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Momente – Teil 7: Auf dem Dach eines Hochhauses

Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten

Ich sitze auf dem Dach eines Hochhauses. Mein Rücken lehnt an der Wand des Treppenhauses, über das ich das Dach betreten habe. Es ist kühl. Na gut, was will man auch anderes von Silvester erwarten? Von Silvester, dem letzten Tag des Jahres, bevor ein neues Jahr beginnt. Ein Jahr, mit neuen Hoffnungen und Wünschen.
Ich sitze da und blicke in den sternenklaren Himmel, wobei ich, aufgrund der Lichtverschmutzung, kaum Sterne sehe. Das war auf dem Land anders. Da sah man viele Sterne in der Nacht, wenn man nur ein paar Schritte einen Feldweg entlang vom Dorf wegging und in den wolkenlosen Nachthimmel blickte. Doch das Dorf liegt, genau so wie mein bisheriges Leben, hinter mir.
Im Moment mag ich zwar gerade wenige Sterne am Himmel sehen, doch bringen sie mich dazu, zurück an vergangene Zeiten, an einem anderen Ort, zudenken. Ich denke daran, was ich alles mit dem Beginn des neuen Jahres hinter mir lassen werde. Mit dem Beginn eines neuen Lebensabschnitts, bei dem ich fast alles, was mein bisheriges Leben ausmachte, beendete und etwas ganz Neues begönne. Ja, in meiner Historie wird der Übergang von diesem, in das neue Jahr einen Bruch darstellen. Es wird ein gewaltiger Umbruch für mich sein, da dann zwischen mir und mein bisheriges Leben, hunderte Kilometer liegen werden.
Mit dem Beginn des neuen Lebensabschnitts werde ich viele „alte“ Freunde hinter mir lassen, genauso wie die Orte meiner Kindheit, Jugend und meines jungen erwachsenen Lebens. Vielen Menschen fällt es schwer, all ihre Freunde und die bekannten Orte hinter sich zu lassen, um komplett neu zu beginnen, doch gerade das ist mein Ziel.
Ich werde all das hinter mir lassen und fast komplett neu anfangen. Ich werde, auch wenn es mir schwerfällt, mir einen neuen, hoffentlich sympathischeren Freundeskreis, als meinen letzten, aufbauen. Einen Freundeskreis, der zu mir und meiner aktuellen Weltanschauung passt. Na gut, ich möchte nicht klagen, mein alter Freundeskreis bot mir über viele Jahre Halt und Sicherheit, doch je älter ich wurde und je mehr ich lernte und erlebte, desto mehr entwuchs und entfremdete ich mich ihm. Ein Großteil meines bisherigen Freundeskreises wuchs „geistig“ einfach nicht mit mir mit und bei manchen Freunden hatte ich gar den Eindruck, dass sie sich zurückentwickelten. Bei dem ein oder anderen Freund gewann ich den Eindruck, das mit dem Alter das Proletentum in sein Leben Einzug hielt, wobei dieser Eindruck auch meiner stetigen geistigen und weltanschaulichen Weiterentwicklung geschuldet sein könnte. Um es kurzzumachen, ich merkte in den letzten Jahren Tag für Tag immer deutlicher, dass mich mein Freundeskreis zurückhielt. Ich merkte, wie er mich versuchte in eine Rolle zu pressen, die ich nicht mehr ausfüllen mochte und so reifte in mir der Schluss, einen Bruch herbeizuführen. Einen Bruch, mit dem ich mein vergangenes Leben hinter mir lassen und mit all meinem Wissen und meinen Erfahrungen noch einmal komplett neu beginnen könnte.
Ich suchte mir einen neuen Job und eine neue Wohnung, weit von meinem bisherigen Leben entfernt und im neuen Jahr werde ich dann den Anfang vom Rest meines Lebens, auf diesem neuen Weg begehen. Ich werde hoffentlich neue Menschen kennenlernen, die wie ich, nach Wissen und Verständnis strebten, anstatt sich mit dem Status quo zufriedenzugeben. Menschen, die hoffentlich mein Weltbild teilten, anstatt mich mit ihren „einfachen“ und zum Teil „gestrigen“ Weltbildern zurückzuhalten. Ich hoffe, dass ich mich entfalten und aufblühen kann, anstatt zu versuchen, in einer mich umgebenden geistigen Ödnis, am Leben zu bleiben.
Doch auch wenn ich mir all das vorgenommen habe, im Moment fühle ich mich allein. Allein, hier auf dem Dach sitzend und auf das neue Jahr wartend. Allein, mit mir und meinen Gedanken. Soweit ich zurückdenken kann, feierte ich immer mit meinen Freunden in das neue Jahr. Das ist jetzt zum ersten Mal nicht mehr der Fall und Trauer beginnt sich in meinem Herzen auszubreiten.
Ich stelle mir die Frage, ob es wirklich die richtige Entscheidung war, alles hinter mir zu lassen. War es wirklich richtig, einen harten Bruch zu vollziehen, um die Chance zu haben, mich weiterzuentwickeln? Oder war es nur ein voreiliger, irregeleiteter Schritt, der mich in die Einsamkeit führt, da es mir vielleicht nie wieder gelingen wird, so gute Freunde, zu finden? Freunde, die mich zwar geistig zurückhielten, aber mich ansonsten unterstützten und mich auf großen Strecken meines Lebensweges begleiteten?

Ich weiß es nicht, und so blicke ich mit einem lachenden und einem weinenden Auge auf das neue Jahr und meinen Neuanfang. Was kommen und geschehen wird, wird wohl oder übel erst die Zukunft zeigen.

Published inMomente

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