Ich wache auf. Ein Piepsen weckte mich, das aus meinem Schlafzimmer kommt. Ich raffe mich auf, gehe ins Schlafzimmer und schalte den Wecker ab. Montagmorgen. Ich gehe ins Bad, mache meine Morgentoilette und nachdem ich etwas gegessen habe, mache ich auf den Weg zur Arbeit und somit erst einmal auf zur Straßenbahnhaltestelle.
In der Straßenbahn lese ich etwas. Dann geht es ans Umsteigen, wofür ich mit einigen anderen Leuten vier Ampeln überqueren muss, da aufgrund einer Baustelle die Straßen- und S-Bahnen Umleitung fahren und nicht mehr an der gleichen Haltestelle, sondern an der gegenüberliegenden Kreuzungsseite halten.
Und schon beginnt das Hupkonzert. Am Morgen zwar nur vereinzelt, aber auf dem Rückweg von Arbeit werde ich das noch häufiger hören, einfach weil mehr Bahnfahrer und Autos unterwegs sind. Das Hupkonzert, das erklingt, da die Menschen sich nicht an die Verkehrsregeln halten und häufig ohne sich umzusehen hetzten und eilen. Während ich das denke, höre ich plötzlich das Schrillen einer S-Bahn, ja, nicht nur die Autofahrer müssen auf die Unvorsichtigen Rücksicht nehmen. Während ich so an der Ampel stehe und auf die grüne Phase warte, fällt mir auf, dass es häufig die gleichen Leute sind, die nicht warten und hetzen. Man kennt sie ja, da sie häufig mit der gleichen Bahn fahren. Die Rotphase ist heute besonders lang und ich sehe, wie die S-Bahn kommt, mit der ich normalerweise weiterfahre, die ich aber jetzt nicht mehr erreichen werde. Doch ich zucke nur innerlich mit den Schultern, dann halt zwanzig Minuten später. Doch einige Menschen um mich herum, legen jetzt noch ein hektischeres Verhalten als sonst an den Tag und beginnen zu eilen, wobei sie wieder nicht auf den Verkehr achten. Ich höre Reifen quietschen und wieder Hupen ertönen. Ach, was für ein Trauerspiel. Es ist gerade so, als bedächten die Menschen nicht, dass man nur einmal stirbt und dann für immer tot ist. Einmal unaufmerksam, einmal zu viel riskiert und schon ist das Leben vorbei und sie setzen es hier, so fahrlässig auf Spiel, wobei sie nicht nur ihr Leben riskieren. Nein, wenn ihnen etwas passiert, kann es genauso gut sein, dass der Auto- oder Straßenbahnfahrer, vor dessen Gefährt sie gerannt sind, psychische Probleme bekommt. Es kann sein, dass ihre Angehörigen von Trauer und Unverständnis zerfressen werden, ach, ihr rücksichtsloses Verhalten kann so viele andere Menschen auch noch negativ beeinflussen, doch scheinbar ist ihnen das egal.
Ab und an habe ich ja schon mit solchen Menschen das Gespräch gesucht und gefragt, warum sie solch ein Risiko eingehen und die Antwort ist, dass sie halt ganz dringend auf die Arbeit oder, wenn es Nachmittag ist, nach Hause müssten, wobei mich ihre Antworten nicht überzeugten, da ich erlebte, dass es bei ihnen nicht nur an einem Tag so war, sondern an fast jeden. Darauf angesprochen, argumentierten sie, dass halt, aufgrund der Baustelle, die Umsteigezeit jetzt kaum noch ausreichend sei, um die Anschlussbahn zu bekommen. Auf meine Frage, warum sie dann nicht die Straßenbahn 20 Minuten früher nähmen, kam dann in der Regel zwei Arten von Aussage, die eine, wenn es am Morgen war, dass sie dann ja früher aufstehen müssten und am Nachmittag, dass sie dringend nach Hause müssten, da sie diesen oder jeden Termin noch hätten.
Dass sie nicht rechtzeitig auf der Arbeit wären oder ihre Termine auch nicht wahrnehmen könnten, wenn sie von einem Auto oder der Straßenbahn angefahren würden, kam ihnen scheinbar nicht in den Sinn, genauso, wie, dass man halt etwas mehr zeitliche Reserve in seiner Tagesplanung berücksichtigen sollte, da es dann vielleicht mal an einem Tag stressig wird, aber nicht jeden Tag. Doch für viele Menschen sind zeitliche Reserven verschenkte Zeit und ich fühle mich an den Roman „Momo“ von Michael Ende erinnert, in dem die grauen Herren alle Zeitabläufe optimieren, aber die Menschen nichts von der so gewonnenen Zeit haben.
Ich komme am Abfahrtsgleis an und die S-Bahn ist weg. Doch ich ärgere mich nicht darüber, sondern nehme mir ein Buch aus meinem Rucksack und lese. Hätte ich einen wichtigen Termin, wäre das jetzt zwar ungünstig, doch immer, wenn ich wichtige Termine habe, fahre ich mindestens eine Straßenbahn früher, um genügend Reserve zu haben, sodass es nicht zu stressig wird oder manchmal nehme ich mir, für einen Termin, der manchmal auch nur eine Stunde geht, einen ganzen Tag frei, sodass ich erst gar nicht ins Verlangen komme, zu hetzen. Ich habe einfach in meinem Leben die Priorität darauf gesetzt, dass es nicht zu stressig wird und ich aufmerksam und achtsam durch die Welt gehen kann.
Schließlich kommt die nächste S-Bahn und ich setze meinen Weg fort. Auf der Arbeit angekommen, nimmt mich sofort die Routine in den Griff und bringt meine Gedanken zum Verstummen.
Nachmittag, das Tagesgeschäft auf der Arbeit ist erledigt und ich mache mich auf den Heimweg. Es regnet etwas, doch als ich den Bahnsteig erreiche und auf meine S-Bahn warte, bricht die Wolkendecke auf und es bildet sich ein schöner Regenbogen.
Es hat etwas Schönes an sich. Ich denke wieder an den Verkehr mit der S-Bahn, viele Arbeitskollegen halten mich ja verrückt, dass ich tagtäglich mit ihr auf die Arbeit fahre, wenn doch die Autofahrt nur halb so lang dauerte und ich dann erst recht keinen Stress mit Umsteigezeiten und anderen Fahrgästen hätte. Doch mein Umweltbewusstsein lässt es nicht zu und darüber hinaus nutze ich die Zeit zum Lesen, die ich sonst am Steuer säße.
Meine Gedanken bleiben an der Sinnhaftigkeit des Verhaltens kleben. Was ist sinnhaft? Im Neudeutsch ist viel von „Work-Life-Balance“ und einem erfüllenden Job die Rede, wobei die meisten Menschen nur an sich denken. Ihre Work-Life-Balance und ihr Job sollen für sie erfüllend sein und nicht unbedingt für die Gesellschaft. Als Beispiel dafür kann man viele Handwerksberufe nehmen, die heute kaum noch Menschen ausüben möchten, weil sie mit viel Arbeit verbunden sind, wobei aber unsere Gesellschaft, ohne sie, auf der Stelle träte oder gar einen Rückschritt vornähme. Sei es der Solarteur, der die Solarzellen aufs Dach bringt, wer meint schon, dass es ihm Spaß macht, bei fast jedem Wetter, tagtäglich, 40 Stunden die Woche auf Dächern herum zu kraxeln und anderen Menschen die Solarmodule aufs Dach zu montieren? Wohl kaum jemand! Die Menschen machen es häufig, weil es ihnen ein Einkommen verspricht und bringen zusammen mit Menschen, die ihre Arbeit bezahlen, die Energiewende voran. Arbeit muss nicht immer Spaß machen, die Work-Life-Balance muss nicht immer stimmen, wobei man sich auch nicht gänzlich für seinen Job aufopfern sollte, sondern man sollte sich auch fragen, was die Menschen oder die Gesellschaft für einen Nutzen von der eigenen Arbeit hat und solange dieser Nutzen ein positiver ist, sollte man seinen Job, zumindest als notwendig für die Gesellschaft ansehen und nicht mit ihm hadern.
Ich überlege, warum ich mir meinen Job aussuchte und stelle fest, dass ich als Jugendlicher eigentlich etwas Kreatives machen wollte, doch mein Können reichte nicht aus und so entschied ich, etwas Technisches zu machen, was mich auch faszinierte. Es war nicht das, was mich jetzt überglücklich machte, doch es war das, was zu meinem Können passte und ich fand sogar eine Firma, bei der ich mein Wissen einbringen konnte und die etwas herstellte, das mich seit meiner Kindheit begleitete, nämlich Papier, auf das gute Artikel und Reportagen gedruckt werden könnten.
Mein Blick wandert wieder zum Regenbogen und ich muss an die Sage vom Topf voll Gold am Ende des Regenbogens denken. Es ist schon erstaunlich, dass wir Menschen, wenn wir etwas Schönes sehen, uns nicht mit diesem Anblick zufriedengeben können, nein, wir wollen mehr. Wir wollen noch Reichtum, wir wollen noch mehr und immer mehr und so hetzen wir durchs Leben und illusorischen Zielen hinterher. Wir verschwenden unsere Zeit und merken es nicht einmal. Warum nicht einfach einmal innehalten, sich realistische Ziele und Zeitpläne setzen und einfach mal, die Schönheit im Augenblick und im Kleinen genießen?
Bei diesem Gedanken kommt meine S-Bahn und ich setze meinen Nachhauseweg fort. Die Arbeitswoche, und die mit ihr verbundene Routine, hat begonnen.