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Momente – Teil 11: Am Ostseestrand

Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten

Ich befinde mich auf einer Kinder- und Jugendfreizeit im hohen Norden oder besser gesagt, im Nord-Osten, von Deutschland. Ich bin zum ersten Mal in meinem Leben an der Ostsee.
Meine Reise ging am frühen Morgen los. Wir starteten mit dem Bus in meiner Heimatstadt, die im Süd-Osten von Deutschland liegt. Drei Uhr morgens sind meine Eltern und ich aufgestanden, haben die Sachen ins Auto gepackt und sind zur Bushaltestelle gefahren, von der aus der Reisebus abfahren sollte.
Als wir an der Bushaltestelle ankamen, wartete schon unserer Betreuer, für die Kinder- und Jugendfreizeit, auf uns. Er begrüßte uns herzlich und dann ging auch schon die Busreise los. Der Bus fuhr mehrere größere Städte auf den Weg in den Norden an, in denen weitere Kinder und Jugendliche zustiegen, bis schließlich der Bus voll besetzt war. Vollbeladen kam der Bus schließlich, pünktlich zum Abendessen, im Feriendorf an der Ostsee an.
Angekommen brachten wir noch schnell unsere Sachen auf die Zimmer, bevor wir uns mit den Betreuern und den anderen Kindern und Jugendlichen trafen. Zu meiner Überraschung gab es kein Standardessen zum Abendbrot, nein, stattdessen wurden Kennenlernspiele veranstaltet und schließlich Lagerfeuer entzündet, über denen wir uns Stockteig und Marshmallows rösteten.

Jetzt ist das Essen vorbei und neben mir sitzt ein nettes Mädchen. Ein Mädchen, das genauso alt ist, wie ich und darüber hinaus auch meine Art von Humor versteht. Das Mädchen erzählt mir, dass sie sich auch zum ersten Mal an der Ostsee befindet. Sie erzählt, dass sie eigentlich nicht fahren wollte, da es das erste Mal sei, dass sie allein, ohne ihre Eltern, verreise. Sie meint, dass sie Angst gehabt habe, ganz allein ohne jemanden, den sie kennt, zu sein. Doch jetzt, nach den Kennenlernspielen, habe sie keine Bedenken mehr, dass sie sich einsam und allein fühlen könne.
Wir sitzen am Lagerfeuer und Reden und lachen viel, so dass für uns die Zeit schnell vergeht. Es wird kühler und Müdigkeit breitet sich in unseren Gemütern aus. Doch keiner mag der Erste sein, der sich aufmacht, um sein Bett in den Ferienhäusern aufzusuchen. Nein, stattdessen bleiben wir alle sitzen und unterhalten uns. Plötzlich merke ich, wie das Mädchen seinen Kopf gegen meine Schulter legt und als ich sie daraufhin anschaue, sehe ich, dass sie die Augen geschlossen hat. Es ist ein schöner, friedlicher Anblick, den sie bietet.
Da ich nach vorne gebeugt da saß, als sie sich an mich lehnte, wird mir meine Sitzhaltung mit der Zeit ungemütlich und so versuche ich, mich etwas gemütlicher hinzusetzen, aber gleichzeitig so ruhig sitzenzubleiben, dass ich sie nicht aufwecke. Es gelingt mir und schon bald sitze ich da, meinen Rücken gegen einen Baum gelehnt. Ich lasse meinen Blick über das Lagerfeuer hinaus auf das Meer und den Nachthimmel, die sich am Horizont treffen, schweifen. Ich denke bei mir, dass es schön ist, dass ich gleich am ersten Tag der Freizeit jemand gefunden habe, mit dem ich mich gut verstehe. Normalerweise dauert es Wochen, Monate und manchmal sogar Jahre, bis ich jemand finde, mit dem ich mich wirklich verstehe. Na gut, vielleicht ändert sich das „verstehen“ ja auch noch, schließlich ist es ja erst der erste Tag, der Freizeit, und es kann noch viel passieren.
Ich denke über die Kinder- und Jugendfreizeit nach und frage mich, was sie mit mir und was Urlaub in fremden Gefilden generell mit uns Menschen macht. Dabei fällt mir auf, dass im Urlaub viele Menschen lockerer und ungezwungener an das Leben, Begegnungen und Bekanntschaften herangehen. Die Menschen gehen in dem Gewissen an die Bekanntschaften heran, dass man sie nur für eine bestimmte Zeit pflegen muss, egal ob sie gut oder schlecht sind. Bei den guten Bekanntschaften tauscht man am Ende vielleicht die Adresse oder die Telefonnummer aus, so dass man in Kontakt bleiben kann, was meistens aber nur temporär gelingt. Bei den anderen, schlechten Bekanntschaften ist es einfach egal, was sie von einem denken, da man sie wahrscheinlich nie wieder sieht. Im Gegensatz dazu muss man im Alltag, in seinem gewohnten Umfeld, aufpassen, wen man an sich heranlässt und wie man sich gibt, da uns diese Begegnungen auf unseren weiteren Lebensweg verfolgen und beeinflussen können. Sie können einen verfolgen, da man Personen, die im engen Umfeld wohnen oder arbeiten wahrscheinlich erneut, zufällig über den Weg läuft.
Ich schaue noch einmal zu dem Mädchen, das seinen Kopf an meine Schulter gelehnt hat und denke bei mir, dass es eigentlich Schade ist, dass ich nur im Urlaub so offen und kontaktfreudig bin. Vielleicht sollte ich versuchen, nach dieser Kinder- und Jugendfreizeit, etwas von dieser Offenheit in meinen Alltag zu retten? Ja, vielleicht.

Mir werden die Augen schwer und das Letzte, was ich denke, bevor meine Gedanken im Nichts verschwinden, ist: „Aber erst einmal die Freizeit und die Begegnungen genießen, wer weiß, ob ich am Ende immer noch so denke.“

Published inMomente

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