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Momente – Teil 6: Vor dem Fernseher

Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten

Ein anstrengender Tag liegt hinter mir. Auf Arbeit hetzte ich von Termin zu Termin, nur um nicht wirklich weiterzukommen. Wie ein Zahnrad im Getriebe einer namenlosen Maschine, die Mensch um Mensch in sich aufnimmt und verdaut, bis nichts mehr von ihm übrig bleibt. Doch schließlich kam der Feierabend und ich konnte die Routine meiner Arbeit hinter mir lassen.

Jetzt bin ich zuhause. Doch der ursprüngliche Elan, den ich verspürte, als ich Feierabend hatte, ist nicht mehr da. Lust und kraftlos begrüße ich meine Freundin, nur um mich im nächsten Moment vor den Fernseher zu setzen, um mich „unterhalten“ zu lassen. Bilder flimmern über die Mattscheibe und viel Unnötiges fesselt meine Aufmerksamkeit und beansprucht meine Gedanken.

Die Zeit vergeht.

Ich weiß nicht genau, wie lange ich bereits vor dem Fernseher sitze, doch plötzlich durchdringt die Stimme meiner Freundin meine Gedankenleere. Ihre Stimme durchdringt das Nichts, das sich in meinem Kopf befindet und erreicht mein Aufmerksamkeitszentrum. Ich bekomme mit, dass sie zum Ausdruck bringt, dass sie sich dringend mit mir unterhalten muss, doch ich wickle mit den Worten ab: „Nach dieser Sendung.“, wobei ich nicht einmal genau weiß, was ich mir da gerade im Fernseher anschaue. Ich habe einfach keine Lust.
Früher war das mal anders. Früher, als ich noch frisch verliebt in meine Freundin war. Damals nahm ich mir noch, sobald ich sie sah, Zeit für sie. Egal wie erschöpft ich auch war, ich nahm mir immer Zeit für sie, um mit ihr zu reden. Es machte mir Spaß, mich mit ihr auszutauschen, selbst wenn es nur über alltägliche Dinge und Banalitäten war. Doch diese „Verliebtheit“ verblasste mit der Zeit und Routine kehrte in unsere Beziehung ein. Routine, wie ich sie schon zu genüge tagtäglich auf Arbeit habe.
Ich denke an die vergangenen Momente unserer Beziehung, an die schönen und auch schweren Stunden. Irgendwie haben wir sie alle durchstanden. Auch wenn es manche Tiefschläge gab, wir haben uns zusammengerissen und sind glücklich, wenn vielleicht auch etwas ramponiert, weitergegangen. Doch mir wird auch bewusst, dass irgendwo auf unserem Weg, meine Liebe zu ihr abhandengekommen ist, und Gewohnheit und Routine Einzug in die Beziehung gehalten haben. Mir wird bewusst, dass sie für mich zu fast so etwas, wie einem lieb gewordenen Haustier geworden ist. Sie wurde zu einem Wesen, das auf mich wartet, wenn ich von Arbeit nachhause komme, um noch etwas Aufmerksamkeit und ein paar Zärtlichkeiten zu erfahren. Zärtlichkeiten, die ich ihr nicht mal aus ganzem Herzen, sondern nur halbherzig und nebenbei zukommen lasse.
Bei diesem Gedanken wird mir angst. Wie konnte es nur so weit kommen, dass ich meine Freundin, wenn auch nur in meinen Gedanken, mit einem „Haustier“ vergleiche. Wie konnte es nur dazu kommen, dass ich eine Beziehung ohne Liebe führe, obwohl ich mir doch als junger Mensch einmal geschworen habe, nie eine Beziehung zu führen, in der keine Liebe haust? Wie konnte ich mich, mein junges ich und vor allem meine Freundin, so verraten? Ist es denn nicht ungerecht gegenüber ihr, sie ein Stück weit wie einen „Einrichtungsgegenstand“ zu behandeln? Ja, das ist es! Doch was soll ich tun? Die Beziehung beenden? Nein, dazu fehlt mir die Kraft, denn ich möchte nicht allein sein. Was also tun? Vielleicht erst einmal mit ihr reden? Ja, das ist eine gute Idee.
Ich stehe auf, um nach meiner Freundin zu sehen, doch sie ist nicht da. Während ich nach ihr sehe, fällt mir ein Zettel auf, der auf dem Esszimmertisch liegt. Auf dem Zettel steht etwas in ihrer Handschrift. Es steht darauf:

„Es hat für mich keinen Sinn mehr, mich hier, in unserer Wohnung, die wir so viele Jahre gemeinsam geteilt haben, aufzuhalten. Es hat keinen Sinn mehr für mich, da du mir keine Aufmerksamkeit mehr schenkst und ich manch einmal gar den Eindruck habe, nur noch Luft für dich zu sein.
Ich gehe zu einer Freundin, bei der ich wohnen werde, bis ich wieder eine eigene Wohnung gefunden habe. Dann werde ich auch meine Sachen holen. Was dich betrifft, so wünsche ich dir alles Gute in deinem Leben und danke für ein paar wirklich schöne Jahre, auch wenn die Letzten eher grau waren.“

Als ich die Zeilen lese, bleibt mir mein Herz fast stehen. Trauer breitet sich in mir aus. Trauer, dass sie jetzt mein Leben verlassen hat und sich wieder eines ohne mich aufbaut. Trauer, dass ich wieder allein bin. Aber auch die Erkenntnis, dass es so vielleicht besser ist, da ihr das, was ich erst heute bemerkte, wahrscheinlich viel früher auffiel und sie jetzt den lang überfälligen Schlussstrich gezogen hat.

Vielleicht wird ja die Zukunft für uns beide besser. Getrennt voneinander und vielleicht wieder mit einem Partner oder einer Partnerin, die man wirklich liebt. Vielleicht gelingt es uns beiden ja unabhängig voneinander, wieder eine echte Liebesbeziehung zu führen. Eine Liebesbeziehung, in der die Liebe über die Jahre trägt, ohne zur langweiligen, selbstverständlichen Routine zu werden.

Ja, vielleicht, doch das kann nur die Zukunft zeigen.

Published inMomente

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