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Momente – Teil 40: Am Schreibtisch

Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten

Ich sitze an meinem Schreibtisch und schreibe einen Brief an eine alte Bekannte:

„Hallo,
ich habe schon lange nichts mehr von dir gehört und wollte mich aufgrund dessen bei dir erkundigen, wie es dir so geht? Wie ist es dir in den letzten Jahren, in denen uns, unsere Lebenswege in verschiedene Richtungen führten, ergangen?
Doch ich wollte nicht nur wieder den Kontakt mit dir suchen, sondern mich auch bei dir bedanken. Ich wollte mich bei dir dafür bedanken, dass du mir, vor so vielen Jahren die Augen geöffnet hast. Ich wollte mich bei dir dafür bedanken, dass du mir eine andere, nämlich die wirkliche Welt zeigtest, auch wenn ich es damals noch nicht erkannte. Die Bedeutung von meiner Begegnung mit dir und dem, was du mir damals zeigtest, ist mir erst wirklich in den letzten Monaten bewusst geworden. Denn ist es nicht so, dass uns die Begegnungen, die wir im Laufe unser Leben haben, prägen? Sie prägen uns im Guten, wie im Schlechten. Manche Begegnungen vermögen dabei unser Weltbild zu zerschmettern, wohingegen andere wiederum, uns unsere Augen öffnen, so dass wir nicht länger blind durch unsere Leben und die Welt laufen.
Begegnungen haben das Potential, wenn sie nicht nur oberflächlich und von Ignoranz geprägt sind, uns unseren Horizont zu erweitern. Dazu zählen die Begegnungen mit anderen Menschen, aber auch die Begegnung mit Tieren und der Natur an sich. Ja, auch eine Begegnung mit der Natur oder Teilen und Ausprägungen von ihr können uns verändern und unseren Horizont erweitern, da sie uns die Wunder der Evolution und des Lebens zeigen. Sie zeigen uns, zu was das Leben alles fähig ist und wie klein wir doch in Bezug auf die Welt und das Universum eigentlich sind.
Die Natur zeigt uns wie klein wir sind und doch schaffen wir Menschen es, sie nachhaltig zu verändern, und das meistens nicht in guter Hinsicht. Diesen Sachverhalt brachtest du mir nahe, als sich unsere Lebenswege begegneten. Es war, als rissest du ein Fenster auf und zeigtest mir die Welt, mit allem Guten und allem Schlechten. Du brachtest mich dazu, meine kleine monochrome Welt, die eigentlich nur ein Abklatsch der wirklichen Welt war, hinter mir zu lassen und die Welt in all ihrer Farbenpracht, auch wenn sie manch einmal erschreckend anzusehen war, so zu sehen, wie sie ist. Die Begegnung mit dir brachte mich dazu, zu versuchen, die Welt besser und noch besser zu verstehen. Zu verstehen, was für Wunder sie bereithält und was jeder Mensch tun kann, um sie zu erhalten, anstatt sie zu zerstören, was leider bei uns Menschen viel zu häufig der Fall ist.
Es war die Begegnung mit dir, die mich dazu brachte, über die Welt und die Menschen zu philosophieren. Zu philosophieren und nachzudenken, auch wenn ich aufgrund dessen manche Nacht durchwachte und heute viel mehr ‚Irrsinn’, als in meinen jungen Jahren sehe. Doch auch wenn es manchmal anstrengend und belastend ist, möchte ich den Blick für die Realität, denn du mich lehrtest, nicht mehr missen. Mir macht es Spaß, den Weg der Aufklärung, den du mir zeigtest, zu gehen und ich möchte nicht mehr zurück, in mein altes Leben, indem ich einfach ignorant von Tag zu Tag, oder in den Tag hinein, lebte.
Ignorant… Wenn ich jetzt darüber nachdenke, stelle ich fest, dass viele Menschen, die ignorant gegenüber der Wirklichkeit sind, glücklich leben, da sie sich weniger Sorgen um andere oder das große Ganze der Welt machen. Erst wenn man seine Augen öffnet und die Welt so sieht, wie sie wirklich ist, drohen die Probleme einen zu übermannen und ohne einen seelischen Schutzpanzer kommt es dann nicht selten vor, dass man von ihnen zerquetscht wird.
Doch das Wichtige im Leben ist ja mit, dass man sich nicht nur auf das Negative konzentriert, sondern auch auf all die positiven Dinge. So bereitet einem das Öffnen der Augen und das Sehen der Welt, wie sie wirklich ist, viel Freude, da man, wenn man mit offenen Herzen und Verstand in die Welt geht, sein Glück und seine Freude im Kleinen finden kann. Man kann viele selbst auferlegte und gesellschaftliche Zwänge hinter sich lassen und sich auf das konzentrieren, was im Leben wirklich wichtig ist, nämlich im Einklang mit sich selbst und der Natur zu leben, anstatt falschen Versprechungen anheimzufallen oder Statussymbolen hinterherzujagen, die einem doch langfristig kein Glück bringen.
Dafür, dass du mir all das zeigtest und mir meine einst geschlossenen Augen öffnetest, möchte ich mich bei dir von ganzem Herzen bedanken und ich werde dir wahrscheinlich mein Leben lang dankbar dafür bleiben.

Darüber hinaus hoffe ich bei mir, dass dein Leben in den letzten Jahren gut zu dir war, und du deinen damals eingeschlagenen Lebensweg glücklich weiter gehen konntest und immer noch gehst.

Es freute mich, von dir bei Gelegenheit zu hören und vielleicht zu erfahren, wie es dir in den letzten Jahren erging.

Bis dahin, dein dir verbundener

…“

Den Brief fertig geschrieben, lese ich ihn mir noch einmal durch und frage mich, ob ich ihn tatsächlich so schreiben und meiner alten Bekannten zuschicken soll. Was dächte meine Bekannte wohl, wenn sie ihn erhielte und läse? Würde sie sich nach all den Jahren die Zeit nehmen, um mir auf ihn zu antworten?

Vielleicht, vielleicht aber auch nicht. Doch da zögern und zweifeln einem seltenst etwas bringt, falte ich den Brief zusammen, stecke ihn in einem Briefumschlag und schreibe die Adresse meiner Bekannten darauf. Daran anschließend noch eine Briefmarke in die Ecke geklebt und ab in den Postkasten. Mal sehen, ob irgendwann eine Antwort kommt.

Published inMomente

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