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Ich Erdling 33: Leben in der Vergangenheit

Geschätzte Lesezeit: 7 Minuten

Je älter ich werde, desto stärker fällt mir auf, dass es viele Menschen gibt, die in der Vergangenheit leben. Wobei mir aufgefallen ist, dass es zwei unterschiedliche Arten vom Leben in der Vergangenheit gibt. Die erste Art ist, dass sich die betreffenden Personen, an ihre jungen Jahre erinnern und sich selbst, „in die Blühte ihrer Jugend“, zurücksehnen. Die zweite Art ist, dass Menschen vergangen gesellschaftlichen Gebilden und Normen, sowie überholten wissenschaftlichen Erkenntnissen anhängen, die sich eigentlich schon selbst, seit Dekaden, wenn nicht gar Jahrhunderten, überlebten.
Doch egal welche Art von Leben in der Vergangenheit diese Menschen auch zelebrieren, so frage ich mich doch immer wieder, wenn ich solche Menschen sehe, warum sie anfingen, in ihrer Gedankenwelt, längst vergangenen Geistern anheimzufallen und diese Geister schließlich ihre aktuellen Leben bestimmenzulassen. Aufgrund dessen möchte ich hier folgend die zwei oben genannten Arten, des Lebens in der Vergangenheit, analysieren und mich anschließend daran wagen, mögliche Ursachen zu finden.

Anfangen möchte ich damit, dass ich mein Augenmerk den Menschen zuwende, die sich in ihrem Geiste nach ihren „jungen Jahren“ zurücksehnen und sie sich zurückwünschen. Wobei man bei einigen dieser Menschen auch die Aussage tätigen könnte, dass sie zwanghaft versuchen, ihre jungen Jahre und ihre alten Egos nicht sterben zu lassen, ohne auch nur in Bedrängnis zukommen, lügen zu müssen. Wie dem auch sei, ich persönlich habe den Eindruck, dass viele der Menschen, die sich in ihre jungen Jahre zurückwünschen, das tun, da sie mit ihren Leben in der Gegenwart unzufrieden sind. Sie sind unzufrieden mit ihnen, da entweder ihre Körper im Laufe der Jahre immer unzuverlässiger wurden und „Makel“ aufwiesen oder da das Gewicht der Verantwortung, für sich und andere Menschen, die von ihnen abhängig sind, auf ihren Schultern lastet. Ein Gewicht von Verantwortung, das sie dazu bringt, sich nach den unbeschwerten Tagen ihrer Jugend oder frühen erwachsenen Jahren zurückzusehnen, also nach den Jahren und der Zeit, in der andere Menschen die Hauptverantwortung trugen und sie mehr oder weniger „Narrenfreiheit“ besaßen. Kurz, sie sehnen sich nach den Tagen zurück, in denen ihre Körper und die Gesellschaft ihnen erlaubte, fast alles zu tun und zu lassen, was sie gerade mochten.
Doch warum fällt es diesen Menschen so schwer, mit ihren alternden Körpern und der Verantwortung, die auf ihren Schultern lastet, klarzukommen? Warum bringt das voranschreiten der Zeit und ihr Altern, viele Menschen dazu, ihre Vergangenheit zu verklären und Schönmalerei zu betreiben? Meiner Meinung nach sind die Gründe dafür, neben der bereits oben genannten, scheinbaren Unbeschwertheit junger Jahre, dass viele Menschen sich nicht eingestehen können, dass Leben, Veränderung und am Ende Tod bedeutet. Sie können sich nicht eingestehen, dass sie eben nicht tun und lassen können, was sie wollen und das so lange, wie sie es für richtig halten. Nein, nach der Jugend kommt das „bittere“ Erwachsenenleben, in dem man überwiegend fremdbestimmt lebt und darüber hinaus noch Verantwortung für sich, die Gesellschaft und eventuell auch noch für die eigenen Eltern, im Seniorenalter, und Kindern übernehmen muss. Es ist eine Zeit, in der sie sich nicht einfach mal hängenlassen oder das, was sie gerade tun möchte, machen können. Nein, immer kommt etwas, das die Aufmerksamkeit von einem verlangt, dazwischen.
Doch, damit noch nicht genug. Während man geistig und körperlich altert, vergeht die Lebenszeit und die Rente rückt näher und näher. Hat man schließlich das Rentenalter erreicht und bezieht Rente, denken viele, dass sie noch mal so leben könnten, wie sie es wollten, doch auch das gelingt vielen nicht. Der Grund dafür ist, dass sich seit ihren jungen Jahren die Welt veränderte und sie aufgrund dessen nicht mehr so ist, wie sie sie kannten. Die technischen Neuerungen und der gesellschaftliche Wandel, hat die Welt, für sie, zu einer komplexeren werden lassen. Die Welt ist komplexer und ihnen dadurch fremd geworden. An dieser Stelle ihrer Leben beginnen sich viele Menschen nach ihren jungen Jahren zurückzusehnen, doch diese Jahre sind für immer vorbei und so beginnen sie, nur in ihren Köpfen, in der Vergangenheit zu leben. Doch damit, dass sie in ihren Köpfen in der Vergangenheit leben, ist es noch nicht genug. Nein, häufig verklären sie diese Vergangenheit auch noch und wenden sich gegen notwendige gesellschaftliche Änderungen, die entweder die Gesellschaft zu einer besseren oder überhaupt der Gesellschaft das Fortbestehen gewährleisten könnten. Sie blockieren, da sie am Vergangenen hängen, notwendige gesellschaftliche Änderungen, damit ihnen die Welt, die sie aus ihren jungen Jahren kannten, nicht noch weiter abhandenkommt, auch wenn sie damit die Zukunft der nachfolgenden Generationen verspielen und / oder zerstören.

Damit genug von den Menschen, die mit ihren Gedanken in ihrer eigenen Vergangenheit leben und hin zu den Menschen, die mit ihren Gedanken, Einstellungen und Erkenntnissen nicht in der Gegenwart ankommen und vergangenen Idealen und Erkenntnissen anhängen. Zu den Menschen, die z.B. nur national und z.T. auch noch feudal denken. Den Menschen, die nicht verstehen, dass die drängenden Probleme unserer Zeit nicht allein durch ein Land gelöst werden können, sondern nur durch die Allianz vieler, wenn nicht gar aller Länder unseres Planten. Zu den Menschen, die sich auf ihren Wohlstand ausruhen wollen und vor Verlustängsten nicht in der Gegenwart ankommen, in der offensichtlich und bekannt ist, dass ihr Wohlstand nur „Raubgut“ an anderen Ländern, der Natur und der Zukunft des Planeten ist.

Betrachtet man sich diese Menschen, so stellt man fest, bzw. so stelle ich fest, dass es sich bei ihnen häufig um Menschen handelt, denen der Materialismus und der materielle Wohlstand über alles geht. Diese Menschen werfen häufig keinen Blick über den Tellerrand und versuchen nicht, die Welt und alles was auf ihr miteinander im Zusammenhang steht, zu verstehen. Nein, ihre Gedankenwelt beschränkt sich meist auf ihr Land. Ihre Einstellung und ihren Lebensstil begründen sie damit, dass sie allein gar keinen Einfluss auf die Welt hätten, sei es bei der Problematik der Umweltzerstörung, des Klimawandels, usw. Stattdessen beginnen sie ein Fingerzeigen auf andere Menschen, Firmen und Länder, die es ihrer Meinung nach, noch viel ärger treiben. Dabei blenden sie aber häufig aus, dass sie zu den „Privilegierten“ fünf bis zehn Prozent der Weltbevölkerung gehören, die die Hauptverantwortung für die Zerstörung des Planeten tragen und das darüber hinaus jeder seinen Beitrag, auch wenn er nur klein ist, zum Umwelt- und Klimaschutz leisten kann. Da diese Menschen, diese Kritik nicht hören und nicht wahrhaben wollen, setzen sie sich für Kleinstaatlichkeit und fast grenzenlosen Individualismus ein, auf das ihr Land und sie selbst wieder bzw. weiter so leben können, wie sie es wollen, ohne sich Gedanken darüber machen zu müssen, welche Auswirkungen ihr Leben auf die Welt hat. So leben diese Menschen, mit ihren Gedanken und ihrem Weltbild, in einer Zeit, in der den Menschen noch nicht bekannt war, dass es menschengemachte Probleme gibt, die die ganze Welt in den Abgrund reisen können. Aufgrund ihrer Ignoranz verkennen sie, dass ihr begrenztes Weltbild und ihr Wunsch nach Kleinstaatlichkeit nie die richtige Lösung für die drängenden Probleme unserer Zeit sein kann.

Doch egal welche Art von Leben in der Vergangenheit man auch betrachtet, so ist ihnen doch gemein, dass viele Menschen, die diesen Lebensarten anheimfallen, scheinbar Angst vor dem Eingeständnis der Wirklichkeit haben. Sie akzeptieren oder verstehen die Gegenwart nicht mehr und wenn sie doch mit ihr in „direkten“ Kontakt kommen, droht ihr Weltbild zerstört zu werden, da sie es zu Grabe tragen müssten. Sie müssten es zu Grabe tragen, da bei einer offenen Begegnung eigentlich kein Weg für sie daran vorbeiführt, dass sie sich eingestehen, dass sie große Teile ihres Lebens falschen Ideen und Idealen nachstrebten. Dabei gibt es für viele Menschen nichts Unangenehmeres, als sich einzugestehen, dass ihre Leben und ihre Lebenswerke auf Sand gebaut sind und aufgrund dessen niemals Bestand haben werden. Kurz, sie können sich nicht eingestehen, dass ihr Schaffen und Wirken für nichts und wieder nichts war und sie eigentlich nur gescheiterte Existenzen sind, von denen nach dem Tod nichts Dauerhaftes bleibt. Die Konsequenz, die die betreffenden Menschen, wenn sie zu dieser Erkenntnis kommen, dann häufig ziehen, ist nicht etwa, dass sie versuchen ihre Leben zu überdenken, nein, das wäre ihnen zu unangenehm. Stattdessen verschließen sie ihre Augen wieder, um bis zu ihrem Tod lieber in einer Blase der Ignoranz und gedanklich in der Vergangenheit zu leben. Sie leben dann frei nach dem Motto: „Nach mir die Sintflut.“

In diesem Sinne sollte keiner gedanklich der Vergangenheit hinterher hängen, sondern sich bewusst und aktiv mit der Gegenwart auseinandersetzen, um sie ggf. aktiv zu gestalten und zu einer nachhaltigen und lebenswerten Zeit zu machen. Zu einer Zeit, die auch noch eine Zukunft haben kann. Was das Leben in der Vergangenheit betrifft, so bringt es weder der Welt, noch der Gesellschaft etwas, sondern macht die Welt höchstens, durch Unterlassung, zu einem schlechteren Ort.

Published inIch Erdling

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