Übermüdet lege ich mich auf mein Sofa und spiele noch ein Hörspiel ab. Doch immer noch nicht möchte mich Morpheus in seine Arme schließen. Stattdessen dämmere ich vor mich hin und lausche dem Hörspiel. Plötzlich höre ich das Geläut von Glocken. Es sind die Kirchenglocken, die die Gläubigen zum Gottesdienst rufen. Ich überlege, wann ich das letzte Mal in einer Kirche war und mir wird bewusst, dass es Jahre her ist. Es war, als mein Cousin konfirmiert wurde. Dabei bin ich doch selbst getauft und sogar konfirmiert. Was hält mich denn dann davon ab, in die Kirche zu gehen oder besser gefragt, was entzweit mich von ihr?
Ich denke nach und stelle fest, dass ich mich am meisten von der Kirche entfremdete, da die christliche Kirche in vielerlei Hinsicht nicht Zukunftsorientiert handelt und, die katholische noch mehr als die evangelische, keine passenden Antworten auf die aktuellen Probleme unserer Zeit findet. Doch nicht nur das, mich befremdet auch, dass die christliche Kirche oder besser gesagt, die meisten Religionen, ihre Gläubigen nicht dazu animieren, sich ihres eigenen Verstandes zu bedienen und selbst ethisch und moralische Entscheidungen zu treffen und dann die Verantwortung für diese zu übernehmen. Nein, die meisten Religionen geben die Antworten vor und versprechen, dass man gut lebt und ein gutes „Afterlife“ hat, wenn man sich an die Regeln hält. Dass die Regeln zum Teil nicht mehr zeitgemäß und weltfremd sind, ist erst einmal egal, denn damit muss der Gläubige sich nicht befassen, denn er befolgt ja nur die Gebote seiner Religion, und die sagt, dass das richtig ist. Somit ist die Religion in weiten Teilen auch eine Auslagerung der Verantwortung für das eigene Leben, an andere.
In diesem Zusammenhang muss ich an einen muslimischen Bekannten denken, der vor einigen Jahren mit mir zusammen arbeitete. Als ich frisch meine Arbeitsstelle antrat und er mitbekam, dass ich vegan lebe, fragte er, warum ich das täte. Auf seine Frage antwortete ich, dass ich aus ethischen und moralischen Gründen nicht mehr verantworten könnte, dass Tiere für mich stürben oder ausgebeutet werden. Auf meine Ausführung hin antwortete er, dass das doch nur Tiere sein. Seine Aussage fand ich überheblich, sodass ich erwiderte, dass Menschen auch nur Tiere sein, um genau zu sein, dass sie zu den Säugetieren gehörten, da die Babys in der Regel am Busen der Mutter saugten. Als er das hörte, wurde er laut und schrie: „Nein, Menschen sind keine Tiere! Menschen sind vielleicht Säugemenschen, aber definitiv keine Tiere!“ Worauf ich antwortete, dass wir definitiv Tiere sein, da wir auch von den Affen abstammten, wie es uns die Wissenschaft und die Evolutionstheorie lehrt, worauf mein Kollege noch mehr zu toben anfing und meinte, dass ich vielleicht vom Affen abstamme, aber er definitiv nicht. Ich fragte ihn, warum er das nicht glauben wolle und er meinte, dass Allah die Menschen erschaffen habe und wir definitiv nicht von Affen oder anderen Tieren abstünden. Nach dieser Auseinandersetzung war unsere Bekanntschaft nur noch professioneller Natur, denn er hielt mich für einen Idioten, der sich selbst mit Tieren auf eine Stufe stellte, und ich hielt ihn für verblendet, da er die Wissenschaft in den Wind schoss und nur daran glaubte, was Imame ihm erzählten.
Ich überlege weiter und denke, dass an den Religionen doch nicht alles schlecht sein kann, denn sonst würden ihnen ja nicht so viele Menschen folgen. Bei diesen Überlegungen wird mir bewusst, dass viele erfolgreiche Religionen dadurch erfolgreich wurden, dass sie ihren Gläubigen die Leben erleichterten, in dem sie ihnen Perspektiven für ein „gutes“ Leben oder Jenseits aufzeigten und ihnen ein Zugehörigkeitsgefühl boten. Zughörigkeit, die in vergangenen Jahrhunderten erst das Überleben der Menschen und später die Entwicklung einer „höheren“ Kultur ermöglichten, in dem sich die Menschen gegenseitig unterstützten, wobei nicht selten Führungspersönlichkeiten, sein es weltliche oder geistige, sich selbst bereicherten. Doch wenn man mal ehrlich ist, so fanden sich viele Menschen damit ab, solange die Last nicht zu groß wurde, und sie ihnen entweder weltlichen oder paradiesischen Vorteil versprachen.
Meine Gedanken wandern zurück zum Zugehörigkeitsgefühl und ich stelle fest, dass selbst heute viele Menschen alles Erdenkliche glauben und tun, um dazuzugehören, auch abseits der Religion, denn welcher Mensch ist schon gern allein? So schließen sie sich Gruppierungen an, übernehmen zum Teil blind die in ihnen vorherrschenden Meinungen und übertragen damit ihre eigene Verantwortung auf die Gruppe, auch wenn sie dadurch ihre eigene Autonomie aufgeben.
Ich überlege, welche Religionen mir alles einfallen. Da wäre zum einen die Weltreligionen. Das Christentum und der Islam mit ihren verschiedenen Unterströmungen. Dann noch der Buddhismus, der Hinduismus und das Judentum. Was mir dabei auffällt, ist, dass es sich bei den meisten Religionen, wenn man sie sich ehrlich betrachtet, mehr oder weniger um Personenkulte handelt. Im Christentum wird hauptsächlich Jesus verehrt, im Islam Mohammed, im Buddhismus Buddha, im Hinduismus die vermenschlichten Götter Kali, Shiva und wie sie alle heißen und zu guter Letzt das Judentum, mit Moses, der die Juden aus Ägypten befreite und ihnen einen eigenen Staat gab, ganz zu schweigen von den ganzen anderen Propheten. Viele Religionen verehren Menschen oder vermenschlichte Götter, da ein allmächtiges Wesen schwer vorstellbar ist und es selbst in der Bibel heißt, dass man sich kein Bild von Gott machen soll. Doch den Menschen fällt es schwer an etwas glauben, das man nicht sieht und von dem man sich kein Bild machen soll, sodass sie an die vermeintlichen Repräsentanten glauben oder den Göttern greifbare, vermenschlichte Formen geben. Doch mal ehrlich, sollte man Menschen und dem, was sie sagen, blind vertrauen?
Betrachte ich mir die Menschen, so gibt es wenige absolut gute Menschen und darüber hinaus machen alle Menschen Fehler oder handeln aus ihren eigenen Interessen heraus und dann soll man den Worten von menschlichen Propheten, die angeblich Gottes Wort hörten oder vermenschlichten Göttern, blind vertrauen? Wohl eher nicht!
Ferner sind die meisten Religionen darauf ausgelegt, Macht zu konzentrieren und aufrechtzuerhalten, indem die eigene Religion als die einzig wahre und richtige dargestellt wird und Andersgläubige häufig unterdrückt, ausgebeutet und getötet werden. Selbst innerhalb der Religionen werden Menschen unterdrückt, sei es im Kastensystem des Hinduismus, in dem Menschen unter Kasten schlecht angesehen und verachtet werden, da die Überzeugung herrscht, dass sie in ihrem letzten Leben keine guten Menschen waren, sei es im Christentum, in dem in einigen Strömungen, die Männer als über den Frauen stehend angesehen werden und Eva, als Vertreterin der Frauen, noch immer der Sündenfall und die Vertreibung aus dem Paradies angelastet wird. Auch in vielen Strömungen des Islam wird die Frau als dem Mann untergeordnet angesehen und ihr die gleichen Rechte, wie sie die Männer haben, verwehrt. Sei es die Imamin, die nur Vorbeter sein darf, wenn nur Frauen anwesend sind und dieses Recht abgeben muss, sobald ein einziger Mann anwesend ist oder sei es die junge Frau, die nur in Begleitung eines männlichen Verwandten auf die Straße darf.
Also, wie kann man eine Religion lieben, gutheißen und ihr blind folgen, wenn sie doch meistens nicht wirklich daran interessiert ist, dass wir Menschen oder universeller gefasst, alles Leben, glücklich, gleichberechtigt und möglichst unversehrt lebt?
Wie einer Religion sein Vertrauen schenken, wenn deren religiösen Führer eher spalten, als darauf hinzuarbeiten, dass alles Leben vor nicht lebensnotwendiger Ausbeutung geschützt wird?
Abgesehen von den Weltreligionen gibt es auch Sekten, wobei jede Weltreligion einmal als Sekte angefangen hat und irgendwann, mit Steigerung der Anzahl der Gläubigen, diesen Status hinter sich ließ, wie man am Christentum sehen kann, dessen Angehörigen auch anfänglich als Sekte gesehen und im römischen Reich verfolgt wurden.
Viele dieser Sekten beeinflussen ihre Mitglieder mental und machen sie von sich abhängig, wobei sich nicht wenige Sektenführer an ihren Gläubigen und deren weltlichen Gütern bereichern. Dabei ist zu beachten, dass viele Sekten nie zu Weltreligionen werden, da für viele Menschen die Kosten-Nutzen-Rechnung nicht stimmt und sie aufgrund dessen keinen Mehrwert ihn einem Beitritt sehen. Somit hatten oder haben die Weltreligionen etwas, dass den Menschen Nutzen versprach, denn sonst wären sie nie zu Weltreligionen geworden. Ob aber der Nutzen heute noch besteht oder die Religionen sich selbst überlebten, kann nur die Zukunft, der Tod oder besser noch, das Jenseits zeigen.
Doch da mir die Bevormundung und die Ungleichheit, die viele Religionen predigen und leben, nicht einleuchten möchte und ich auch nicht an einen Menschen oder vermenschlichten Gott und dessen Wort glauben kann, ist keine Religion etwas für mich. Das Einzige, dem ich mich absolut unterordne, ist mein eigenes ethisches und moralisches Gewissen, für das ich auch jederzeit Verantwortung übernehmen kann und werde. Ob ich mit dieser Einstellung richtig liege, wird die Zukunft zeigen, wobei ich davon ausgehe, dass es kein Paradies gibt und wir einfach aufhören zu existieren und unsere Körper zum Teil des Lebenskreislaufes werden.
Erde zu Erde, Asche zu Asche und Staub zu Staub.