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Abschied vom Land und dem bisherigen Leben

Geschätzte Lesezeit: 7 Minuten

Die letzten Sachen sind gepackt. Die Wohnung gründlich durchgekehrt. Ein letzter Blick durch die Wohnung, ob wirklich alles eingepackt, weggeräumt und sauber ist. Ein letztes Mal die Tür hinter mir zuziehen und abschließen. Ein letztes Mal die Treppe heruntergehen. Ein letztes Mal in den Garten, um von den Pflanzen und Tieren, die mir Jahre meines Lebens, im Gegensatz zu vielen Menschen, gute Gefährten waren, Abschied zu nehmen. Von den Tieren und Pflanzen, denen ich über Jahre, manchmal vom Samen oder Jungtier, zum erwachsenen Lebewesen, in meinem Garten eine Heimat bot.
Jetzt gehe ich durch den Garten und sage den Pflanzen, Vögeln und Katzen auf Wiedersehen. Vielen in meiner Situation fiele bestimmt der Abschied von den Menschen, die einen über Jahre des Lebens begleiteten, schwer, doch das ist bei mir nicht der Fall. Das, was mir wirklich schwerfällt, ist der Abschied von all den Lebewesen, die meinen ehemaligen Garten und mein ehemaliges Haus bevölkern.
Ein letztes Mal hebe ich noch den Kater hoch, um ihn hinter den Ohren zu kraulen, bevor es für immer „Good bye“ von ihm und den Garten zu nehmen heißt. Ach, wie viel Herzblut habe ich in den Garten gesteckt. Wie viele Ideen in ihm verwirklicht, um den Tieren und Pflanzen ein immer schöneres und besseres Zuhause zu geben. Doch ich wurde älter, meine Zeit knapper und mir das Haus, zu dem der Garten gehört, viel zu groß. Mir wurde das Haus, dass zur Hälfte, wenn nicht gar mehr, ungenutzt war, zu viel. Zu viel, da es nicht zu meinem sonstigen minimalistischen Lebensstil passte und viel Zeit und Geld in die Instandhaltung gesteckt werden musste, was mir persönlich eigentlich nichts brachte, da es trotz allem ein leeres, kaltes Haus blieb. Ein Haus, das einfach nur viel Arbeit machte, ohne zu einem positiven Lebensgefühl beizutragen. Ich denke an die Wohnung, die ich jetzt hinter mir lasse und an die Wohnung, die ich jetzt bezöge. Ach, beides waren nicht meine Traumwohnungen, doch die neue war wenigstens nachhaltiger und hatte für meine Bedürfnisse die richtige Größe. Ach, am liebsten wäre mir eigentlich ein Bungalow mit zwei Zimmern, Küche und Bad, mit einer Erdwärmepumpe, Solarzellen auf dem Dach und einer Regenwasseraufbereitungsanlage. Einen Bungalow, der völlig autark auf einem zwei- bis dreitausend Quadratmeter großen Grundstück läge. Ein Grundstück, auf dem das Haus zwischen den Pflanzen kaum mehr zu erkennen wäre, da es einfach in der Gartengestaltung aufginge.
In diesem Moment beginnen Zweifel an mir zu nagen und ich gehe noch einmal bewusst in mich. Ich frage mich, ob ich wirklich ehrlich zu mir selber bin oder ob ich den Garten und das, was er für mich ist, nur verkläre. Dabei komme ich zu der Überzeugung, dass mir der Garten in all den Jahren, die ich ihn pflegte, nie zu viel Arbeit abverlangte. Nein, er brachte mir stattdessen Ausarbeitung und Freude. Im Gegensatz dazu brachten mir die Gebäude, die das Grundstück und den Garten dominierten, keine Freude und auch keine Erfüllung. Sei es das Wohnhaus oder die Scheune, die beide mittlerweile über fünfzig Jahre auf dem Buckel haben mussten. Diese Gebäude waren es, die viel zu viel Arbeit bereiteten, Zeit und Geld fraßen, und trotz aller Mühe, die ich in sie steckte, nie meine wirklichen Bedürfnisse erfüllten und auch nie erfüllen könnten.
Ich erinnere mich zurück an die Momente, an denen ich merkte, dass mir nach und nach alles zu viel wurde, um schließlich, nach fast zwei Jahren des Hin und Her Schwankens und Schönreden, einen bewussten Schlussstrich zu ziehen. Einen Schlussstrich, der auch ein Kapitel meines Lebens abschlösse. Der Schlussstrich war, dass ich mir eine Wohnung in der grauen Stadt, in der Nähe meiner Arbeit suchte. Eine Wohnung, in der ich sehr ökologisch leben könnte, aber ohne den direkten Bezug zur Natur, in Form eines Gartens, der mir doch all die Jahre so wichtig gewesen ist. Doch was sollte ich anderes tun? Für mich alleine war jedes Haus, das ich mir kaufen könnte, zu groß und einen Bungalow auf einem weiten Stück Land, wie in meiner Wunschvorstellung, findet man auch nicht, vor allem dann nicht, wenn man vernünftig und ökologisch sinnvoll zu seiner Arbeitsstelle kommen möchte. Also erst einmal Kompromisse eingehen und die Wohnung beziehen, in der ich gedachte zu leben, bis sich die Möglichkeit böte, vielleicht sogar mit einem geliebten Menschen, meinen Traum erneut in Angriff zu nehmen. Doch ob es je so weit käme, zeigte mir erst die Zukunft.
Als ich so im Gedanken ein letztes Mal über das Grundstück gehe, höre ich auf einmal die Nachbarn Zetermordio schreien. In diesem Moment, da ich ihr Geschrei und Gekeife höre, wird mir bewusst, dass ich doch nicht alles vermissen werde. Nicht vermissen würde ich die Nachbarn, die sich immer lauthals stritten und für die ein schöner Garten, immer nur ein steriler Garten wäre. Die Nachbarn, die sich immer über meine „Naturecken“ im Garten beschwerten, da sie der Meinung waren, dass die wilden Pflanzen nur „Unkraut“ sein. Doch nicht nur das, ich würde auch nicht die Nachbarn vermissen, die bei einer Sturmwarnung ihre „Wertstoffsäcke“ schon abends auf die Straße stellten, auf das sie zerrissen und der Wind ihren Inhalt in unseren Vorgarten verteilte. Aber das war noch nicht das Schlimmste, an der damaligen und nicht einzigartigen Situation, wie ich mich jetzt bildhaft erinnerte. Das Schlimmste war, dass sie halb volle Fleischsalatdosen und volle Kapseln Instantkaffee in ihren Plastikmüll geworfen hatten, wodurch in unserem Vorgarten, nicht nur wegen des Plastikmülls, eine übelerregende Sauerei herrschte, sondern auch wegen der Nahrungsreste, die sich überall verteilt hatten. Essensreste, die unsere ignoranten Nachbarn nicht richtig entsorgten. Die Ignoranz ging sogar so weit, dass der Nachbar, dem die zerfetzten Plastikmülltüten gehörten, obwohl er das Chaos am nächsten Morgen sah, einfach in sein Auto stieg und losfuhr, wobei er durch das Drüberfahren, mit seinem Auto, den Plastikmüll noch weiter in der Gegend verteilte.

Schließlich reise ich mich von meinen Erinnerungen los und gebe alle meine Schlüssel, sei es zur Wohnung, zum Haus oder zum Briefkasten, ab. Mit einem Gefühl von Trauer und Wehmut, trotz der auch vorhanden schlechten Erinnerungen, aber in der Überzeugung, die richtige Entscheidung für mich getroffen zu haben, schließe ich dieses Kapitel meines Lebens, dessen Zentrum das Haus mit dem Grundstück war. Ich schließe das Kapitel, das fast die Hälfte meines Lebens ausmachte, ab. Ich bin mir zwar sicher, die richtige Entscheidung getroffen zu haben, doch fühlt sich die Entscheidung, auf dem Grunde meines Herzens, doch ein Stück weit wie eine billige Kapitulation, vor all den Widerständen unserer Welt, an. Doch mir wird auch bewusst, das Zurückblicken und trauern sicherlich keinem einen Vorteil brächte und so richte ich meinen Blick nach vorn. Ich bin gespannt, was das neu beginnende Kapitel, das jetzt vor mir liegt, alles bringen wird.

Innerlich schon mit dem Haus und dem Ort abgeschlossen gehe ich auf dem Fußweg zu meinem Auto, um mit ihm in mein neues Heim zu fahren. Doch obwohl ich schon mit dem Ort abschlossen habe, so hat er es scheinbar noch nicht mit mir, denn plötzlich höre ich ein Auto hupen und das Quietschen von Reifen. Ich drehe mich erschrocken um und mache entsetzt einen Schritt zu Seite, kurz bevor ein SUV, nur mit einer Handbreit Abstand, an mir vorüberfährt. Der SUV-Fahrer, der mich beinah über den Haufen fährt, ist einfach, ohne zu denken und zu schauen, einem entgegenkommenden Fahrtzeug auf den Fußweg ausgewichen. Auf den Fußweg, auf dem ich gerade zu meinem Auto lief, wodurch ich ihn offensichtlich im Weg war. Doch anstatt wenigstens anzuhalten, um sich für seine Rücksichtslosigkeit zu entschuldigen oder zu fragen, ob mit mir alles in Ordnung sei, fährt er einfach weiter. Er fährt gerade so weiter, als ob nichts gewesen sei. Ich denke bei mir, dass das noch so ein Ding ist, dass ich nicht vermissen werde. Ich werde sicherlich nicht die rücksichtslosen SUV-Fahrer, die auf dem Land ihren Status zeigen, indem sie mit ihren Stadt- und Dorfpanzern selbst die kürzesten Strecken zurücklegen, vermissen, da es sich bei ihnen häufig nur um einfache Ignoranten handelt. Ignoranten, die sich über ihre Autos profilieren. Von Ignoranten, die scheinbar nicht dazu in der Lage sind, mit etwas anderem, etwa ihrem Verstand, Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.
Schließlich beruhigt sich mein Puls und mein Gemüt wieder und ich setze den Weg zu meinem Auto fort.

Als ich schließlich mein Auto erreiche, lasse ich es an und fahre mit einem weinenden und einem lachenden Auge, einer mir noch unbekannten Zukunft entgegen.

Published inErzählungen

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