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Ich Erdling 12: Wann ist eine Freundschaft tot?

Geschätzte Lesezeit: 6 Minuten

Menschen betreten und verlassen tagtäglich unsere Leben. Manche von ihnen werden erst zu Bekannten und schließlich, mit der Zeit, zu Freunden. Andere verlassen das eigene Leben dagegen so schnell wieder, wie sie es betraten. Von diesen Menschen kennt man vielleicht das Äußere und ihre Namen, aber nichts, was wirklich wichtig ist.
Während man, meiner Meinung nach, die Leute, die nur flüchtig im eigenen Leben vorbeischauen, schnell wieder vergessen kann, sieht es bei den Menschen, die erst zu Bekannten und schließlich zu Freunden werden, anders aus. Der Grund dafür ist, dass die, die zu Freunden werden, häufig zu einem Teil von einem selbst werden und dadurch das eigene Leben und Verhalten prägen. Mit diesen Freunden verlebt man dann über Monate und Jahre viele gemeinsame Momente und Abenteuer.
Doch wie es im Leben nun mal ist, so kann es dazu kommen, dass sich die Leben der Freunde in unterschiedliche Richtungen entwickeln und auseinander divergieren. Wenn das passiert kommt es häufig vor, dass man sich mit der Zeit fremd wird. Schließlich kommt irgendwann der Punkt, an dem man sich fragt, ob noch Leben in der Freundschaft steckt oder ob sie bereits tot ist. Man fragt sich, ob die einstige Freundschaft für immer vergangen und nur noch ein Teil der eigenen Historie ist oder ob vielleicht doch noch ein Funken Leben in ihr glimmt, der wieder die Flamme der einstigen Freundschaft entzünden kann.

Betrachtet man sich das Ende von Freundschaften, so sterben sie seltenst mit einem Knall, also einem Streit, nach dem man sich nicht mehr verträgt. Nein, meistens sterben Freundschaften langsam. Sie sterben, da man sich selten bis gar nicht mehr sieht oder kaum noch Kontakt hat und man sich dadurch fremd wird. Im Zuge dieser Entfremdung versucht manchmal einer der (ehemaligen) Freunde, die Freundschaft doch noch am Leben zu erhalten. Aber wie das Leben nun mal ist, so sind diese einseitigen Bemühungen meist nicht von Erfolg gekrönt, da eine echte Freundschaft nie einseitig sein und dadurch auch nicht von einem allein am Leben erhalten werden kann.
Die Entfremdung der ehemaligen Freunde betreffend, fiel mir im Laufe meines Lebens auf, dass die räumliche Distanz zwar auch eine Rolle, aber eher eine untergeordnete, spielt. Der Grund dafür ist, dass man in der heutigen Zeit, unter Zuhilfenahme der digitalen Kommunikationswege, mit fast jedem Menschen, überall auf der Welt, in Kontakt bleiben kann. Durch diesen Kontakt kann man sich gegenseitig auf dem Laufenden halten und sich über die Entwicklung der jeweiligen Lebensgeschichte auf dem Laufenden halten. Wird eine Freundschaft unter Zuhilfenahme der verschiedensten Kommunikationskanäle gepflegt, kann man, wenn man sich doch mal wieder sieht, an vergangene Zeiten anknüpfen und die gemeinsame Zeit in vollen Zügen genießen.
Was mich betrifft, so stehe ich noch mit einigen Freunden im Kontakt und Austausch, obwohl sie sich gerade am anderen Ende der Welt befinden. Im Gegensatz zu diesen Freuden, habe ich aber auch einige „Freunden“, die nur wenige Kilometer von mir entfernt leben, mit denen ich aber kaum noch, bis gar keinen Kontakt mehr habe. Durch diesen Umstand entfremde ich mich den „Freunden“, die eigentlich ganz in meiner Nähe wohnen, schneller, als meinen Freunden am anderen Ende der Welt. Besonders schnell schreitet dabei auch die Entfremdung voran, wenn ich mit der Zeit merke, dass eigentlich ich alleinig der Mensch bin, der versucht in Kontakt zu bleiben, wohingegen von der Gegenseitige keine Initiative gezeigt wird.

Doch auch wenn man sich mit der Zeit entfremdet, stellt sich einem die Frage, zumindest stellt sie sich mir, wann man eine Freundschaft für tot erklären und alle lebenserhaltende Maßnahmen und einseitige Wiederbelebungsversuche einstellen sollte? Manch einer würde jetzt sagen, dass man eine Freundschaft beenden sollte, sobald sie keinen Nutzen mehr für einen hat. Diese Aussage steht zumindest in einigen Büchern, die sich mit dem Thema Minimalismus beschäftigten. In diesen Büchern wird zum Teil versucht, die Prinzipien des Minimalismus auf persönliche Beziehungen anzuwenden. Doch dieses Beendigungskriterium allein kann meiner Meinung nach nicht das Maß der Dinge für die Beendigung einer Freundschaft sein. Der Grund für diese Einschätzung ist, dass man, wenn man streng nach dieser Einstellung lebte, eine Freundschaft sofort über den Haufen werfen müsste, wenn es mal eine anstrengende oder komplizierte Zeit gibt. Dabei sollen doch gerade Freundschaften, einem ermöglichen, schwere Zeiten zu überwinden, indem sich die Freunde in ihnen eine Stütze sind.
Ich bin der festen Überzeugung, dass die Frage nach dem Wert, den eine Freundschaft hat, nicht alleinig nach kapitalistischen Kriterien, wie der „Kosten-Nutzen-Rechnung“ beurteilt und bei einer negativen Dividende sofort beendet werden sollte. Aber wann sollte man dann eine Freundschaft beenden und für tot erklären?

Meiner Meinung nach sollte man eine Freundschaft für tot erklären, wenn man über einen längeren Zeitraum, bspw. sechs bis zwölf Monate, den Eindruck gewinnt, dass Kontaktversuche oder Versuche des Arrangierens einer Verabredung, nur von einem selbst ausgehen. Der Grund dafür ist, dass diese Einseitigkeit in meinen Augen zeigt, dass der andere kein Interesse an der Freundschaft mehr hat. Heutzutage ist es ja schließlich fast jedem möglich, einem Freund, einfach mal eine kurze Nachricht zu schicken, auch wenn man gerade wenig Zeit oder viel zu tun hat. Durch solch eine kurze Nachricht kann man seinen Freunden bereits zeigen, dass man noch an sie denkt und einem die Freundschaft und der Kontakt immer noch wichtig sind.
Natürlich ist das langsame Dahinvegetieren einer Freundschaft nicht der einzige Grund, aus dem man einen Schlussstrich unter eine Freundschaft ziehen sollte. Nein, darüber hinaus sollte man natürlich auch eine Freundschaft für tot erklären, wenn man über einen längeren Zeitraum, bspw. wieder die sechs bis zwölf Monate, merkt, dass es zwischenmenschlich nicht mehr passt und man sich eigentlich nur noch auf den Geist geht. Ich schreibe dabei bewusst, dass es ein längerer Zeitraum sein sollte, da es in Freundschaften eigentlich immer Zeiträume gibt oder geben kann, in denen man sich auf die Nerven geht. Die Zeiträume sollten dabei aber nicht zu lang sein oder ständig aufeinander folgend auftreten. Der Grund dafür ist, dass ständige oder andauernd wiederkehrende Konflikte an einem selbst zehren und es einen unmöglich machen können, ein glückliches Leben zu führen. In solchen Fälle sollte man wirklich lieber einen Schlussstrich ziehen.
Auf jeden Fall sollte man meines Erachtens, in Freundschaften entspannter mit möglichen Konflikten umgehen und nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen, denn dadurch kommt es häufig zu einem großen Krach, den schon mancher zum Anlass nahm, eine Freundschaft vorschnell zu beenden. Dabei ist es normalerweise nicht sinnvoll, eine gute Freundschaft gleich nach einem großen Streit auf Eis zulegen. Der Grund dafür ist, dass man als Mensch das ein ums andere mal unbedachte Worte sagt, und manchmal ein Wort das andere gibt, wodurch sich die Gemüter aufschaukeln, zumindest passierte mir das schon. Doch sollte man dann gleich all die vergangenen Momente und die gemeinsame Zeit vergessen und hinwerfen? Nein, das sollte man nicht! Lieber sollte man ein Stück zurücktreten, den Moment mit etwas Abstand Revue passieren lassen und noch mal in Ruhe über das passierte reden. Spricht man dann, mit etwas Abstand, über den Konflikt, stellt sich häufig heraus, das alles nur halb so schlimm oder anders gemeint war, als wie es rüberkam. Nach solch einem klärenden Gespräch, kann dann die Freundschaft, wenn auch manchmal mit leichten Blessuren, weiter bestehen.

Kurz gesagt, ich bin in den überwiegenden Fällen der Meinung, dass man Freundschaften versuchen sollte, am Leben zuhalten, anstatt beim kleinsten Problem das Handtuch zuwerfen. Doch wenn es nur noch Konflikte gibt oder die Freundschaft über einen längeren Zeitraum klinisch tot ist, sollte man sich ein Herz nehmen, und den Stecker der Herz- und Lungenmaschine ziehen, die die Freundschaft künstlich am Leben hält, bzw. die den Eindruck von Leben erweckt.

Published inIch Erdling

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