmen Jahr für Jahr den Bias ihrer „KI“ weiter in eine rechtsliberale Richtung und die Bevölkerung und Politik folgten, sodass den Firmen immer mehr Freiheiten gewährt wurden und die Politik konservativ bis rechts wurde, einfach weil sich darin die meisten Menschen wohlfühlten und glückliche Menschen nicht aufbegehren und nur weiter und weiter Medien konsumieren.
Wie hieß es so passend von Karl Marx und Friedrich Engels im „Manifest der Kommunistischen Partei“ aus dem Jahr 1848: „Das Proletariat hat nichts zu verlieren außer seine Ketten.“, wobei es heute eher Gummibänder sind, die die Betroffenen immer wieder zurück an die Bildschirme ziehen.
Zu dieser Anfangszeit versuchte ich auch noch mit Diskussions- und Spieleabenden gegen die Entwicklungen zu halten, doch schon bald resignierte ich. Der Grund dafür war, dass bei den Diskussionsabenden mir fast immer nur mit Sätzen der Form „Aber Gemini meint dazu, dass …“, wobei Gemini, durch ChatGPT und wie die anderen „KI“-Modelle heißen, nach Belieben ersetzt werden konnte. Die Menschen dienten einfach nur noch als Sprachrohr der „KIs“ und machten sich selbst keine weiterführenden, analytischen Gedanken. Was die Spieleabende betrifft, so verloren sie auch bald den Reiz, denn bei allen Spielen, bei denen man kreativ sein musste, fragten mehr und mehr Spieler die „KIs“, über die sie mit ihren Smartphones interagieren konnten, nach Lösungen. Sei es nach Beschreibungen, nach Zeichenanleitungen oder manchmal gar Bildanalysen, wenn jemand etwas zeichnen musste. Das eigene Gehirn, die eigene Kreativität und die Fähigkeit, auch einmal improvisieren zu können, verblassten und wurden nicht mehr bemüht.
Was den weiteren zeitlichen Verlauf der gesellschaftlichen Evolution nach Einführung der „KIs“ betrifft, so gab es doch kurze, aber heftige Unruhen. Der Grund war, dass sich viele Mieter die Mieten und die Nebenkosten für ihre Wohnungen nicht mehr leisten konnten und hätten umziehen müssen, aber keine Wohnung mehr fanden. Jetzt könnte man ja denken, dass die Mieten dann halt nicht mehr stiegen, doch Pustekuchen. Da auch die Instandhaltungskosten immer stärker stiegen, konnten sich viele Vermieter eigentlich nicht leisten, die Mieten nicht zu erhöhen, aber da sie dann keine Mieter mehr fänden, blieben sie doch niedrig und die Wohnungen wurden abgewohnt, bis sie nicht mehr bewohnbar waren und die Häuser abgerissen wurden. Das war dann auch die Zeit, in der die Wohnkasernen, von denen auch ich mittlerweile eine bewohne, entstanden.
Man könnte jetzt denken, dass die Unruhen immer wieder aufbrandeten, aber dem war nicht so, denn in den sozialen Medien wurde das Narrativ verbreitet, dass es den meisten Menschen besser ginge, als vor der „KI“-Revolution, und da kaum noch Menschen unabhängige Medien konsumierten, glaubten sie das. So glaubten die, die durch das Netz fielen, dass sie alleine wären, und wenn man denkt, dass man alleine ist, resigniert man irgendwann und sucht keine Verbündeten mehr. So verlosch die Hoffnung auf Widerstand, und die reichen Firmeninhaber, die „KI“ nutzten, konnten überwiegend auf der Welt schalten und walten, wie sie wollten.
Was mich persönlich betrifft, so bin ich kurz vor der Kapitulation, denn was erwartet mich noch im Leben? Eigentlich nur, Sklave des Konsums, „KI“-generierter Inhalt zu sein, denn für mehr reicht das Geld nicht. Doch will ich das wirklich?
Ich nehme noch einen Zug von meiner Zigarette und lasse sie dann aufs Bett fallen. Erst steigt mir ein verschmorter Geruch in die Nase, dann spüre ich auch eine Hitze an meiner Haut. Ich sehe Flammen. Mir wird heißer und heißer und ich merke, wie die Haare auf meinem Kopf und an meinen Armen und Beinen verschmoren. Doch ich bleibe einfach liegen. Schmerzen, die immer schlimmer werden, durchfahren meinen Körper und ich brenne. So muss sich das Fegefeuer anfühlen. Ein kurzer Moment der Reinigung durch die Flammen, bevor ich die menschengemachte „KI“-Hölle verlasse und ins Nichts gehe.
Schließlich halte ich die Schmerzen nicht mehr aus und schreie. Ich schreie so lange, bis mein Lebenshauch mich verlässt.