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Momente – Teil 9: Auf einem Podium

Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten

Ich stehe auf einem Podium. Vor mir ungefähr hundert Schüler in Begleitung ihrer Eltern und Verwandten. Auch einige Lehrer finden sich unter den Zuhörern. Es ist unsere Abschlussfeier und aus irgendeinen Grund habe ich mich breitschlagen lassen, die Abschlussrede zu halten. Die Abschlussrede, auf unsere Schulzeit und den Beginn unserer erwachsenen Leben. Warum habe ich mich nur wieder breitschlagen lassen, eine Rede zuhalten, hatte ich denn in meinen Schuljahren noch nicht häufig genug gemerkt, dass ich kein guter Redner bin? Doch, das hatte ich mehr als einmal gemerkt. Eigentlich widerstrebt es mir, diese Rede zu halten, doch da sich kein anderer bereit erklärte, sie zu halten, gab ich nach. Ich gab nach und jetzt stehe ich nervös vor all den Menschen.
Ich lasse noch einmal meinen Blick über die Menschen schweifen. Ich sehe viele vertraute und viele fremde Gesichter. Ich sehe die Gesichter von einigen guten Freunden, von einigen, die mir vollkommen egal sind, und von einigen, die mir während meiner Schulzeit zu Feinden wurden. Für all diese Menschen und ihre Verwandten soll ich jetzt die Abschlussrede halten? Das kann nicht gut gehen!
Doch ich habe zugesagt, dass ich die Rede halte und jetzt gibt es kein Zurück mehr. Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, meinen Mann zu stehen und zu schauen, was das ‚Publikum’ von mir und meiner Rede hält. Ich greife nach meinen Notizblättern, doch irgendwie kommt mir all das, was ich auf sie zur Vorbereitung geschrieben habe, verlogen und falsch vor. Ich lege die Blätter wieder weg, um ohne diese Gedankenstütze die Abschlussrede zu halten. Ich fange an:

„Liebe Schulkameraden und Kameradinnen, liebe Eltern und Lehrer, wir haben uns heute hier zusammengefunden, um unseren Schulabschluss zu feiern. Wir kamen hier zusammen, um den Übergang von uns Schülern vom Schul- ins Erwachsenenleben zu feiern. Den Übergang in ein Leben, in dem wir nicht mehr die Menschen sind, für die andere die Verantwortung tragen, sondern Menschen, die vollumfänglich für sich und ihre Handlungen verantwortlich sind. Wir, die jetzt die Schule hinter uns lassen, müssen für uns und unsere Leben, sowie für die Welt, die uns in unsere Obhut gegeben wurde, Verantwortung tragen.
Damit wir überhaupt die Möglichkeit haben, diese Verantwortung zu tragen und auszuhalten, brauchen wir Werkzeuge, von denen das wichtigste der Verstand ist. Der Verstand, den die Schule in all unseren Schuljahren schärfen und mit Wissen füllen sollte.
Jeder Lehrer und jede Lehrerin hatte dabei ihre eigenen Methoden, das Wissen und Verständnis, dass in ihrem Fachbereich wichtig war, zu versuchen, in unsere Köpfe zu bekommen. Doch ich muss sagen, dass es dabei wirklich gute und wirklich schlechte Lehrer gab. Die guten Lehrer zeigten uns, das Lernen, Spaß machen kann und brachten uns zum Teil spielerisch das Wissen und die Werkzeuge zum Verständnis der Welt bei. Andere Lehrer und Lehrerinnen versuchten uns dagegen nur das Wissen, das sie für wichtig erachteten, in unsere Köpfe, notfalls mit schlechten Noten, reinzuprügeln. Die schlechten Lehrer verstanden dabei häufig nicht, uns zu verdeutlichen, was wir mit dem Wissen, das sie uns da versuchten einzubläuen, jemals anfangen könnten und dadurch fehlte uns die Motivation und der Praxisbezug, um unsere Kraft und unsere Zeit zum Lernen dieses Wissens aufzuwenden.
Ich muss sagen, dass ich überwiegend gute Lehrer und Lehrerinnen hier, an dieser Schule, hatte. Es waren Lehrer und Lehrerinnen, die uns den praktischen Nutzen von dem jeweiligen Wissen zeigten und uns darüber hinaus die Werkzeuge der Aufklärung lehrten. Sie gaben uns die Werkzeuge der Aufklärung an die Hand, um ein Leben lang lernen und uns weiterbilden zu können. Sie zeigten uns, wie man verschiedene Quellen analysiert und wie man mit wissenschaftlichen Methoden Probleme löst. Diesen Menschen möchte ich aus ganzem Herzen danken. Ich möchte mich bei ihnen dafür bedanken, dass sie uns die Werkzeuge an die Hand gaben, die nötig sind, um die Welt zu verstehen und zum Guten zu verändern, anstatt ignorant und ungebildet durch den Fluss der Zeit zu treiben. Ich hoffe, dass ich auch für meine Schulkameraden und Kameradinnen spreche, wenn ich sage, danke für diese lehrreiche Zeit und die Werkzeuge der Aufklärung, die uns sicher, wenn wir nur bereit sind sie zu verwenden, unserer Leben lang von großem Nutzen sein werden.

Jetzt heißt es aber Abschied voneinander nehmen und einen neuen Lebensabschnitt beschreiten. Einen neuen Lebensabschnitt, mit neuen Herausforderungen und Konfrontationen. Ich persönlich möchte jedem, der hier Anwesenden wünschen, dass er ein Leben im Sinne der Aufklärung führt und seinen Verstand als Werkzeug benutzt. Als ein Werkzeug, mit dem er die Welt Stück für Stück etwas besseren macht. Ich hoffe, dass ihr, die ihr Jahre meine Klassenkameraden und Kameradinnen gewesen seit, nicht in träge Lethargie verfallt und einfach so durchs Leben dümpelt, jetzt, da ihr euren Schulabschluss in der Tasche habt. Ich hoffe stattdessen, dass ihr euch dem Streben nach Wissen und Erkenntnis verschreibt, um nicht irgendwann ‚Rattenfängern‘ anheimzufallen. Rattenfängern, die zwielichtige Gestalten sind, die sich in unserer heutigen Zeit überall, vor allem in den digitalen Kanälen, herumtreiben und Leute versuchen mit populistischen Ideen, vom Pfad der Aufklärung abzubringen. Ich hoffe, dass ihr die gelernten Methoden der Aufklärung dazu benutzt, wahr von falsch zu unterscheiden, und Licht ins Dunkle zu tragen. Ich hoffe, ihr seit die Lichtbringer, die uns erlauben, ein Leben lang in einer aufgeklärten Gesellschaft zu leben, anstatt dass wir irgendwann aufwachen und feststellen, dass wir in einer Diktatur der Populisten zuhause sind.

Damit möchte ich meine Rede beenden. Ich wünsche euch ein gutes, glückliches und erfahrungsreiches Leben. Lebt wohl!“

Als ich geendet habe, herrscht Schweigen. Keiner spricht, klatscht oder buht aufgrund meiner Rede. Nein, es herrscht einfach nur eine bedrückte Stille.

Published inMomente

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