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Das letzte Gespräch einer Freundschaft

Geschätzte Lesezeit: 5 Minuten

Wir kannten uns schon seit Jahren und waren nach anfänglichen zwischenmenschlichen Problemen und Spannungen doch gute Freunde geworden. Wir waren gute Freunde geworden, die regelmäßig etwas miteinander unternahmen, sich über Gott und die Welt unterhielten und zusammen lachten und weinten. Doch die Jahre vergingen und irgendwann wurden die gemeinsamen Unternehmungen weniger. Unsere Leben entwickelten sich in unterschiedliche Richtungen und schließlich fiel es uns verdammt schwer, überhaupt noch gemeinsame Termine für Treffen zu finden und sie auch wahrzunehmen.

Nach zwei Jahren, in denen wir uns viermal flüchtig gesehen hatten, saßen wir mal wieder zusammen und mein Freund tat so, als wäre alles wie immer. Doch so fühlte es sich für mich nicht an. Wir waren uns fremd geworden und die einstige Vertrautheit, die zwischen uns herrschte, spürte ich nicht mehr. Er redete und redete, doch ging er dabei mit keinem Wort auf die letzten Verabredungen ein, die er ohne ein Wort platzen ließ, oder die Fragen nach Unternehmungen, die er nie endgültig beantwortete. Kurz, ich spürte, dass das Vertrauen, das einst zwischen uns herrschte, dahin war. Doch nicht nur das, mit jedem Wort, das er sagte, merkte ich, dass wir uns auch in unseren Einstellungen und unserem Weltbild auseinandergelebt hatten. Früher ging es uns ums nachhaltige, gute und glückliche Leben, und wir konnten viele Dinge unternehmen, ohne das wir irgendetwas oder irgendjemanden brauchten. Früher genügte uns, um gemeinsam Spaß zu haben, dass wir zwei uns trafen, denn sobald wir uns trafen, konnten wir über Gott und die Welt quatschen und die Zeit verging wie im Flug. Doch diese Zeit war mittlerweile vorbei und so unterbrach ich meinen Freund in seinem Gebrabbel, das mir doch nichts mehr bedeutete, und fragte:
„Hast du noch den Eindruck, dass unsere Bekanntschaft, eine Freundschaft ist? Für mich fühlt sie sich nämlich nicht mehr so an.“

Auf diese Aussage hin wirkte er etwas verdutzt und antwortete perplex:
„Klar sind wir noch Freunde, auch wenn wir heute kaum noch etwas miteinander unternehmen. Wir sind ja immer noch die gleichen Leute, die wir eh und je waren.“

Auf seine Erwiderung hin schüttelte ich nur traurig den Kopf und meinte:
„Nein, wir sind nicht mehr die gleichen Leute, die wir einst waren. Wir haben uns entwickelt, ob es sich bei dieser Entwicklung aber um eine Weiterentwicklung oder einen Rückschritt handelt, lasse ich einmal dahingestellt. Auf jeden Fall fehlt zwischen uns das Vertrauen und die Zuverlässigkeit, zumindest habe ich diesen Eindruck. Der Eindruck entspringt dabei der Beobachtung, dass du Treffen, die wir mal ausmachten, einfach platzen liest, ohne dich persönlich wenigstens abzumelden bzw. zu entschuldigen. Du kamst einfach nicht und das du nicht kommst, entfuhr ich dann, wenn überhaupt, durch andere, mit denen wir uns gemeinsam treffen wollten. Doch nicht nur das, fragte ich nach, ob wir mal wieder etwas unternehmen wollten, schrieben wir vielleicht eine Weile darüber, doch irgendwann kam einfach keine Antwort mehr von dir und es verlief sich doch wieder alles im Sand.“

Er sah mich an, als hätte ich ihn mit meiner Aussage zutiefst verletzt und meinte dann:
„Ich hatte halt eine schwierige Zeit und deswegen blieb halt einiges auf der Strecke. Doch die Zeit ist jetzt vorbei und wir können dort anknüpfen, wo wir aufhörten. Warum nicht einfach mal wieder eine Wanderung unternehmen oder ein Festival besuchen?“

Als ich diese Erwiderung hörte, breitete sich Traurigkeit in meinem Herzen aus. Eine Traurigkeit, die meinen Erinnerungen, an unsere ehemalige Freundschaft und unsere gemeinsamen Erlebnisse entsprang. Ja, selbst in meinen Gedanken waren wir schon keine Freunde mehr. Ich dachte zurück an all die schönen, aber auch traurigen Momente, die wir Seite an Seite durchlebten und durchstanden. Was war noch davon übrig? Ein Haufen Asche, der für den Rest unseres verbrannten und zerstörten Vertrauens, das einst unserer Freundschaft innewohnte, stand und ohne solches Vertrauen kann eine Freundschaft einfach nicht mehr sein. Mit diesen Gedanken, die mir im Kopf umherschwirrten, erwiderte ich:
„Ich weiß, dass du eine schwierige und anstrengende Zeit hattest und ich habe auch immer versucht, dir trotz allem ein guter Freund zu sein. Doch das zwischenmenschliche passt einfach nicht mehr. Die Umgangsformen, die ich bei dir beobachte, sind einfach nicht die Umgangsformen, die ich von einem Freund erwarte. Beispielsweise hättest du mir einfach bei den vielen geplatzten Treffen schreiben können, dass es dir nicht gut geht und du deswegen nicht kommst, oder was auch immer. Wäre zwar auch Mist gewesen, doch gut, manchmal ist man halt einfach verhindert oder fühlt sich, besonders in schwierigen Zeiten, einfach nicht in der Lage, ein Treffen wahrzunehmen. Doch trotzdem hat mir die persönliche Benachrichtigung bzw. Absage gefehlt. Darüber hinaus fehlte mir manchmal auch, dass du ans Telefon gehst oder wenigstens zurückrufst oder etwas schreibst, wenn man dich versucht anzurufen, um zu fragen, ob du denn noch zum verabredeten Treffen kommst, anstatt dass du als Reaktion, wenn überhaupt, irgendwelchen anderen kurze Zeit später schreibst, dass du nicht mehr kommst.
Doch damit noch nicht genug, mittlerweile fehlen uns auch die Berührungspunkte in unseren Leben, so dass wir auch nichts mehr haben, dass uns beiden wichtig ist und über das wir reden bzw. uns austauschen können. Entweder habe ich mich so sehr verändert, dass ich jetzt die Welt komplett anders sehe und dementsprechend anders denke und handele, als du, oder du hast einen Teil deiner Lebenseinstellungen aufgegeben, um dich mit deinem Umfeld und deiner aktuellen Lebenssituation zu arrangieren, was mein persönlicher Eindruck ist. Du hast dich mit deiner Situation arrangiert, damit es in deinem persönlichen Umfeld wenig Konfliktpotential gibt und du möglichst bequem, entspannt und pseudoglücklich leben kannst. Irgendwie gelingt es mir nämlich nicht mehr, in dem Menschen, der du jetzt bist, die Charakterzüge und Überzeugungen zu sehen, die mich dich einst schätzen lernen ließen. Auch diese, meine Einschätzung trägt dazu bei, dass ich glaube, dass wir keine gemeinsamen Gesprächsthemen und Anknüpfungspunkte mehr finden, auf denen wir unsere Freundschaft bewahren oder wieder aufbauen könnten.

Schlussendlich bleibt mir nur noch zu sagen: ‚Ich hoffe, dass du dein Glück finden wirst, auch wenn ich heute die Illusion unserer Freundschaft beende. Vielleicht gelingt es uns ja irgendwann in der Zukunft, eine neue Freundschaft aufzubauen, wenn wir uns wieder ein Stück weit weiterentwickelt haben. Doch im Moment denke ich, dass es vergebene Liebesmüh und deswegen verschwendete Lebenszeit wäre. Damit habe ich eigentlich alles gesagt, was mir auf dem Herzen lag.‘“

Als ich das gesagt hatte, stand ich auf, sah meinen ehemaligen Freund noch einmal an und wartete noch einen Moment, ob er etwas erwidern wolle, doch sagte er nichts. Stattdessen starrte er nur, scheinbar beklommen, auf die Tischplatte des Tisches, an dem wir das letzte Gespräch unserer, zur Illusion verkommen, Freundschaft führten. Schließlich dreht ich mich um und ging einer Zukunft, ohne meinen ehemaligen Freund, entgegen.

Published inErzählungen

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