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Midlife-Crisis – Brief 9: Die Büchse der Pandora

Geschätzte Lesezeit: 5 Minuten

Liebe Freundin,
vielen Dank für deine letzte Antwort. Du schreibst, dass man ruhig mehrere Lebensprojekte parallel laufen haben kann, je nachdem wie groß die Projekte sind. Ferner bringst du zum Ausdruck, dass man auch immer wieder neue Projekte in Angriff nehmen sollte, da sonst das Leben irgendwann fad und langweilig wird.
Was diese Aussagen betrifft, so muss ich dir recht geben. Leben ohne Projekte sind trist und fad. Es sind langweilige Leben, in denen man nicht selten seine Zeit für unwichtige Dinge verschwendet und über kurz oder lang dahinzuvegetieren beginnt. Doch trotzdem bin ich der Meinung, dass man nicht immer und immer wieder neue Projekte anfangen soll, sondern auch Projekte abschließen und das besonders in der zweiten Lebenshälfte, so dass am Ende, wie im vorherigen Brief geschrieben, nicht lauter lose Enden verbleiben.
Was deine weitere Aussage betrifft, dass man Gefahr läuft, die Büchse der Pandora zu öffnen, wenn man seine Ziele nur an seinem Lebensende ausrichtet und daran, was nach dem Leben von einem bleibt, so kann ich dir diesen Punkt betreffend nicht unbegrenzt zustimmen. So begründest du deine Warnung damit, dass Menschen, die ihre Ziele nur an ihrem Lebensende ausrichten, sich nicht selten fragen, ob und wenn ja, wie man sich ihrer einst erinnern wird. Diese Frage führt dann entweder in eine tiefe Depression, wenn sie sich eingestehen müssen, dass eigentlich nichts von ihnen bleibt oder sie mündet in Größenwahn, in dem einzelne Menschen versuchen mehr und mehr Macht anzuhäufen und anschließend zu behalten. Macht, die sie, wenn sich ihnen die Möglichkeit dazu bietet, nutzen, um Allmachtsfantasien auszuleben.
Als Beispiele für deine Einschätzung bringst du Putin, der die Gesetze in Russland ändern ließ, um möglichst auf Lebenszeit Präsident zu bleiben und dann auch noch regelmäßig Kriege vom Zaun bricht, um „Mütterchen Russland“ zu neuer Größe zu führen. Du erwähnst Xi Jinping, für den in China auch die Gesetze geändert wurde, damit er länger als ursprünglich gesetzlich geregelt, an der Macht bleiben kann. Du sprichst von Trump, dessen Abwahl mit unvorstellbarer Gewalt einherging, da er sich seine Niederlage nicht eingestehen wollte. Zuletzt sprichst du sogar noch von Erdogan, der auch viele Dinge versuchte und Angriffe auf fremde Staatsgebiete nutzte, um seine Macht zu erhalten und zu festigen. Denn was ist besser geneigt, um die eigene Macht zu erhalten und zu festigen, als ein äußerer Feind, der einem ermöglicht, die Kritiker und die Opposition im Inneren (Mund-) Tot zu machen? Wobei das auch viele Menschen im Kleinen, in ihrem persönlichen Umfeld, täten.
Ferner bringst du auch noch zum Ausdruck, dass all diesen Menschen gemein ist, dass Sie versuchen, sich ihren Platz in der Geschichte zu sichern, indem sie ihre Länder zu neuer, teilweiser räumlicher, Größe führen, da es einfacher ist, mit Gewalt und mit Macht in der Erinnerung der Menschheit zu bleiben, als ein Pazifist und Weltverbesserer, von denen man vielleicht zwei kennt, der eine ist Gandhi, der andere Jesus. Im Gegensatz dazu ist die Liste der Schreckensherrscher und Machtmenschen länger. Die Liste, die von Julius Caesar, über Alexander den Großen, Hannibal, Hitler, Stalin, bis zu Putin reicht. Es bleiben nun einmal die im Gedächtnis, die nach räumlicher und globaler Größe streben, Menschen unterdrücken und Kriege führen. Es bleiben die im Gedächtnis, die entweder im Großen oder im Kleinen, Gewalt ausüben.

Was diese Beobachtung betrifft, so mag es sein, dass man sich seinen Platz in der Geschichte wirklich besser zu sichern vermag, wenn man nach Macht strebt und sie dann auch auslebt. Doch warum sollte sich das nicht im Laufe unserer Menschheitsgeschichte ändern? Warum sollte man sich überhaupt der vergangenen Gewalttäter erinnern? Wohl doch nur, um die gleichen Fehler, die einst zu den Gewalttaten führten, nicht wieder zu begehen. Ist es denn nicht endlich Zeit für uns Menschen, uns davon zu verabschieden, dass wir entweder depressiv sterben, da wir nichts „großes“ leisteten oder aber nach Macht zu streben, um uns unseren Platz in der Geschichte zu sichern? Sind wir denn nicht dazu in der Lage, unsere Lebenserfüllung einfach darin zu finden, möglichst nachhaltig zu leben und die Welt zu einer nachhaltigeren und gesünderen zu machen, so dass wir unseren nachfolgenden Generationen die Möglichkeit geben, in einer lebenswerten Welt alt zu werden und ferner unsere Arbeit zur Erhaltung der Umwelt, anstatt ihrer Zerstörung, fortzusetzen? Ist es denn nicht so, dass jeder Schutz unserer Natur besser als ein dahinvegetieren in Depressionen oder dem Streben nach einem Platz, in der menschlichen Geschichte, ist? Können wir uns nicht damit begnügen, dass die Erde, also unser Planet, uns und unseren (umwelttechnischen) Fußabdruck, für immer durch die Zeit tragen wird? Ist es denn nicht so, dass alles, was wir für die Umwelt tun oder ihr antun, einen, wenn vielleicht auch kleinen, Einfluss auf unsere Welt hat? Oder, um die Chaostheorie zu bemühen, der Flügelschlag eines Schmetterlings kann zum Orkan werden. Also warum nicht anfangen, Gutes für unseren Planeten zu tun, auch wenn man sich dann uns nicht namentlich erinnert. Auch wenn man unseren Namen nicht mehr kennt, so wird doch unser Einfluss für immer, durch die Zeit, im Positiven wie im Negativen seine Spuren auf unserem Planeten Erde hinterlassen.

Liebe Freundin, ja, es gibt die Büchse der Pandora, die man öffnen kann, wenn man seine Lebensziele an seinem Lebensende ausrichtet und daran, was von einem, in menschlicher Sicht, bleibt. Doch ist man sich der Büchse der Pandora bewusst, so kann man darauf achten, dass sie sich nie für einen öffnet und das eigene Leben und die Welt mit ihren Plagen überflutet. Nein, stattdessen kann man seine Lebensziele darauf ausrichten, dass die Welt lebenswert bleibt und man ihr mehr gutes, als negatives tut. Mehr gutes für die Welt, auch wenn sich die Menschen dann nicht namentlich an einen erinnern, aber die Welt unsere Spuren sowie unsere Auswirkungen, bis zu ihrem Ende, wenn die Erde irgendwann von der Sonne verbrannt wird, mit sich trägt.
Also las uns unsere Lebensprojekte, an unseren Lebensende ausrichten und lass sie darüber hinaus eine positive Auswirkung auf unsere Welt haben, denn nur so können wir glücklich und erfüllt leben und dabei gleichzeitig die Büchse der Pandora geschlossen halten.

Meine gute alte Freundin, mit der in meinen vorhergehenden Briefen und oben formulierten Überzeugung, wird es mir sicherlich gelingen, meiner „Midlife-Crisis“, die sich zu manifestieren abzeichnete, zu begegnen. Ihr zu begegnen und an ihr nicht zu zerbrachen, sondern stattdessen meinem Leben eine positive Wendung zu geben.
Ferner möchte ich dir danken, dass ich dich mit meinen Briefen und Gedanken belästigen durfte. Es freut mich, dass ich in dir eine solch gute Freundin gefunden habe, mit der ich mich, seit Jahrzehnten, auch wenn wir uns nur noch selten sehen, über alles austauschen kann.

Doch damit genug von mir und meiner „Midlife-Crisis“. Ich wünsche dir auch weiterhin alles Gute auf deinem Lebensweg und hoffe, dass man sich bald mal wieder sieht oder voneinander hört.

Bis dahin und liebe Grüße

Published inMidlife-Crisis

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