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Ich Erdling 50: Vom Tod / Grabrede

Geschätzte Lesezeit: 8 Minuten

Im Laufe meiner wöchentlichen Kolumne habe ich mich bisher hauptsächlich mit dem Leben beschäftigt. Fast ausschließlich habe ich mich damit beschäftigt, wie wir Menschen leben, welche Wege wir gehen und was, meiner Meinung nach, ein erfülltes, lebenswertes Leben ist. Ich habe mich damit beschäftigt, auf welchen Irrwegen die Gesellschaft geht, aber noch nicht mit dem Preis, der am Ende jedes Leben auf einen wartet. Ich habe mich noch nicht wirklich mit dem beschäftigt, was jeden Menschen erwartet, auch wenn viele hoffen, dass es erst in vielen Dekaden, anstatt in nur wenigen Jahren, auf sie zukommt.

Der Preis des Lebens, der jeden Menschen erwartet, ist immer der Tod. Der Tod, der alle Menschen gleich macht, da ihre Körper leblos auf dieser Welt zurückbleiben und auf die ein oder andere Art entsorgt bzw. beseitigt werden. Als Kind und bis weit hinein in meine zwanziger Jahre hatte ich Angst vor dem Tod. Ich hatte Angst davor, was aus mir wird, wenn mein Körper stirbt und ich aufhöre zu existieren. Es war eine Angst vor dem Tod, die mich packte, wenn mal wieder ein Familienmitglied oder ein Bekannter verstarb und dadurch für immer aufhörte zu existieren. Einige Menschen, vor allem wenn es sich um religiöse Menschen handelt, werden jetzt sagen, dass sie nur hier, auf dieser Welt, aufhörten zu existieren, aber dass es noch eine andere Existenzebene gibt, in der sie für ewig weiter leben. Es gibt religiöse Menschen, die zum Ausdruck bringen, dass gute Menschen auf ewig im Paradies und schlechte Menschen auf ewig in der Hölle, mit ihren Fegefeuern, weiterleben. Doch kann und konnte ich das nie wirklich glauben. Für mich sind solche Aussagen eigentlich nur Hohn, mit dem den Menschen zum einen die Angst vor dem Tod genommen werden soll und sie zum anderen dazu angehalten werden, im Sinne der jeweiligen Religion, die gerade das Paradies verspricht, zu handeln. Manchmal dient die Vertröstung auf ein Leben im Jenseits auch dazu, dass Menschen ruhig und untergeben bleiben und sich im hier und jetzt für fragwürdige Dinge instrumentalisieren lassen. Kurz, die Religion sowie der Glaube an ein Leben nach dem Tod, ist das Opium des Volkes, wie bereits Karl Marx feststellte. Die Religion und der Glaube an ein Jenseits wirken wie eine Droge, die die Menschen sich fragwürdig verhalten lässt und sie dazu bringt, fragwürdige und manchmal vorschnelle Entscheidungen zu treffen, die die Welt zu einer schlechteren machen. Dabei handelt es sich bei diesen Entscheidungen häufig um Entscheidungen, die sich im Nachhinein nicht mehr umkehren lassen, so dass man und andere Menschen ein Leben lang mit den Konsequenzen leben müssen.
Doch genug von der Religion und dem Leben nach dem Tod, das sie häufig ihren Gläubigen verspricht. Was jedem Menschen, meiner Meinung nach, bewusst sein sollte, ist, dass die eigene Existenz für immer endet, wenn der Körper versagt, das Herz aufhört zu schlagen, das Gehirn nicht mehr mit Sauerstoff versorgt wird und die Synapsen, die unser Wesen ausmachen, ihren Dienst einstellen. Wir und unsere Existenz sind an unsere Körper gebunden und deshalb sollte man nicht leichtfertig mit ihnen umgehen. Darüber hinaus sollte man aufgrund dieser Erkenntnis auch nicht leichtfertig mit der Existenz anderer Lebewesen umgehen, die für ewig vergehen, wenn ihr weltliches Dasein endet, auch wenn man manchmal erst Jahre nach ihrem Dahinscheiden merkt, wie viel sie eigentlich Wert waren, nämlich unbezahlbar viel wert.

Beschäftigt man sich, wie ich in dieser Kolumne, mit dem Tod, sollte man sich dabei auch immer die Frage stellen, wie man auf seinem Sterbebett auf sein Leben zurückschauen möchte. Möchte man zurückschauen und nur Tod, Verhängnis und Leid oder allen möglichen materiellen Schund, den man im Laufe seines Lebens anhäufte, sehen? Wohl eher nicht. Denn alle materiellen Dinge, die der Kapitalismus uns als heilbringend verkauft, bleiben zurück, wenn man stirbt. Man nimmt nichts mit, wenn die weltliche Existenz endet und was bringt es einem dann, wenn man sich sein Leben lang immer nur bereicherte, sei es auf Kosten der Umwelt, anderer Menschen oder gar der Zukunft kommender Generationen? Es bringt einem rein gar nichts. Wäre es in diesem Kontext nicht besser, auf sein Leben zurückzublicken und zu sehen, wie man die Welt vielleicht ein Stück weit zu einem besseren Ort machte, z.B. dadurch, dass man seinen Bekannten ein guter Freund war? Indem man alles dafür tat, zu versuchen, dass das eigene Leben möglichst wenig negativen Einfluss auf die Welt und andere Lebewesen hat? Ist es denn nicht viel besser, auf dem Sterbebett, dass vielleicht eine Pritsche in einem wackeligen Holzhaus, anstatt ein Himmelbett in einem Schloss ist, zurückzublicken und all die Freude, Liebe und Hoffnung zu sehen, die man anderen Menschen und Tieren schenkte, anstatt das Elend und Leid, dass aus einem zerstörerischen, materialistischen Lebensstil, bei dem Selbstbereicherung über alles ging, entstand? Ich persönlich ziehe die Pritsche, dem mit Leid erkauften Himmelbett vor und hoffe, dass ich, wenn ich einmal sterben sollte, auf ein langes glückliches Leben zurückblicke, dass ich nicht auf Kosten anderer oder in unverhältnismäßiger Weise, auf Kosten der Natur, führte.

Nachdem ich mich jetzt mit dem Tod beschäftigte und auch wenn ich hoffe, dass es noch lange hin ist und ich noch viele Dekaden zu leben habe, möchte ich mir an dieser Stelle schon einmal Gedanken über meine Beerdigung machen. Ich möchte darüber nachdenken, was ich den Menschen, die vielleicht eines Tages zu meiner Beerdigung kommen werden, noch gerne mit auf ihre Lebenswege gäbe. Während ich so über meine Beerdigung nachdenke, stelle ich fest, dass eigentlich nur ich es sein kann, der die Grabrede für meine Beerdigung schreibt. Der Grund dafür ist, dass ich eigentlich der einzige bin, der wirklich ehrlich über mich schreiben kann, denn wie sollte ein Fremder, der mich nicht wirklich kennt und mich auch nie besserer kennen kann, als ich mich selbst, eine passende Grabrede schreiben bzw. halten? Vor allem, wie sollte er eine wirklich ehrliche Grabrede über mich schreiben, wenn selbst ich tagtäglich feststelle, dass nicht einmal ich mich wirklich kenne?

Grabrede
Zum Beginn der Totenrede wird das Lied „Zeit bleib stehen“ von der Band „Dritte Wahl“ gespielt.

Hallo, euch allen, die ihr heute hier zu meiner Beerdigung gekommen seid. Ich weiß jetzt nicht, ob ihr viele oder wenige seid und ich weiß auch nicht, wie viele Jahre oder Dekaden verstrichen, seit ich diese Zeilen schrieb. Doch möchte ich trotz allem persönlich das Wort an euch richten und meine eigene Grabrede zum Besten geben.

Zum Einstieg möchte ich ein paar Worte dazu sagen, warum ich das Lied „Zeit bleib stehen“ von der Band „Dritte Wahl“ als Einstieg für diese Trauerfeier wählte. Der Grund dafür ist, dass man sein Leben lang, vor allem wenn man Zeit mit seinen Freunden und Lieben verbringt, möchte, dass die Zeit stehen bleibt, um die schönen Momente für immer genießen zu können. Man möchte am Schönen festhalten, da man im Laufe seines Lebens häufig erlebte, dass die Zeit das Glück, alte Freunde und alte Liebe mit sich reißt. Alte Freundschaften vergehen und neue kommen und immer, wenn die Zeit gerade wieder am schönsten ist, hofft man, dass sie für immer so bleibt. Doch das Leben ist endlich und so kann nichts, wirklich gar nichts, was man im Leben tut, für ewig sein.

In gewöhnlichen Grabreden, die Fremde für bzw. über einen schreiben und halten wird häufig berichtet, was der Tote, von dem man sich bei der Beerdigung verabschiedet, in seinem Leben geleistet hat. Es wird berichtet, welche ausbildungstechnischen, beruflichen und familiären Erfolge er vorzuweisen hat. Doch das möchte ich nicht tun. Nein, ich möchte nicht, dass man sich meiner wegen solcher, doch häufig oberflächlichen Erfolge erinnert. Ich möchte hier und jetzt sagen, dass ich mein Leben immer so versuchte zu führen, wie ich es für richtig hielt, wobei es auch mal Dinge gab, die ich bereute. Ich möchte den Freunden, die ich im Laufe meines Lebens hatte, sagen, dass ich weiß, dass es bestimmt nicht immer leicht mit mir war, aber das ich trotz allem immer versuchte, ein guter Freund zu sein. Doch nicht nur, dass ich immer ein guter Freund sein wollte. Nein, das war nur ein kleiner sozialer Aspekt meines Lebens. Darüber hinaus wollte ich weite Teile meines Lebens auch so leben, dass ich einen möglichst geringen ökologischen Fußabdruck habe und möglichst wenig Leid auf der Welt, direkt oder auch indirekt, verursachte. Aus diesem Grund versuchte ich auch ein Leben lang, der Gesellschaft und den Menschen, mit denen ich tagtäglich Umgang pflegte, einen Spiegel vorzuhalten, auf dass sie über sich und ihre Leben reflektierten. Ich wollte niemals einfach nur ein bequemer Mensch und Freund sein, der immer nur ja und amen sagt. Nein, dass wollte ich wahrlich nicht. Doch gerade diese Lebenseinstellung führte dazu, dass sich viele Menschen an mir rieben und mit mir und meiner Art nicht zurechtkamen.
Doch jetzt, da ich aufhörte zu existierten, hoffe ich, dass ich die Leben vieler Menschen und Tiere, die mir in meinem Leben Freunde und treue Begleiter waren, bereicherte und es auch schaffte, das ein ums andere mal ein Lächeln auf ihre Lippen zu zaubern. Ein echtes Lächeln, das vom Herzen kam und alle Liebe und Freude in sich trug, zu der das jeweilige Lebewesen fähig war. Ich hoffe, mir war es im Laufe meines Lebens möglich, die Welt zu einem besseren Ort für viele Lebewesen, sein es Menschen, Tiere oder Pflanzen zu machen und an diesem Vorsatz muss ich mich und mein Leben wohl messen lassen, da es mir jetzt unmöglich ist, noch etwas an meinem Lebensweg zu ändern.

Zum Schluss möchte ich noch euch, die ihr hier, auf meiner Beerdigung, von mir Abschied nehmt, mit auf den Weg geben, dass ihr alles Leben, sei es das eigene, das von anderen Menschen, Tieren oder Pflanzen schützen und wertschätzen solltet. Jeden von euch, die heute von mir Abschied nehmen, sei gesagt, dass das Leben einzigartig ist und es kein Leben für einen nach dem Tod gibt. Es sei gesagt, dass das letzte Hemd keine Tasche mehr hat, und das einzige was von einem bleibt, der ökologische Fußabdruck des eigenen Lebens und die Erinnerung der Menschen, denen man im Laufe seines Lebens begegnete, ist.

Damit verabschiede ich mich für immer von euch und gehe ins Nichts. Ich hoffe, einige von euch werden sich meiner und der schönen Momente, die wir verlebten, erinnern. Lebt wohl und macht es gut.

Zum Ende der Totenrede wird das Lied „Grabrede“ von der Band „Subway to Sally“ gespielt.

Published inIch Erdling

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