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Ich Erdling 40: Von der Zeit

Geschätzte Lesezeit: 9 Minuten

Seit der Entstehung des Universums vergeht die Zeit. Sie vergeht und während sie verstreicht entstehen Sonnensysteme und Welten und vergehen wieder. Doch, nicht nur das. Teilweise entstehen auch Welten, zumindest kennen wir eine, auf der im Laufe von Millionen von Jahren erst Aminosäuren entstanden und aus den Aminosäuren schließlich immer komplexere Lebewesen vom Einzeller über die Mehrzeller bis schließlich hin zu den Säugetieren. Den Säugetieren, von denen der Mensch ein uns wohlbekannter Vertreter ist.
Unser Blick wandert jetzt vom kosmischen Maßstab der Zeit hin zu der Zeitspanne, in der Menschen die Erde bevölkern. Die Zeitspanne beginnt damit, dass sich erste Menschen aus Primaten entwickeln, wobei das ein fließender und kein fester Übergang ist und dadurch die Epoche der Menschheit keinen festen Beginn hat. Doch seit dem der erste Mensch die Erde betrat, werden immer mehr Menschen geboren, die immer länger leben und häufig neue Menschen in die Welt setzen. So unterwirft jeder Mensch, der ein Kind zeugt und auf die Welt bringt, es dem Fluss der Zeit, dem auch er schon selbst unterworfen ist. Das Gebären von Nachwuchs, um durch ihn weiterzuleben, ist für den Menschen der einzige Weg, ein Stück weit ewig zu leben. Der Grund dafür ist, dass das menschliche Leben endlich ist und so auf die Geburt, unweigerlich der Tod folgt. Der Tod, der das Ende einer menschlichen Existenz bedeutet und durch Kriege, Krankheiten, Umweltkatastrophen, biologisches Versagen des Körpers, etc. eintreten kann. Mit dem Tod bestimmter Menschen endet dabei nicht immer nur ihre persönliche Existenz, im Lauf der Zeit, nein, manchmal gehen zusammen mit ihnen auch ganze Kulturen und Gesellschaften zu Grunde. So entstehen und vergehen seit Anbeginn der Menschheit, menschliche Reiche und Kulturen, das ein ums andere mal sogar Hochkulturen. Fast alle Hochkulturen, von den Maya, Azteken, Ägyptern, Römern, usw., sowie ihre Reiche und ihre kulturellen und technologischen Errungenschaften vergingen mit der Zeit und nur wenige Reste überdauerten Jahrhunderte, um nachfolgenden Menschengenerationen von ihnen zu künden und z.T. durch sie neu entdeckt zu werden. Doch nicht nur Reiche und Kulturen vergehen, nein, auch die Zukunft oder zumindest ein Teil von ihr vergeht, indem sie erst zur Gegenwart und schließlich zur Vergangenheit wird.
Für die Menschen, deren Existenz im galaktischen und selbst terrestrischen Zeitmaßstab kaum eine Rolle spielt, wird mit jeder Generation, die sie auf der Erde verleben und sich weiter über alle Kontinente ausbreiteten, die Zeit immer wichtiger. Dabei ist es nicht nur die absolute Zeit, die für sie von Bedeutung ist, nein, auch die exakte Tageszeit oder eine genau definierte Zeitspanne, die verstreicht, während sie etwas tun oder während etwas passiert, ist für sie von unschätzbarer Bedeutung. Die Wichtigkeit, die der Mensch der Zeit beimisst, führt dazu, dass er immer bessere Zeitmessgeräte und Tageszeitanzeigen entwickelt. Als Erstes entwickelt er Zeitmessgeräte, die nur lokal von Bedeutung sind bzw. Gültigkeit haben, wie Sonnenuhren oder aber Kirschturmuhren, die dem Dorf oder der Stadt die Stunde schlagen. Doch das genügt den Menschen noch nicht. Die Menschen beginnen die Zeit und die Sekunde, als Einheit der Zeit, immer genauer zu definieren und fast alle Uhren weltweit zu vernetzen, auf das die ganze Welt eine fest definierte Zeit, und sei es nur die Tageszeit, hat.

Betrachtet man sich die Menschen und ihren Drang, immer die genau Zeit zu kennen und Zeitintervalle immer besser messen und festlegen zu können, so stellt man fest, dass ihnen dieser Drang häufig kein Glück bringt. So wissen in der heutigen Zeit zwar fast alle Menschen, welche Stunde gerade die Uhr schlägt, doch ist dieser Stundenschlag gleichzeitig zum Sklaventreiber ihrer Leben geworden, der ihnen unaufhörlich vorgibt, wo sie sich gerade aufhalten und was sie gerade zu tun und lassen haben. Der Grund dafür, dass der Stundenzeiger und die Uhr zum Sklaventreiber unserer Zeit geworden sind, ist, dass viele Menschen im Laufe ihrer Leben der Überzeugung erliegen, dass sie ihren Alltag besser durchstrukturieren, leben und genießen können, wenn sie genau festlegen, wann sie was tun. Doch ist diese Annahme ein Trugschluss. Statt das sie durch die Durchtaktung ihrer Lebenszeit mehr schaffen und erleben können, hetzen sie doch nur mehr von Termin zu Termin oder von Event zu Event. Es gelingt ihnen dadurch, dass sie immer mehr, in immer die gleiche Zeit packen, trotzdem einfach nicht, mehr Zeit für sich und ihre Wünsche zu finden. Stattdessen rast ihre gefühlte Zeit und damit ihre Lebenszeit wie ein Schnellzug voran, über den sie die Kontrolle verloren haben. Ihre Lebenszeit verstreicht gefühlt immer schneller, während sie sich immer mehr abhetzen, um doch noch etwas Zeit für sich und ihre Leben zu finden. Sie sehen einfach nicht, dass erst die Aufgabe der Durchtaktung der eigenen Lebenszeit, und sei es auch nur für wenige Stunden, einem ermöglicht, die Zeit, die man hat, wirklich wahrzunehmen und sie vollkommen genießen zu können. Kurz, viele Menschen beachten nicht, dass ein vollgefülltes, um nicht zu sagen, ein vollgestopftes Leben, nichts mit einem erfüllten und wirklich gelebten Leben und einer genossenen Lebenszeit zu tun hat. So richtet trotz allem Zeitdruck, den der Mensch verspürt, er doch seinen Alltag immer stärker an Uhren aus, bis sein ganzes Leben, von der Geburt bis hin zum Tod, mit dem Sekundenschlag einer Uhr durchgetaktet ist.

An dieser Stelle möchte ich mich jetzt etwas mit der bereits oben erwähnten „gefühlten Zeit“ auseinandersetzen. Die gefühlte Zeit ist dabei nicht mit Uhren, dem Zerfall von Atomen oder ähnlichem zu messen. Nein, die gefühlte Zeit ist, wie man selbst die Momente, im eigenen Leben, erlebt und auch rückblickend bewertet. So kann die gefühlte Zeit einem u.a. unendlich lang werden, wenn man beim Arzt auf einen kritischen Befund wartet, vor einer mündlichen Prüfung, auf die man sich schlecht vorbereitet fühlt, auf ihren Beginn oder wenn man einer Person seine Liebe gesteht, gespannt auf ihre Antwort oder Reaktion wartet. Im Gegensatz zu den Momenten, in denen die Zeit gefühlt sehr langsam vergeht, gibt es auch die Momente, in denen sie scheinbar rast, wobei das hauptsächlich die glücklichen Momente im Leben sind, z.B. die glückliche Zweisamkeit mit seinem Partner oder eine schöne Unternehmung mit guten Freunden.
Doch nicht nur in der Gegenwart variiert das Empfinden der Zeit, nein, auch im Rückblick verschiebt sich das Zeitempfinden. So kommen einem im Rückblick häufig Ereignisse, auf die man erst eine gefühlte Ewigkeit warten musste, ohne dass etwas passierte, recht kurz vor, während die Momente, die in der Gegenwart unheimlich schnell vergingen, einem im Vergleich dazu sehr lang vorkommen. Diese unterschiedlichen Arten der Auffassung von Zeit hängen dabei häufig mit den in der betreffenden Zeit gemachten Erfahrungen zusammen und damit, welche Erinnerungen sich einem ins Gedächtnis brannten. So springt die Erinnerung, um beim Beispiel mit der mündlichen Prüfung zu bleiben, vor der sich für einen selbst die gefühlte Zeit unendlich dehnte, wenn man sie dennoch relativ gut bestanden hat, von dem Betreten des Vorsaals, in dem man auf den Beginn der Prüfung wartete, zu der Mitteilung, dass man die Prüfung bestanden hat. Man hat kaum Erinnerung an die Zwischenzeit und aufgrund dessen kommt sie einem, im Rückblick, besonders kurz oder als nicht vorhanden vor. Anders sieht es dagegen aus, wenn man die Prüfung nicht bestanden hat oder sie besonders bescheiden lief, wodurch sie für den Prüfling zur schieren Qual wurde. In solchen Fällen kann es vorkommen, dass sich jede Frage, die man nicht beantworten konnte und die Reaktion des Prüfers, sich unauslöschlich in die eigene Erinnerung einbrennt und dadurch auch im Rückblick als unendlich lang empfunden wird, da man sich eben alle Gefühle und nicht beantworteten Fragen merkte. Ähnlich kann die gefühlte Zeit in der Erinnerung variieren, wenn man sich an eine Liebesnacht erinnert. Handelte es sich nur um einen One-Night-Stand, so kann es sein, dass man sich mit einigen Jahren Abstand gar nicht mehr an ihn erinnert und rückblickend, in der besagten Zeit, für einen selbst nichts passierte, außer dass die Lebenszeit raste. Anders sieht es dagegen aus, wenn man eine echte Liebesbeziehung eingeht und die erste gemeinsame Nacht, mit der geliebten Person verbringt. Ist man wirklich verliebt, so kann es sein, dass sich alles mit der Person erlebte, unauslöschlich ins Gedächtnis einbrennt. Der Moment der ersten Begegnung, der erste Kuss, der Beginn der Beziehung, die Erste gemeinsam verbrachte Nacht, jede Sekunde der Erkundung des anderen seines Körpers. Die Person, die sich an solche Dinge erinnert, wird rückblickend die Zeit als länger empfinden, da sie in weiteren Jahren auf die vielen gesammelten, bleibenden Erinnerungen zurückgreifen kann, als eine Person, die sich mit völlig Fremden vergnügte und daran keine bleibenden Erinnerungen hat, außer es bleibt etwas für sie böses, erinnerungswürdiges, wie z.B. eine Krankheit oder ein ungewolltes Kind, von diesen Abenteuern, hängen. In solchen Fällen kann die gefühlte Zeit und die Zeit des Bangens auch schon mal für den oberflächlichen Abenteurer ganz schön lang werden.

Doch wie sollte man jetzt mit der Zeit umgehen und wie sein Leben in ihrem Kontext gestalten? Wie bereits geschrieben ist die physikalische Zeit fest und sie verstreicht unaufhörlich. Mit der physikalischen Zeit geht darüber hinaus einher, dass unsere biologischen Zellen altern und vergehen, wodurch wir zwangsläufig eine begrenzte Lebenszeit haben. So ist unsere persönliche Lebenszeit durch die Geburt und den Tod, von dem man aber häufig nicht weiß, wann er kommt, begrenzt. Anstatt jetzt aufgrund der Wahrnehmung dieser Begrenztheit, der eigenen Lebenszeit, in Panik zu verfallen und sie mit alldem vollzustopfen, was man tun und lassen muss, und tun und lassen möchte, sollte man abwägen, was man tut und nicht jeden Tag und Lebensstunde mit vorgeplanten Unternehmungen vollstopfen, sondern unverplante Zeit für sich und für spontane Entscheidungen vorhalten. Man sollte entschleunigen, um das eigene Leben und schöne Momente bewusst wahrzunehmen, um nicht zu sagen, zu erfahren. Hektik und das Hetzen von einem Termin zum anderen führt darüber hinaus häufig nur dazu, dass man ausbrennt und gar nicht mehr bewusst lebt. Darüber hinaus kann es, wenn man durch die Tage hetzt, auch dazu kommen, dass man gar keine Zeit mehr hat, über Geschehenes und Erlebtes zu reflektieren, um es dadurch zu besseren Erinnerungen werden zu lassen. Stattdessen könnte es sogar dazu kommen, dass die vielen neuen Eindrücke, die unaufhörlich auf einen wirken, um nicht zu sagen, einschlagen, wenn man sich keine Zeit für sich selbst nimmt, alle vorhergehenden Erlebnisse und Tätigkeiten, die man erlebte oder verbrachte, verdrängen und man sich später nicht mehr vollumfänglich an sie erinnern kann. Das kann sogar so weit gehen, dass Menschen, vor allem die, die nur durch eine Kamera aktiv an ihrem eigenen Leben teilnehmen, in späteren Lebensjahren vor den von ihnen selbstgemachten Bildern sitzen und nicht wissen, was sie genau auf ihnen machten oder was sie zur besagten Zeit fühlten. Schlussendlich ist nämlich nur eins gewiss, nämlich dass die Zeit unaufhörlich voranschreitet und mit ihrem Voranschreiten die eigene Lebenszeit vergeht, die man zwar voll auskosten, aber nicht überwürzen sollte, da sie sonst einem selbst am Ende nicht mehr mundet.

Damit genug von der Zeit, von der ich ihnen, mit dieser Kolumne, auch schon etwas stibitzte. Schlussendlich bleibt mir nur noch zu sagen: „Lebt aktiv im Moment und nehmt jede Sekunde, eurer Leben, ganz genau war, anstatt nur von Termin zu Termin zu hetzen oder das Leben mit anderen, nicht erinnerungswürdigen Dingen vollzustopfen. Lebt so, dass ihr im Alter zurückblicken und sagen könnt: ‚Ach, wie viele schöne und glückliche Jahre schenkte mir die Zeit.‘, anstatt ‚Wo ist die Zeit nur hin, was habe ich in meinem Leben überhaupt getan?‘“

Published inIch Erdling

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