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Du lebst nur einmal – Teil 11: Auf einer Aussichtsplattform

Geschätzte Lesezeit: 6 Minuten

Es ist Sonntag und nachdem ich in aller Herrgottsfrühe zu einer Wanderung aufgebrochen bin, stehe ich jetzt auf einer Aussichtsplattform am Rande eines Braunkohletagebaus und schaue in eine grün-schwarze Grube, die so weit reicht, wie mein Blick. Es ist ein Tagebau, in dem seit Jahrzehnten Braunkohle abgebaut wird und in dem sich selbst jetzt noch, Jahr für Jahr, weiter Bagger durch die Erde graben und die Kohle auf große Förderbänder werfen, die direkt ins Kraftwerk führen. Der Tagebau sieht aus, wie ein lebensbedrohlicher Ort, wobei sich an den Stellen, wo schon lange keine Bagger mehr fuhren, die Natur langsam den Raum zurückerobert, wobei sie das nur temporär schaffen wird, bevor schließlich der Tagebau, sollte Deutschland tatsächlich aus der Kohleverstromung aussteigen, geflutet wird.
Ich schaue mir den Tagebau genauer an und frage mich, wieso immer noch Menschen diese Art der Energiegewinnung verteidigen und sie weiter betreiben wollen. Wie können sie so einen Anblick ertragen und die mit ihnen verbundenen Eingriffe in die Natur mit guten Gewissen verteidigen? So wurde unter anderem der Grundwasserspiegel um dutzende Meter gesenkt, wobei riesige Pumpen das Wasser in die Flüsse pumpten und so auch die Flora und Fauna abseits des direkten Tagebaugebiets beeinflussten. Doch nicht nur das. Als der Tagebau begonnen wurde, hat sich scheinbar auch keiner Gedanken darüber gemacht, wie denn irgendwann einmal der Abbau eingestellt werden soll. Sie haben sich keine Gedanken darüber gemacht, was mit den riesigen Abraumhalden und Löschern in der Landschaft geschehen soll.
Nach der Wiedervereinigung und dem Abstellen der schlimmsten Umweltdreckschleudern zur Energieerzeugung musste aber auch dafür eine Lösung her und die bestand darinnen, die Tagebaue zu fluten. Dabei dauerte das Fluten auch wieder Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte und hatte wiederum Einfluss auf die Umwelt, da es sowohl zu Kantenabbrüchen von Erdboden kam, wo das Wasser die Stabilität beeinflusste, als auch zu dem Problem, dass das Wasser für die Flutung ja irgendwo herkommen musste. Aber etwas muss man sagen, jetzt sind die ehemaligen Tagebaugebiete eine schöne Seenlandschaft, an deren Ufern sich Reiche zum Teil Häuser kaufen und auf denen sie segeln gehen. Aber fruchtbaren Boden gibt es da nicht mehr und es wird noch Jahrzehnte dauern, bis sich eine artenreiche Flora und Fauna in den Wasserlöschern gebildet haben wird.
Doch da weiterhin nicht alle Tagebaue stillgelegt sind, ist der Transformationsprozess bis jetzt nicht abgeschlossen und so zeichnet sich für die Lausitz und Berlin noch einige Probleme in der Zukunft ab. Einmal dadurch, dass dort viele Häuser in der Zeit des gesenkten Grundwasserspiegels gebaut wurden, der beim Wiederanstieg zu Bodenveränderungen, Rissen in Gebäuden und nassen Kellern in den Häusern führen kann und zum anderen, dass das abgepumpte Grundwasser der Tagebaue in die Spree geleitet wurde und wird, und das bei Einstellung des Tagesbaus diese Wassermenge fehlt und Berlin dadurch ein kräftiges Problem mit der Trinkwasserversorgung, die hauptsächlich aus der Spree erfolgt, bekommen kann, da es Schätzungen gibt, dass bis zur Hälfte des Wassers in der Spree, das abgepumpte Grundwasser aus den Tagebaugebieten ist.
Ach, wir Menschen sind so kurzsichtige Wesen. Wir beginnen Dinge, ohne uns Gedanken darüber zu machen, dass das nicht ewig so weitergehen kann, da alles ein Ende hat. Selbst wenn wir weiter Kohle abbauten, käme irgendwann der Punkt, dass das letzte Korn abgebaut und verfeuert ist und man dann ein Konzept für die Löscher in der Landschaft braucht. Doch wir Menschen beginnen häufig etwas und die Frage, wie wir es zu Ende bringen oder was danach geschehen soll, verschieben wir leichtfertig auf später, am besten auf die Zeit nach unserem Tod.
Ich schaue noch einmal in den Tagebau und höre in meinem inneren Ohr die Politiker von CDU, AFD und wie sie alle heißen, nach Atomkraft schreien und denke bei mir, dass sie immer noch nichts gelernt haben. Der Grund dafür ist, dass wir bei der Atomkraft vor ähnlichen Problemen stehen, nämlich dass Uran endlich ist, die radioaktiven Abfälle irgendwo für tausende Jahre gelagert werden müssen und keiner vor seiner Haustür ein Endlager haben möchte. Doch nicht nur das, ferner macht man sich extrem abhängig von einigen wenigen Lieferanten weltweit, von denen einer der größten Russland ist. Also, auch nicht so eine gute Idee, oder?
Ich drehe mich langsam vom Tagebau weg, da mir sein Anblick unerträglich wird und frage mich, ob wir Menschen wirklich immer nur zerstören und die Welt ausbeuten können. Können wir nur immer unsere kurzfristigen Ziele verfolgen, um selbst gut zu leben, egal ob unsere Ziele und unser auf der Ausbeutung der Welt basierender Lebensstil, andere Menschen negativ beeinflusst? Sein es die Menschen, die in anderen Ländern leben und jetzt schon die Folgen unseres „ausbeuterischen Wohlstands“ spüren, sein es die Menschen, die nach uns kommen und auf dieser Welt leben, wenn unsere Körper bereits wieder Teil der Erde geworden sind.
Meine Gedanken wandern zu den Menschen, mit denen ich tagtäglich auf der Arbeit zu tun habe. Zu den Menschen, die immer fragen, warum sie verzichten sollten, wenn doch die anderen viel schlimmer sind. Ich denke an den Rebound- und Backfire-Effekt, die die Energie- und Ressourceneinsparungen, die durch den technischen Fortschritt möglich wären, zum Teil oder ganz auffressen. Einfach, weil die Menschen, für das gleiche Geld etwas mehr bekommen können. Sein es größere Fernseher, leistungsstärkere PCs, mehr und länger eingeschaltete Außenbeleuchtung und was nicht sonst noch alles. Ich frage mich, ob so ein Leben, das nur auf Konsum und immer größeren Konsum ausgelegt ist, wirklich lebenswert sein kann? Kann man dadurch wirklich glücklich werden? Ich wohl nicht, da ich die Auswirkungen dieses Lebensstils sehe und sie nicht mit gutem Gewissen verantworten kann.
Auf einmal muss ich zurückdenken an meine Kindheit und daran, dass es da noch ab und an hieß, man solle tugendhaft leben. Tugendhaft? Drei alte deutsche Tugenden sind Bescheidenheit, Sparsamkeit und Genügsamkeit, und wenn man sich sowohl die CDU als auch die AFD anschaut, die sich konservativ geben und die „alten Werte“ hochhalten, so hört man von ihnen kaum etwas, was diesen Tugenden entspricht. Bescheidenheit, die Kunst nicht immer mehr zu wollen, sondern sich auch mit wenig zufriedenzugeben, sodass man gut und gesund leben kann, aber nicht auf zu großem Fuße. Sparsamkeit, dass man mit den Dingen, die man hat, rücksichtsvoll umgeht, nicht zu viele Ressourcen verbraucht und lieber auch einmal verzichtet, als Ressourcen oder Geld fahrlässig zu verschwenden. Genügsamkeit, dass man auch mal mit dem, was hat, zufrieden ist und nicht immer mehr haben möchte. Nein, bei diesen beiden Parteien und anderen wie ihnen, geht es häufig nur um einen Pseudo-„Wohlstand“ womit gemeint ist, mehr zu haben und konsumieren zu können, als andere, auch um den Preis, dass wir das Land umgraben, die Welt zerstören und blind durchs Leben gehen. Hauptsache, uns geht es scheinbar gut.
Aber möchte ich so leben und würde das mein Leben erfüllen? Wohl eher nicht! Also doch in einigen Punkten etwas konservativer als die Konservativen sein und doch noch nach einigen alten Tugenden leben, die scheinbar schon in Vergessenheit gerieten.

Mit diesen Gedanken verlasse ich das Tagebaugebiet und mache mich auf den Heimweg, um fortan ein tugendhaftes Leben zu führen.

Published inErzählungen