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Midlife-Crisis – Brief 7: Eitelkeit

Geschätzte Lesezeit: 5 Minuten

Meine gute alte Freundin,
als ich deine Antwort auf meinen letzten Brief las, musste ich von Herzen schmunzeln. Ich musste schmunzeln, da du zum Ausdruck brachtest, dass die Menschen nicht nur mit Ende zwanzig bis Mitte dreißig innerlich zu sterben beginnen, sondern heutzutage schon viele in ihrer Pubertät, als Teenager oder junge Erwachsene. Du meinst, dass viele von uns bereits in ihren jungen Jahren zerbrächen und innerlich stürben. Als Grund für diese, deine Beobachtung führst du an, dass sich viele der jungen Leute in den sozialen Medien miteinander vergleichen und nicht selten nach einem überzogenen körperlichen Idealbild streben, wenn sie sich nicht gar überzogene „Werbe- und Filmfiguren“ als ihr Wunschspiegelbilder heraussuchen.

Was deine Beobachtung betrifft, so muss ich dir recht geben, dass in den letzten zehn bis zwanzig Jahren das Erwachsenwerden und dabei innerlich lebendig bleiben, im Gegensatz zu unserer Jugend, sicherlich etwas schwerer geworden ist. Doch wage ich zu behaupten, dass selbst für die, die in der heutigen Zeit innerlich lebendig, den Lebensschnitt des Erwachsenwerdens überstanden haben, nicht davor gefeilt sind, in der Mitte ihrer Leben doch noch innerlich zu sterben. Innerlich zu vergehen, vor allem dann, wenn sie ihre Bestätigung und Kraft in jungen Jahren alleinig aus ihrem Körperbild gezogen haben. Menschen, die in jungen Jahren gut dastanden, weil die Gesellschaft sie als schön empfand, brechen in der Mitte ihrer Leben nicht selten zusammen, wenn sich erste Alterserscheinungen bemerkbar machen, die immer schwerer zu kaschieren sind.
Sind wir in diesem Kontext mal wirklich ehrlich zu uns selbst, so fängt der Körper ab einem gewissen Alter an, abzubauen und bestimmte körperliche Einschränkungen treten vermehrt auf. Sei es, dass das Gehör, die Sicht oder aber auch die Potenz nachlässt oder sei es, dass auf einmal Krampfadern und Altersflecken den Körper vermehrt zu zieren beginnen. Es gehört nun einmal zum Leben dazu, dass man mit der Zeit abbaut, auch wenn man seinen Körper und Geist hegt und pflegt. Egal, wie viel Gutes man auch seinem Körper zu tun versucht, man kann durch es höchstens den Alterungsprozess verlangsamen, aber ihn nie gänzlich stoppen. Aufgrund dessen finde ich es auch erschreckend, dass mir immer wieder Menschen begegnen, die sich die körperliche Vergänglichkeit nicht eingestehen oder sie auch nur wahrhaben wollen. Bei diesen Menschen handelt es sich dann um Personen, die aufgrund falscher Eitelkeit, auf technische Hilfsmittel wie Brille oder Hörgerät verzichten oder aber, beim Aussehen oder körperlichen Funktionen, die den persönlichen Status oder das Selbstbild betreffen, unnötig an sich rum schnippeln lassen oder gar fragwürdige „Medikamente“ nehmen.
Ach, ich kannte so einige Männer und Frauen, die ihre Bestätigung und ihre soziale Anerkennung aus dem Hochladen von selbstdarstellerischen Selfies auf die verschiedensten Social-Media-Plattformen zogen. Doch wie groß war ihre Enttäuschung, wenn mit der Zeit die „Follower“ plötzlich weniger und die Kommentare unter ihren Posts von Lob und Neid, zu Gehässigkeit wurden. Ach, früher wurde die ansehnliche Bikini- oder Badehosen-Figur in den Kommentaren gelobt und plötzlich war die Zellulose, die Krampfadern oder die zur Neige gehenden Haare oder Haare an den falschen Stellen, das Hauptthema. Ach, wie viele Freunde und Bekannte hatte ich im Lauf meines Lebens, die sich über ihre Social-Media-Post die Bestätigung holten, die sie tagtäglich antrieb, bis sich schließlich die Stimmung drehte und sie mit jedem ihrer Posts, der negativ bewertet wurde, Stück für Stück innerlich starben.
Doch anstatt, dass sich die betroffenen Menschen aufrafften, ihren Leben eine neue Richtung gaben und vielleicht versuchten, mit ihrem Witz oder ihrer Intelligenz zu punkten, ließen sich nicht wenige von ihnen, von der Schönheitsindustrie verführen. Sie ließen sich verführen und so benutzten sie plötzlich Hautstraffungscremes, Haarwuchsmittel und, wenn das noch nicht ausreichte, ließen sie sich ihre Haut das ein ums andere Mal auch operativ straffen oder Alters- und Leberflecken operativ entfernen.
Nicht, dass du mich jetzt falsch verstehst, es gibt Pflegeprodukte und Operationen, die nützlich oder medizinisch notwendig sind, um etwa Hautkrebs zu verhindern oder frühzeitig zu erkennen. Doch viele Hilfsmittel und Operationen dienen uns Menschen nicht wirklich dazu, unsere körperliche Gesundheit zu erhalten oder wieder herzustellen, sondern viel mehr unserer psychischen Gesundheit, die durch fragwürdige persönliche und gesellschaftliche Vorstellungen vom idealen Körper, krankhaft gefährdet ist.
An den gesellschaftlich gewünschten, aber an und für sich überzogene Idealbildern liegt vielleicht auch, dass sich einige Menschen so stark schminken, dass ich denke, die betreffende Person sieht aus wie ein Clown und wenn man ihr auf den Rücken schlüge, fiele ihr das Gesicht herunter. Oder, was mir bei einigen, hauptsächlich älteren Damen, gelegentlich auffällt, ist, dass sie so viel Parfüm auftragen, dass man sie noch fünf Meter gegen den Wind riechen kann. Durch die Masse an Parfüm duften sie dann auch nicht mehr angenehm, sondern meist chemisch und weltfremd. Manch einmal frage ich mich auch, wie verrückt ein Mensch nur sein kann, der sich aus ästhetischen Gründen, etwa zur Strandung seiner Haut, ein starkes Nervengift wie „Botox“ spritzen lässt. Ein Nervengift, das nicht immer wie erhofft wirkt und manch einmal gar eine gegenteilige Wirkung entfaltet. Kurz, vieles, das wir Menschen tun, um Alterserscheinungen aus ästhetischen Gründen entgegenzuwirken, wirkt wie gewollt und nicht gekonnt.

Doch, wie es nun einmal so ist, so wollen die betroffenen Personen keinen Hinweis auf das übertriebe Gebaren und der manch einmal auch damit einhergehenden negativen Auswirkungen hören. Sie wollen keine andere, kritische Meinung hören und tun entsprechende Bemerkungen nicht selten als blanken Neid oder bewusste Gehässigkeit ab. Ach, was hat sich die Evolution, oder das höhere Wesen, das uns vielleicht einst erschuf, nur dabei gedacht, uns ein Gefühl von Eitelkeit zu geben? Was ist in der heutigen Zeit der Nutzen von ihr, außer viele Menschen unglücklich werden und innerlich sterben zu lassen?
In meinen dunklen Momenten denke ich sogar manch einmal, dass unsere eitle und von Statussymbolen geprägte Gesellschaft nur dem Untergang geweiht sein kann. Dem Untergang, denn wie sollte sich auch eine Gesellschaft zum Positiven weiter entwickeln, wenn in ihr überwiegend nichtige Dinge, wie Statussymbole und Aussehen, zählen? Wie soll eine Gesellschaft die Probleme unserer Zeit lösen, wenn Intelligenz, Witz und Bescheidenheit nicht wirklich mehr geschätzt werden, sondern nur übertriebe Körperbilder und die zu ihnen passenden Gimmicks? Die Menschen in solch einer Gesellschaft können doch nur über kurz oder lang innerlich sterben. Innerlich vergehen und mit ihnen auch die Gesellschaft sowie jegliche lebenswerte Zukunft.

Liebe Freundin, was ist deine Meinung dazu? Ist die Eitelkeit und das Streben nach Statussymbolen wirklich so übermäßig präsent, wie es mir vorkommt, oder liegt es an meinem persönlichen Umfeld, in dem ich mich tagein tagaus bewege?

Aber gut, mit diesen Worten genug von mir. Ich hoffe, es geht dir gut und dein Humor lässt der „Alterseitelkeit“ keinen Platz, in deinem Leben und in deinem Herzen.

Published inMidlife-Crisis

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