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Ich Erdling 24: Wenn der Mensch zur Maschine wird

Geschätzte Lesezeit: 9 Minuten

Der Alltag ist komplett durchgetaktet. Von Früh, wenn der Wecker klingelt, bis zu dem Moment, wenn man müde ins Bett fällt. Geht der Mensch einem Arbeits- oder Angestelltenverhältnis nach, so beginnen die meisten Tage fremdbestimmt. Fremdbestimmt durch die Firma oder den Chef, die sagen, um nicht zu sagen vorschreiben, wann man mit der Arbeit anzufangen und aufzuhören hat. So quält sich der Mensch häufig fremdbestimmt aus dem Bett und hin zur Arbeit, auf das der Vorgesetzte über ihn verfüge und er fremdbestimmt die verschiedensten Arbeiten verrichte. Ist schließlich die Arbeitszeit hinter sich gebracht, so stehen bei vielen Menschen die eigenen Termine an. Termine, die einem der Alltag, die Gesellschaft und die eigenen Bedürfnisse, wobei es sich bei ihnen nicht selten um Pseudobedürfnisse handelt, diktieren. Doch der Mensch lebt und mit jedem Jahr das er verlebt, beginnt er häufig mehr und mehr Zeit weit im Voraus zu verplanen. So plant er Freundes- und Familienbesuche, Gartenarbeiten und alle möglichen anderen Dinge schon Wochen im Voraus, auf dass er die Zeit dann auch wirklich für sich zur Verfügung hat und nicht fremdbestimmt über ihn verfügt wird. Im Laufe seines Lebens beginnt der Mensch dann nicht selten, sein Leben und sein Alltag immer stärker zu beschleunigen und noch stärker durchzutakten. Häufig führt die stärkere Taktung dazu, dass er nur noch von einem Termin zum anderen hetzt oder mit dem Auto rast. Immer auf Achse, immer auf der Piste, verbringt er sein Leben auf der Straße, nur um jede „gewonnene Minute“ wieder zu verplanen oder am Abend, vor dem Fernseher zu verschwenden, da er entweder zu kaputt ist, noch etwas anderes zu tun, oder einfach nichts mehr mit sich anzufangen weiß, wenn er mal keine Termine hat.
Ach, wenn ich solche Menschen sehe, muss ich immer an den Roman „Momo“ von Michael Ende denken. Ich muss an die grauen Herren denken, die den Menschen vorgeblich helfen, ihren Alltag zu optimieren, auf dass die Menschen mehr Zeit (für sich) haben. Doch was ist das Ende vom Lied, des Optimierungswahns? Die „eingesparte Zeit“ kommt doch nicht den Betroffenen zugute, sondern nur den grauen Herren, die die Menschen zu immer neuen Optimierungen ihres Alltags antreiben.

Betrachtet man sich den gemeinen Menschen etwas genauer, so optimiert er nicht nur seinen Alltag. Nein, das zu behaupten, wäre vermessen. Der Mensch optimiert darüber hinaus u.a. auch seinen Körper, seine Meinung und seinen Lebenslauf. Der Mensch neigt einfach dazu, ständig zu versuchen, alles zu optimieren, wenn er sich einen Nutzen davon verspricht. Doch das Versprechen eines Nutzens wird oft gebrochen. Durch den ständigen Drang des Menschen, zur Durchführung vieler unnötiger Optimierungen, zerstört er sich das ein ums andere Mal sogar selbst. Der Mensch zerstört sein eigentliches Wesen, also das, was ihn wirklich ausmacht und ihn und seinem Charakter Kontur gibt. Anstelle seines wirklichen Wesens erschafft er ein künstliches Gebilde, das einfach nur funktionieren und anderen gefallen soll. An dieser Stelle möchte ich mich jetzt einzeln, den oben genannten Ausprägungen des menschlichen Optimierungswahns zuwenden. Das tue ich, da ich die genannten Ausprägungen als besonders negativ empfinde und darstellen möchte, warum ich sie so kritisch sehe.
Die Optimierung der menschlichen Körper betreffend, so muss ich sagen, dass ich verstehen kann, wenn versehrte oder missgebildete Menschen ihre Körper optimieren oder reparieren möchten. Der Grund für meine Einschätzung ist, dass körperlich eingeschränkte oder missgebildete Menschen meist Schwierigkeiten haben, vollumfänglich an der Gesellschaft teilzunehmen. Bei dieser Einschätzung spielt dabei keine Rollte, ob es sich um eine Missbildung handelt, die schon von Geburt an besteht, oder ob die betreffende Person durch einen Unfall oder durch Krieg versehrt wurde, da in unserer Gesellschaft immer noch, wenn auch bei vielen im Unterbewussten, die Meinung vorhält, dass bei diesen Menschen die körperliche Versehrtheit mit einer geistigen Einschränkung einhergeht. Aus diesem Grund fällt es vielen Menschen schwer, körperlich beeinträchtigte Menschen wie alle anderen Menschen zu behandeln. Stattdessen nehmen sie sich z.B. bei Spielen zurück und zeigen ihre unbewusste Einstellung dadurch, dass sie u.a. nicht ernsthaft mit ihrem Gegner spielen, sondern nur „lax“, wenn es nicht sogar darin mündet, dass sie ihn z.T. auch bewusst gewinnen lassen. Die „Reparaturen“ und „Optimierungen“ des menschlichen Körpers von körperlich beeinträchtigten Menschen, die sonst nicht vollumfänglich am gesellschaftlichen Leben teilnehmen könnten, sehe ich aufgrund meiner persönlichen Erfahrung, in dieser Hinsicht, nicht kritisch.
Dem oben genannten Beispiel stehen die Optimierungen des menschlichen Körpers gegenüber, die ich sehr kritisch sehe. Bei den betreffenden Optimierungen handelt es sich um Optimierungen, die Menschen an sich durchführen oder durchführen lassen, da sie sich von den Optimierungen versprechen, den in der Gesellschaft kommunizierten oder den eigenen Schönheitsidealen zu entsprechen, oder aber auch nur, ihre körperliche Leistungsfähigkeit künstlich zu steigern. Ich finde es z.T. sehr erschreckend, dass sich einige Menschen, die keine gesundheitlichen Probleme haben, aus Unzufriedenheit mit ihrem Körper, operieren, spritzen, etc. lassen, nur um ihrer eigenen überhöhten Selbstvorstellung gerecht zu werden oder gesellschaftlichen Idealen zu entsprechen. Gesellschaftlichen Idealen, in denen die Individualität des Einzelnen keine Bedeutung mehr hat. Man könnte glatt glauben, dass gesellschaftlich gewünscht ist, dass sich alle Männer und alle Frauen bestimmten Körpervorstellungen immer mehr annähern, bis sie irgendwann kaum noch zu unterscheiden sind. Ich habe häufig den Eindruck, dass die gesellschaftlich gewünschten Männer und Frauen am Ende ihrer Optimierungen so aussehen sollen, als währen sie am Fließband produzierte Androiden. Androiden, deren Körper nicht altern und deren Zellen nicht verfallen. Doch den Menschen ergeht es dann genau wie den Androiden, also den Maschinen, sie werden so lange genutzt, bis sie nicht mehr gebraucht oder doch einmal kaputt sind, und dann wird ihr operierter und schön gespritzter Körper einfach entsorgt, vergraben oder verbrannt.
An den vorhergehenden Punkt anschließend möchte ich zu meinem Kritikpunkt bzgl. der Optimierung der eigenen Meinung kommen. Betreffend dieses Punktes muss ich zum Ausdruck bringen, dass eine Optimierung der eigenen Meinung nicht unbedingt schlecht ist, wenn man z.B. seine Meinung aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse ändert oder erweitert. Doch diese Art der Optimierung, der eigenen Meinung, findet man in unserer Gesellschaft selten. Stattdessen optimieren viele Menschen in unserer Gesellschaft ihre Meinung dahingehend, dass sie konform zu der Meinung bestimmter Gruppierungen ist, auf das sie in den besagten Gruppierungen Anschluss finden. Diese Optimierung führt dazu, dass man in unserer Gesellschaft selten Menschen findet, deren artikulierte eigenen Meinungen ein Spektrum aufweisen, das z.T. eine eher linke oder eine eher rechte Einfärbung hat, je nachdem über welches Thema man gerade mit der betreffenden Person diskutiert oder spricht. Nein, viele Menschen in unserer Gesellschaft optimieren ihre Meinung dahingehend, dass sie sich entweder abtrainieren, zu allem eine Meinung zu haben, also dass ihnen einige Aspekte vollkommen egal sind, oder dass sie in ihnen auf Linientreue der Gruppierung sind, der sie sich zugehörig fühlen. Das tun sie, um dazuzugehören, denn mit einer komplexen Meinung, die je nach Thema variiert und aufgrund dessen von keiner gesellschaftlichen Strömung vertreten wird, ist man schnell allein, da man mit ihr vielen Menschen vor den Kopf stoßen kann. Dabei ist es für eine Gesellschaft und die Zukunft der Menschheit und anderer Lebensformen wichtig, dass Menschen eine eigene Meinung haben, auch wenn sie mal der Meinung der Gruppierung, der sie sich zugehörig fühlen, zuwider läuft. Nur durch die Begegnung von Menschen mit unterschiedlichen Meinungen kann es nämlich zu Diskussionen kommen, in denen Menschen mit der Meinung anderer Menschen konfrontiert werden und sich dann gegenseitig verbal aneinander reiben. Solche Situationen, in denen die Menschen sich verbal aneinander reiben und diskutieren braucht es, um überhaupt die Chance zu haben, Lösungen für die drängenden Probleme unserer Welt zu finden. Die Lösungen für aktuell drängende Probleme findet man nämlich nicht, wenn man immer nur die „alten Meinungen“ einer Gruppierung, die sich eigentlich schon lange selbst überlebt haben, weiter vertritt.
Damit komme ich zu dem dritten Punkt, den ich etwas ausführlicher betrachten möchte. Ich komme zu dem Punkt, mit den optimierten Lebensläufen. Betreffend dieses Punktes möchte ich zum Ausdruck bringen, dass ich es kritisch sehe, dass von der Geburt bis zum Tod von Menschen erwartet wird, bestimmte Stationen zu absolvieren, um anschließend als gesellschaftlich wertvoll angesehen zu werden, zumindest habe ich im Laufe meines Lebens diesen Eindruck gewonnen. Der Grund für meinen Eindruck ist, dass viele Leistungsträger unserer Gesellschaft immer wieder den einfachen Bürgern vermitteln, das man z.B. Abitur und studiert haben muss, um in unserer Gesellschaft angesehen zu sein. Man gewinnt den Eindruck, dass viele Studierte auf Handwerker, Hilfsarbeiter, etc. von oben herabschauen, wie früher die Aristokratie auf die Handwerker und Bauern. Dabei vergessen diese „hochgebildeten“ Menschen, dass sie ohne die, auf die sie herabschauen, gar nicht leben könnten, da diese Menschen Güter produzieren und notwendige Dienstleistungen erbringen, die alle Menschen zum gesunden Leben benötigen. Darüber hinaus bringen nicht selten einige studierte Menschen direkt oder indirekt zum Ausdruck, dass sie Menschen für dumm halten, die nicht studiert haben. Dabei vergessen Sie, dass es auch intelligente Menschen gibt, die sich gegen ein Studium entschieden, da sie entweder nicht von ihren Eltern gefördert wurden oder einfach ein handwerkliches, etc. Interesse hatten, dass sie vom Herzen erfüllte. Diese Menschen können z.T. deutlich mehr Kenntnis und Verständnis von technischen und gesellschaftlichen Dingen haben, als einige Studierte. Dies trifft besonders dann zu, wenn es sich bei den Studierten um Menschen handelt, die nur studierten, da sie nicht wussten, was sie sonst tun sollten oder bei Menschen, die nur studierten, da sie sich durch ihre Eltern dazu genötigt sahen, was dazu führte, dass sie sich z.T. einfach nur ihre Hintern platt saßen und sich darüber hinaus das ein ums andere Mal irgendwie durchmogelten. Die Einstellung, dass man studiert haben muss, um gesellschaftlich anerkannt zu sein und die Abwertung von Menschen, die nicht studiert haben, führt schließlich dazu, dass immer mehr Menschen, auch wenn sie andere Interessen und Befähigungen haben, studieren, um so ihren Lebenslauf im gesellschaftlichen Sinne zu optimieren. Dieses, von der Gesellschaft geförderte, Verhalten führt schließlich auch wieder dazu, dass wir Menschen noch fremdbestimmter leben und uns immer ähnlicher im Geiste werden, als wir bereits sind. Schlussendlich führt es dazu, dass wir Maschinen immer ähnlicher werden.

Doch, genug meiner Kritik am menschlichen Optimierungswahn. Zum Schluss muss ich ergänzend zu meiner vorangegangenen Kritik, doch noch einige Aspekte nennen, die betreffend ich denke, dass der Mensch bzw. menschliches Verhalten Optimierung bedarf. Meiner Meinung nach sollten sich Menschen dahingehend optimieren, dass sie ein Leben lang bereit sind, sich weiterzubilden, um so immer neues Wissen und neue Kenntnisse zu erlangen, die ihnen dabei helfen, die Welt immer besser zu verstehen und nachhaltig zu leben. Die Menschen sollten darüber hinaus ihre Leben dahingehend optimieren, dass sie weniger Ressourcen verbrauchen und im Einklang und nicht auf Kosten ihrer Umwelt leben.
Schon während ich die voran geschriebenen Zeilen tippte, stellte sich bei mir das Gefühl ein, dass der Appell für eine Lebensstiloptimierung, hin zu mehr Nachhaltigkeit vergebens sein wird. Der Grund dafür ist, dass sich der gemeine Mensch von solchen Optimierungen keinen Nutzen für sich selbst verspricht. So führt der Mensch anstelle der nachhaltigen Optimierungen nur wieder die von mir kritisierten Optimierungen durch, die ihn langsam vom Menschen zur Maschine werden lassen. Er führt Optimierung durch, damit sein Körper anderen und sich selbst gefällt und darüber hinaus auch viel, bis zum kompletten Zusammenbruch, leisten kann. Es sind Optimierungen, von den sich der Mensch einen gesellschaftlichen Statusgewinn verspricht, auch wenn der Statusgewinn reinweg auf Oberflächlichkeiten basiert. So wird der Mensch zu einer Maschine. Einer Maschine, die fremdbestimmt ist und die ständig optimiert wird. Dabei vergessen viele Menschen, was das Ende von fast allen Maschinen ist, egal wie sehr sie auch optimiert werden. Sie vergessen, dass Maschinen nur solange gewartet und gepflegt werden, wie sie gebraucht werden und den Eigentümern einen Nutzen versprechen. Sie vergessen, dass es für Maschinen keinen Altersruhesitz gibt und dass die betroffenen Maschinen, wenn sie nicht mehr benötigt werden oder ihre Instandhaltung zu teuer wird, entsorgt werden. Und genau dieses Schicksal droht auch den Menschen, die sich immer nur selbst optimieren, ihren ganzen Alltag durchtakten und dabei das aufgeben, was sie zum Menschen macht, nämlich ihre weiche, verletzliche oder sollte ich sagen: „menschliche“ Seite. Sie geben ihrer Optimierungswut von Meinung, Alltag, Lebenslauf und Körper ihre Menschlichkeit preis. Sie geben preis, sich auch einfach mal eine Stunde hinzusetzen und ihn Ruhe ein Buch zu lesen oder mit offenen Augen zu träumen, ohne gleich wieder irgendwohin eilen zu müssen.

In diesem Sinne: „Bleibt Menschen und werdet nicht zu fremdbestimmten Maschinen, die sich ständig optimieren müssen, um gesellschaftlich mithalten zu können!“

Published inIch Erdling

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