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Wahlen

Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten

Da hängen sie wieder. An Pfeilern und Laternenpfählen hängen sie und auch einige Aufsteller sind zu sehen. Sie zieren das Stadtbild und werden uns auch noch die nächsten Monate begleiten. Es sind Wahlplakate mit meist einfachen Sprüchen, die die Wähler dazu animieren sollen, ihr „Kreuzchen“ an der richtigen Stelle zu setzen. Wobei auffällt, dass die Plakate der eher rechtsgerichteten Parteien höher hängen, als die der Anderen. Ob als Sorge vor Beschädigung oder als Übung fürs zukünftiges Aufknüpfen, sei einmal dahin gestellt.

Ich betrachte mir die Plakate und bin von unserer Gesellschaft enttäuscht. Ich bin enttäuscht, da es sich meistens um plumpe Sprüche handelt, die eine rückwärtsgewandten Blick der Parteien verkünden, einen Blick, der die Vergangenheit zum Positiven verklärt und nicht selten davon kündigt, dass alles so bleiben kann und soll, wie es einst war und bisher ist. Sie preisen ein Weltbild, in der Andere, sein es andere Menschen, Tiere oder die Umwelt, die Kosten für unseren Lebensstil tragen, wodurch wir leichtfertig die Zukunft unserer Welt verspielen. Ferner sind auch viele Anschläge vorhanden, die von einem Weltbild kündigen, in dem der einzelne im Mittelpunkt steht und in dem ihnen nur das Beste versprochen wird. Es sind Plakate wie Bretter mit Spiegeln vor den Köpfen der Menschen, sodass sie nur sich selbst und ihre Gelüste und Wünsche sehen und nicht das große Ganze. Sie sehen nicht die Realität.
Kaum eine der zur Wahl stehenden Partei hat den Mut, die Wahrheit auszusprechen und den Menschen zu sagen, dass wir häufig auf zu großem (umweltrelevanten und asozialen) Fuß leben. Wenige haben den Mut, den Menschen zu sagen: „Sorry, wir können es uns nicht mehr erlauben, jährlich in den Urlaub zu fliegen, immer die neusten technischen Geräte zu haben und den übermäßigen Konsum von Genussmitteln und Drogen (sowohl legale als auch illegale) zu zelebrieren.“ Nein, man möchte ja die potentiellen Wähler nicht vergraulen und so hört man kaum, dass die Steuern erhöht und eventuell eine Umverteilung von Reichtum erfolgen müsste. Nein, denn was interessiert die meisten Menschen die Nöte anderer, wenn sie selbst verzichten müssten. Selbst bei vielen, die ein Umdenken fordern, hört die Forderung an der eigenen Haustüre auf, bspw. nach mehr Klimaschutz schreien, dann aber in den Urlaub fliegen und sich damit rechtfertigen, dass man selbst ja kaum „Impact“ habe, aber wenn alle so denken, was ändert sich dann?
Nein, das Leben und die Politik müssen auch manch einmal eine Zumutung sein und Entscheidungen treffen, bei denen man als Individuum selbst etwas zurücktreten muss. Man muss das große Ganze im Blick haben und sich fragen, was primär gut für die Welt und zweitens gut für die Gesellschaft ist. Man muss mit dem Blick auf die Vergangenheit aus dieser lernen, um nicht alte Fehler zu wiederholen, aber auch den Blick von der Vergangenheit in die Zukunft richten und dabei die Bretter vor den Köpfen abreisen. Nur so kann man eine gute Zukunft aufbauen, in der man persönlich vielleicht nicht alles hat und auch einige Abstiche machen muss, aber die dafür sozial, gerecht und lebenswert lebt.
Doch ist es nicht schon zu spät, noch eine gerechte Welt und Gesellschaft aufzubauen? Eine Gesellschaft, in der man Menschen anderer Meinung nicht bedroht und Gewalt als probates Mittel zur Interessenvertretung sieht? Eine Welt, in der man sich zwar auch einmal reiben kann, aber mit guten Argumenten, den Weg in eine lebenswerte Zukunft ebnet? Ich habe den Eindruck, dass das in unserer Gesellschaft nicht mehr möglich ist, da sich zwei große Lager auftun. Das eine Lager, in dem rechtes Gedankengut salonfähig wird und das andere Lager, in dem man andere Meinungen nicht akzeptiert, da man sich selbst auf einem höheren moralischen Ross sieht. Einem Ross, von dem aus man auf andere heruntersieht und sie mit Begriffen wie „kulturelle Aneignung“ zum Verstummen zu bringen versucht, oder wie soll man es ansonsten verstehen, dass Rastalocken als kulturelle Aneignung gesehen und deswegen Auftritte von Musikgruppen abgebrochen werden? Vielleicht sollte ich meine Texte auch immer von „sensitive Readern“ Korrektur lesen lassen, um ja keinen zu verletzen. Doch wenn die Leute nur in Watte gepackt sind und nichts Unbequemes mehr lesen und hören, entsteht auch keine Reibung, an der man selbst und schließlich die Gesellschaft wachsen kann. Kultur basiert nun einmal auf kulturellen Austausch und auch der Auseinandersetzung mit unbequemen Dingen.

Zu guter Letzt möchte ich noch zum Ausdruck bringen, dass in unserer Gesellschaft sich viele als Individuum sehen und dementsprechend handeln und behandelt werden möchten. Doch sowohl die extreme Linke, als auch die Rechte machen es sich dabei einfach, dass sie alle „Fremden“ über einen Kamm scheren und beispielsweise alle Juden mit Israel und dessen Handlungen gleichsetzen oder bestimmte körperlichen Merkmale mit ungewollten sozialen Eigenschaften und Verhaltensweisen. Und zu meinem Entsetzen verfangen diese Vereinfachungen auch bei vielen Menschen und es wird Gewalt, sowohl physische als auch psychische, als probates Mittel gegen bestimmte Personengruppen gesehen. Durch diese Vereinfachungen und die Platzierung des Kreuzes, auf dem Wahlzettel, mit dieser Einstellung, kann es gut dazu kommen, dass wir wieder eine Zeit erleben, in der Menschen an Laternen von einem Mob aufgeknüpft werden und bestimmte Teile unserer Bevölkerung üben das schon, wenn auch noch mit Puppen. Doch wie schnell wird aus einer sich gegenseitig aufstachelnden Menge, in einer auf sich selbst zentrierten Gesellschaft, ein Lynchmob, der anderen Menschen, deren Meinung, Glauben, Herkunft oder Aussehen ihnen nicht passt, Schaden zugefügt?

Published inKolumne

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