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Ich Erdling 23: Vom Verlust der Diskussionskultur?

Geschätzte Lesezeit: 10 Minuten

Komm setz dich zu mir und lass uns über Gott und die Welt diskutieren. Komm lass uns Worte kreuzen. Lass uns verbal aneinander reiben, auf das wir unseren Horizont und unser Wissen erweitern und zu besseren Menschen werden. Los, verlasse deine Komfortzone, in der du dich auskennst und versuche dir auch zu bisher Unbekanntem eine fundierte Meinung zu bilden. Versuche dir eine Meinung zu allen Dingen zu bilden, auch wenn es dir so scheint, als beträfen dich die besagten Dinge nur pe­ri­pher. Doch häufig merkt man erst, wenn man sich mit bestimmten Dingen beschäftigt, die scheinbar weit von einem entfernt liegen, dass sie doch häufig über alle möglichen Kanten und Ecken, Einfluss auf das eigene Leben nehmen.
Ich weiß, Meinungsbildung und Wissensaneignung kann schwer und daraus resultierende Diskussionen ermüdend sein. Ermüdend, vor allem dann, wenn Trolle abwertend und dogmatisch diskutieren und mit ihrem Geschrei eigentlich nur eine fundierte Diskussion und Lösungsfindung blockieren und stören wollen. Doch lass dich nicht entmutigten, sondern gehe mit positivem Beispiel voran, indem du alle Vorurteile und Dogmen hinter dir lässt. Fass dir ein Herz und führe auch einmal Diskussionen, die für dich unbequem sind. Führe diese Diskussionen, um deinen Horizont und deine Menschenkenntnis zu erweitern. Nutze jede Möglichkeit zur Diskussion, um deine Argumentations- und Diskussionsmethoden zu trainieren. Nutze jede Gelegenheit, auch wenn es ermüdend ist, eine gute Diskussionskultur zu pflegen.
Doch halt! Wie kann man etwas pflegen, das wir in unserer Gesellschaft im Laufe der letzten Jahre bereits verloren haben? Wie etwas trainieren und am Leben erhalten, das von vielen Seiten unter Beschuss steht? Ist nicht die „gerühmte“ Diskussionskultur schon seit einigen Jahren tot? Und sollte aufgrund dessen vielleicht die Aufforderung nicht eher lauten: „Belebt wieder eine (gute) Diskussionskultur! Und lasst sie anschließend nicht wieder verkommen und sterben!“
Doch was ist überhaupt eine gute Diskussionskultur? Und vor allem, wie kam es dazu, das sie in unserer Gesellschaft verkam und starb? Auf diese Fragen muss man erst Antworten finden, bevor man sich Gedanken darüber macht, wie man wieder eine gute Diskussionskultur belebt und am Leben erhält.

Eigenschaften einer guten Diskussionskultur sind aus meiner Sicht, den Gesprächspartner aufmerksam zuzuhören, den Gesprächspartner ausreden lassen, auf das Gesagte des Gesprächspartners eingehen, versuchen die Sichtweise des Gesprächspartners zu verstehen, nicht gegen erwiesene physikalische Gesetzmäßigkeiten diskutieren und zu guter Letzt, man sollte sich auch mal selbst hinterfragen. Doch betrachten wir die von mir genannten Punkte erst einmal einzeln und etwas ausführlicher.
Mit „dem Gesprächspartner aufmerksam zuhören“ meine ich, dass man bei Diskussionen, wie generell bei allen Unterhaltungen, dem Gesprächs- bzw. Diskussionspartner seine ganze Aufmerksamkeit schenkt, d.h. nicht mit dem Smartphone, etc. spielt und auch nicht mit den Gedanken bewusst in fantastische Welten abschweift, wenn einem der Gesprächspartner vermeidlich langweilt. Hört den Diskussionspartner gut zu und achtet nicht nur auf die Worte, die seinen Mund verlassen. Nein, achtet auch darauf, wie er etwas sagt, sei es der Ton bzw. die Tonart, als auch die von ihm verwendeten Gestik und Mimik. Der Grund dafür ist, dass sowohl der Ton als auch die Gestik und Mimik einem Aufschluss darüber ermöglichen können, welche Motivation den Gesprächspartner zu bestimmten Behauptungen treibt und wie er sich in Bezug auf ein bestimmtes Thema fühlt. Schließlich heißt es nicht umsonst: „Der Ton macht die Musik.“ und „Über 50 Prozent der Kommunikation findet nonverbal statt.“
Doch kommen wir zum nächsten Punkt, der meines Erachtens wichtig für eine gute Diskussionskultur ist. Mit „den Gesprächspartner ausreden lassen“ meine ich, dass man, auch wenn einem eine Erwiderung oder auch nur ein Kommentar zu einem geäußerten Sachverhalt auf der Zunge liegt, man diesen nicht gleich den anderen entgegenschleudern sollte. Nein, stattdessen sollte man den anderen seinen Standpunkt zu Ende vortragen lassen. Erst wenn der Gesprächspartner mit seinen Ausführungen geendet hat, sollte man die Äußerung in ihrer Gesamtheit erfassen, bewerten und schließlich auf das Geäußerte in seiner Gesamtheit eingehen bzw. antworten. Natürlich kann es in richtigen Diskussionen vorkommen, dass man den anderen mal unterbrechen muss, z.B. wenn er anfängt zu monologisieren. Doch solche Unterbrechungen sollten i.d.R. eher sanft erfolgen bzw. versucht werden, z.B. erst durch eine Geste, dann durch sanftes, ruhiges Dazwischenreden. Erst als allerletztes Mittel, wenn alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft sind, sollte man dazu übergehen, den andern mit Sätzen wie: „Jetzt lass mich doch auch endlich mal zu Wort kommen.“, zu unterbrechen. Der Grund dafür ist, dass man eigentlich davon ausgehen kann, dass eine Diskussion bereits gescheitert und tot ist, wenn man auf Ausrufe, wie diesen zurückgreifen muss.
Der dritte Punkt: „Auf das Gesagte des Gesprächspartners eingehen“ ergibt sich eigentlich aus den beiden vorhergehenden Punkten. Hört man nämlich den Gesprächspartner aufmerksam zu und lässt ihn dabei auch ausreden, so kann man auf sein Gesagtes im Gesamtkontext des Gesagtem eingehen und seine Argumente mit bedacht wählen. Um wirklich ganzheitlich auf das Gesagte eines Gesprächspartners eingehen zu können, bietet es sich das ein ums andere mal an, vor allem wenn es sich um Diskussionsrunden handelt, sich Notizen zu machen. Notizen, als Gedankenstütze, damit man bei seiner Erwiderung keinen Punkt und kein Argument, dass man vorbringen möchte, vergisst.
Mit dem Punkt „Auf das Gesagte des Gesprächspartners eingehen“ geht der Punkt „Versuchen die Sichtweise des Gesprächspartners zu verstehen“, meiner Meinung nach, Hand in Hand. Der Grund für diese Einschätzung ist, dass es eigentlich immer notwendig ist, die wahren Beweggründe für bestimmte Aussagen und Einstellungen eines Gesprächspartners zu verstehen, um sie direkt zu adressieren. Es ist immer notwendig zu versuchen, die wirklich passenden Argumente zu finden, um nicht in einer Diskussion gefangen zu sein, in der der Gesprächspartner und man selbst aneinander vorbeireden. Gelingt es nämlich nicht, die wirklichen Ursachen für bestimmte Aussagen zu adressieren, so kann eine Diskussion schnell entgleisen und je nach Umfeld erntet man dann Aussagen wie: „Du willst mich scheinbar gar nicht verstehen.“, oder „Hören Sie auf von oben herab mit mir zu sprechen, ohne meine Aussagen wirklich zu adressieren.“
Damit komme ich zu einem Punkt, der mir besonders wichtig ist. Der Punkt ist: „Nicht gegen erwiesene physikalische Gesetzmäßigkeiten diskutieren.“ Mit diesem Punkt meine ich, dass man bei jeder Diskussion nicht die Physik und physikalische Prozesse außer Acht lassen sollte. Physikalische Gesetze und Prozesse basieren nämlich i.d.R. auf Naturgesetzen, die man schlecht wegdiskutieren kann, nur weil einem physikalische Aktions- und Reaktionsverhalten, in einem bestimmten Kontext, nicht passen, da sie z.B. dazu beitragen, dass das eigene Leben schwer zu bestreiten ist. So kann man zwar über den Umgang mit den Folgen physikalischer Prozess diskutieren, nicht aber darüber, dass bestimmte Aktionen bestimmte Reaktionen zur Folge haben, z.B. beim Klimawandel. Den Klimawandel betreffend ist z.B. erwiesen, dass eine höhere CO2-Konzentration in der Atmosphäre, zu einer Klimaerwärmung führt. Aus diesem Zusammenhang folgt, dass, wenn der Mensch fossile Brennstoffe nutzt, die zusätzliches CO2 in die Atmosphäre abgeben, sich das Klima erwärmt, womit der Mensch für die Klimaerwärmung verantwortlich ist. Möchte man jetzt die Klimaerwärmung stoppen, ist die einzige Möglichkeit kein CO2 mehr zu erzeugen bzw. auszustoßen, das sich in der Erdatmosphäre anreichern kann. Aus diesem physikalischen Zusammenhang folgt, dass man nicht darüber diskutieren sollte, dass der Verbrauch aller fossilen Energieträger gestoppt werden muss, wenn man die Erderwärmung stoppen möchte, sondern nur darüber, wie man den Verbrauch fossiler Energieträger am besten stoppt. An dieser Stelle tun sich aber viele Bürger und Politiker schwer, da sie Angst um ihren Lebensstandard haben. Das führt dazu, dass sie nicht darüber diskutieren, wie man den Stopp der Nutzung fossiler Energieträger schnellstmöglich erreicht. Nein, stattdessen argumentieren sie für eine längere Nutzung fossiler Energieträger, da sie bzgl. der eigentlich notwendigen gesellschaftlichen und industriellen Änderung, bestenfalls, einfallslos sind. So verschleppen sie notwendige Änderungen mit ihren Diskussionen, die nichts bringen, da es eigentlich nur ein logisches Ergebnis für die Diskussionen gibt, das am Ende etwas bewirkt. Doch durch die „sinnlosen“ Diskussionen wird kostbare Zeit verschwendet, in der man sich anstrengen und vernünftige Diskussionen darüber führen könnte, wie man bestmöglich mit den physikalischen Gesetzmäßigkeiten umgeht, um das einzige logische Ziel zu erreichen. Doch Zeit vergeht und wir verspielen die Zukunft.
Kommen wir schließlich zum letzten Punkt, der meiner Meinung nach für eine gute Diskussionskultur wichtig ist. Dem Punkt „Man sollte auch sich selbst hinterfragen.“ Mit diesem Punkt meine ich, dass es für jeden Menschen bestimmte Themen gibt, die er noch nicht von allen Seiten betrachtet hat und das Diskussionen mit anderen Menschen dazu dienen können, die eigene Sichtweise entweder zu schärfen oder auch mal zu hinterfragen. Der Grund dafür ist, dass man bestimmte Aspekte aus einem anderen Blickwinkel, dass ein ums andere mal anders bewertet, als man es bisher tat. Manchmal ist es einfach so, dass man sich eingestehen muss, dass die eigene Sicht auf die Welt nicht die optimale oder auch nur die realistischste war. Deshalb empfiehlt es sich, zumindest in einer guten Diskussionskultur, nicht dogmatisch zu diskutieren. Stattdessen sollten sich die Diskussionspartner verbal aneinander reiben und sich dabei immer wieder selbst hinterfragen, um sich so, während der Diskussion, gemeinsam weiterzuentwickeln und hoffentlich am Ende der Diskussion eine gute Lösung für alle zu finden. Sollte das Finden einer guten Lösung, die für alle tragbar ist, nicht am Ende einer Diskussion stehen, so kann man das in der Diskussion gehörte, trotzdem dazu nutzen, um seinen Horizont in Bezug auf die Einstellung der Gesprächspartner zu erweitern.

Mit den vorhergehend genannten Eigenschaften einer guten Gesprächskultur im Kopf, möchte ich jetzt einen Blick in die Vergangenheit werfen, um zu versuchen, herauszufinden, warum die gute Diskussionskultur in unserer Gesellschaft verdarb und starb. Vielleicht gelingt es mir ja einige Erkenntnisse zu gewinnen, die helfen können, zu verhindern, dass eine neu belebte (gute) Diskussionskultur, erneut verdirbt und stirbt.
In meinen Augen gibt es drei Hauptgründe dafür, dass die gute Diskussionskultur in unserer Gesellschaft verdarb und starb. Der erste Grund ist, dass die Menschen einander nicht mehr richtig zuhörten. Der zweite Grund ist, dass sich in unserer Gesellschaft der Egoismus und die Selbstherrlichkeit breit machten und der dritte Grund ist, dass viele Menschen, in unserer heutigen Zeit, Diskussionen als „einfach nur anstrengend“ empfinden.
Den ersten Grund betreffend, so hat meiner Ansicht nach die Aufmerksamkeitsspanne vieler Menschen nachgelassen, so dass sie anderen Menschen nicht mehr über eine längere Zeit konzentriert zuhören können, da so eine Unterhaltung in aller Regel keine „Action“ bietet. Darüber hinaus führen viele Menschen in unserer heutigen Zeit immer Utensilien mit sich, deren Hauptfunktion die Ablenkung der Menschen, von anderen, eigentlich wichtigen Dingen, zu sein scheint. So führen viele Menschen immer und über all ihre Smartphones und Smartwatches mit sich herum, auf das ein Piepsen oder Vibrieren, die nächste Möglichkeit zur Ablenkung bietet.
Den zweiten Grund betreffend, so ist meiner Ansicht nach das Ego vieler Menschen so stark aufgebläht, dass sie sich für unfehlbar halten. Und wofür sollte man noch mit jemand anderes diskutieren, wenn man glaubt, dass man sowieso in allen Punkten und zu jeder Zeit recht hat? Durch diese Einstellung und ihre Vorstufen wird in unserer Gesellschaft, heutzutage, nicht mehr lösungsorientiert diskutiert. Nein, viele der Menschen halten sich für die Krönung der Schöpfung, die sich die Welt untertan gemacht hat. Sie haben sich die Welt versklavt und jetzt denken sie, dass sie sie so formen können, wie sie es für richtig halten. Sie sind so in ihrem Hybris gefangen, dass sie übersehen, dass sie zwar physikalische Gesetze nutzen können, um die Welt zu formen, aber das sie die Physik und ihre Gesetze in aller Regel nicht verändern, also ihren Willen unterwerfen, können.
Damit komme ich zum dritten Grund dafür, dass die (gute) Diskussionskultur in unserer Gesellschaft verdarb und starb. Der dritte Grund ist, dass Diskussionen aufgrund all der Dinge, die eine gute Diskussion ausmachen, z.T. verdammt anstrengend sein können und viele Menschen in unserer heutigen Zeit ihren Geist nicht mehr anstrengen wollen. Nein, der moderne Mensch möchte häufig nur noch unterhalten werden. Er möchte, vor allem in seiner vermeintlichen Freizeit, nicht mehr seinen Geist oder Verstand strapazieren, sondern stattdessen mit leichter, unterhaltsamer Kost berieselt werden. So sieht der moderne Mensch sich z.B. lieber Unterhaltungsfilme und Serien an oder spielt digitale Spiele, anstatt mit anderen Menschen bzgl. der bestmöglichen Lösung von gesellschaftlichen Problemen zu diskutieren.

Hat man sich die Gründe dafür, dass die gute Diskussionskultur in unserer Gesellschaft starb, vergegenwärtigt, so sieht man einige grundlegende Verhaltensweisen, die man befolgen sollte, damit eine neu belebte Diskussionskultur nicht wieder verdirbt und stirbt. Die Verhaltensweisen sind, Störungsquellen wie Smartphones bei Diskussionen in der Tasche zu lassen, es sei denn, man möchte, in Absprache mit dem Gesprächspartner, Fakten überprüfen, deren man sich in einem bestimmten Kontext nicht sicher ist. Darüber hinaus sollte man sich auf seinen Gesprächspartner einlassen und sich selbst nicht für unfehlbar halten, sondern stattdessen seine eigene Meinung und sich selbst, auch ab und an mal skeptisch hinterfragen. Schlussendlich sollte man auch keine Angst vor Diskussionen haben und nicht mit der Einstellung an sie herangehen, dass sie einfach nur anstrengend sind. Nein, an Diskussion sollte man mit der freudigen Erwartung herangehen, wieder die Möglichkeit zu haben, etwas zu lernen, auch wenn es nur das Kennenlernen der Meinung des Gesprächspartners ist. Als letzter Punkt bleibt eigentlich nur noch, dass man die Physik und physikalische Gesetze höchstens als Hilfsmittel nutzen sollte, um Zusammenhänge zu verdeutlichen. Auf keinen Fall sollte man aber über ihre Sinnhaftigkeit diskutieren, wenn sie bewiesen und ihre Prinzipien hundert- oder gar tausendfach überprüft wurden. Eins ist nämlich endgültig: „Der Mensch kann physikalische Gesetze zwar nutzen, aber nicht nach Lust und Laune verändern.“

Zum Schluss dieser Kolumne bleibt mir schließlich nur noch zu sagen: „Diskutiert schön und gut!“

Published inIch Erdling

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