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Momente – Teil 2: Auf dem Nachhauseweg von einer Feier

Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten

Ich bin auf dem Rückweg von einer Feier. Mein Handy klingelt. Ich gehe ran. Ich melde mich „Hallo.“ und die Stimme eines Freundes schreit mir ins Ohr: „Er ist tot!“ „Wer ist tot?“, frage ich, doch vernehme ich nur leise, ein sich wiederholendes Geflüster aus dem Lautsprecher meines Handys. Es flüstert aus ihm: „Er ist tot, tot, wirklich tot.“
„Etwas Schlimmes muss auf der Feier passiert sein, auf der ich gerade noch mit Freunden gewesen bin.“, denke ich bei mir und frage noch einmal, mit zitternder Stimme: „Wer ist gestorben?“ „Unser Freund, der Gastgeber des heutigen Abends. Kurz nach dem du gegangen bist, ging jemand in sein Zimmer und fand ihn leblos. Er lag in seinem Erbrochenen, in seinem Bett. Wir riefen sofort den Notarzt, doch als er fünfzehn Minuten später kam, konnte er nichts mehr für ihn tun. Er konnte nichts mehr tun und jetzt ist unser Freund tot, erstickt an seinem verdammten Erbrochen!“
Meine Beine geben nach. Ich muss mich setzen. Ich setzte mich an den Wegrand und lehne mich an einen Baum. „Soll ich zurückkommen?“, frage ich meinen Freund am Telefon. „Nein, das brächte jetzt auch nichts mehr. Ich weiß auch nicht, was du jetzt sonst noch tun könntest. Kurz nachdem der Notarzt gekommen war, ist auch die Polizei aufgetaucht. Zwei Polizisten, die jetzt erst einmal unsere ganzen Personalien aufnehmen und uns befragen. Vielleicht werden sie sich auch noch mit dir in Verbindung setzen. Wer weiß. Ich wollte dir nur Bescheid geben, was passiert ist, damit du alles weißt und keine böse Überraschung erlebst.“
„‚Keine böse Überraschung erlebst.‘, dass ich nicht lache! Was ist denn dein Anruf gerade? Er ist doch die reinste böse Überraschung!“, denke ich. Doch sagen tu ich: „Gut, danke. Ich brauche jetzt erstmal etwas Zeit für mich. Wir telefonieren noch einmal miteinander, wenn wir etwas Schlaf gefunden haben, falls wir bis morgen überhaupt Schlaf finden.“ Das gesagt, lege ich auf. Ich frage mich, wie ich jetzt, in dieser Situation, überhaupt Schlaf finden sollte. Ich sitze einfach nur da, am Wegesrand, und habe keine Kraft mehr. Keine Kraft, um aufzustehen oder sonst etwas zu tun.

Ich sitze da und nach einer Weile wandert mein Blick Richtung Himmel. An einem wolkenlosen Himmel sehe ich die Sterne funkeln. Ich denke zurück. Ich denke an den Moment, in dem ich den Freund, der jetzt in seinem Erbrochenen liegend gestorben ist, kennengelernt habe. Ich denke zurück, an die vielen schönen Stunden, die wir gemeinsam verlebten und vor allem durchlebten. Warum musste sein Leben nur so früh enden?
Glaubte ich an ein Leben nach dem Tod, sagte ich jetzt: „Wir sehen uns bestimmt im nächsten Leben.“ Doch ich glaube an kein Leben nach dem Tod. Ich weiß, dass sein kostbares Leben einfach, auf eine unglaublich dumme Art und Weise, geendet hat und es ihm niemand wiedergeben kann.
Mir wird bewusst, dass das einzige, was von diesem Menschen, der Jahre ein Freund von mir war, bleibt, die Erinnerungen anderer Menschen sind. Es sind die Erinnerungen von seinen Verwandten und Freunden. Erinnerungen, die mit der Zeit verblassen und spätestens dann vergangen sein werden, wenn wir, also seine Freunde und Verwandten, aufhören zu existieren.
Ich denke an den Moment zurück, an dem ich ihn das letzte Mal gesehen habe. An den Moment, als er von unserem Tisch aufstand und meinte, dass wir ruhig noch etwas feiern können, er aber in sein Bett müsse, um noch etwas Ruhe und Schlaf zu finden. Ich denke daran, wie er noch einmal seine Bierflasche hob, uns zu prostete und sagte: „Auf unsere Freundschaft und auf unsere Leben.“, bevor er die Flasche leerte und zu Bett ging.
Kurz nachdem der Freund zu Bett gegangen war, machte ich mich auch auf den Weg nach Hause. Ich machte mich auf, gemütlich zu Fuß, die eineinhalb Stunden Fußweg in den Nachbarort, zu meiner kleinen Wohnung, zu laufen.

Ich öffne meine Umhängetasche, in der ich eine Flasche Wasser für den Heimweg habe, um etwas trinken zu können, falls ich Durst verspürte. Ich hole die Flasche mit Wasser heraus, öffne sie und proste dem Himmel, mit den Worten entgegen: „Vielleicht haben wir uns doch geirrt und wir sehen uns mal wieder. Wenn vielleicht nicht in einem nächsten Leben, so doch in meinen Erinnerungen, die du sehr prägtest. Mach’s gut!“ Dann trinke ich einen Schluck und schau weiter in den Sternenhimmel, während mir Erinnerung um Erinnerung von ihm und unseren Erlebnissen durch den Kopf geht.

Published inMomente

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