Zum Inhalt springen

Momente – Teil 27: Im Zug

Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten

„Bald habe ich das Zugfahren hinter mir! Bald habe ich mein eigenes Auto und kann hinfahren, wo ich will, wann ich will!“, sagt eine Bekannte zu mir, die neben mir im Zug sitzt. „Ach komm schon, so schlimm ist das Zugfahren auch wieder nicht. Man kann dabei in Ruhe lesen, trifft ab und an einige Bekannte und kann sich dann mit ihnen unterhalten. Selbst schlafen kann man, wenn man Zug fährt, und das wäre beim Autofahren wohl eher ungünstig.“ „Das mag alles stimmen, doch Zugfahren macht nichts her. Es ist unflexibel und hat kein Prestige.“ „Als hätte Autofahren Prestige. Autofahren ist eine Ausprägung unserer Individualgesellschaft, in der sich reiche Menschen auf Kosten anderer Menschen und der Umwelt bereichern. Sei es durch Flächenversiegelung für die Straßen, sei es durch Mikroplastik das durch Reifenabrieb entsteht oder sein es die Verbrennungsrückstände, die viele Fahrzeuge noch aus ihren Auspuffrohren hinaus, in die Umwelt, jagen.“ „Du siehst das alles so negativ! Autofahren ist nicht der Hauptklimasünder oder Umweltzerstörer, als der er weithin dargestellt wird! Nein, die Industrie ist viel schlimmer und die Autofahrer werden nur als Sündenböcke verwendet, da sie mittlerweile keine starke Lobby mehr haben. Ich habe einen Bericht gelesen, in dem es heißt, dass die ganzen Kreuzfahrtschiffe viel mehr klima- und umweltschädliche Stoffe ausstoßen, als alle Autos auf der Welt zusammen.“ „Mal ehrlich, wo hast du so einen Unsinn gelesen? Und selbst wenn die Kreuzfahrtschiffe so umwelt- und klimaschädlich wären, ist das noch lange kein Grund sich für den Autoverkehr stark zu machen, stattdessen muss man alle Umwelt- und Klimasünder in die Verantwortung nehmen und versuchen alle Bereiche des Lebens und der Wirtschaft nachhaltiger zu gestalten. Darüber hinaus finde ich es echt zum Lachen, dass du der Meinung bist, dass die Autofahrer keine ‚starke Lobby‘ hätten. Keine starke Lobby, bei all den Straßen, die noch zusätzlich zu den bestehenden Straßen gebaut werden, wodurch immer mehr Flächen versiegelt werden. Und wie sieht es überhaupt mit den ganzen autofahrerfreundlichen Gesetzen und Vorschriften in Deutschland aus? Wir haben ja nicht mal, als eines von ganz wenigen Ländern weltweit, ein generelles Tempolimit, weil die Autolobby dagegen Sturm läuft, obwohl der Nutzen eines Tempolimits aufgrund der mit ihm einhergehenden sinkenden Zahlen an Unfalltoten und dem geringeren Energieverbrauch zigfach bewiesen ist. Oder willst du etwa behaupten, dass man sicher mit zweihundert Sachen über die Autobahn rasen kann, dabei noch voll sein Umfeld wahrnimmt und darüber hinaus nicht unnötig viel Energie verbraucht? Mal ehrlich, glaubst du eigentlich selbst das, was du da gerade von dir gibst?“ „Ach, du bist auch nur einer der stumpfsinnigen Umweltaktivisten mit Scheuklappen vor den Augen! Das einzige Problem, dass wir wirklich haben, ist, dass die Umweltbewegung fasst alle Kommunikation und Medien gekapert hat und jetzt ist jeder, der ein Auto fährt, plötzlich böse!“ „Sicherlich hat die Umweltbewegung nicht die ganze Kommunikation gekapert, nur die Wissenschaft hat mittlerweile eindeutige Beweise für die umwelt- und klimatechnischen Folgen des zügellosen Individualverkehrs, wie er in Deutschland zelebriert, gefördert und häufig gefordert wird, erbracht. Die Wissenschaft hat mittlerweile Beweise für den Unsinn des zügellosen Individualverkehrs vorliegen, die sich nicht mehr einfach mit einem Schulterzucken abtun lassen, weswegen ein Wandel hin zu mehr Nachhaltigkeit unausweichlich ist und nicht mehr lange auf sich warten lassen kann. Doch lassen wir mal die generelle Diskussion über Sinn und Unsinn des motorisierten Individualverkehrs beiseite. Am Ende bleibt mir wenigstens zu hoffen, dass du dir einen umweltfreundlichen Kleinwagen holst.“ „Ähm, eher nicht. Ein Auto muss, wie bereits gesagt, etwas hermachen. Was würde es denn über mich aussagen, wenn ich mit einem popeligen Smart durch die Gegend führe! Nein, mein Auto wird eine alte Mercedes-Limousine sein, damit ich immer genügend Platz für alle meine Sachen habe. Darüber hinaus macht das Autofahren auch erst wirklich Spaß, wenn man so einen Schlitten fährt.“ „Für was für Sachen brauchst du so viel Platz? Meistens fährst du doch nur mit deiner Handtasche zur Arbeit und zurück, oder? Und darüber hinaus, seit wann muss Autofahren Spaß machen? Das Auto sollte primär ein Nutzfahrzeug und möglichst umweltfreundlich sein! Am Ende wirst du dann auch noch zu einem der Menschen, die einfach aus Spaß mit dem Auto durch die Gegend crui­sen und unnütz die Umwelt und das Klima schädigen!“ „Ähm, ja, also ich werde meistens wirklich nur zur Arbeit fahren und dafür brauche ich wirklich keine Mercedes-Limousine, aber man kann ja nie wissen, was noch wird. ‚Better safe than sorry‘, sage ich da nur. Und was das ‚durch die Gegend cruisen‘ betrifft, so ist daran ja nichts Schlimmes, wenn man sich mit Freunden trifft und dann etwas durch die Gegend fährt. Es ist doch nichts Schlimmes dabei, wenn man abends oder am Wochenende mal ein paar Freunde trifft und sich dann einen Platz zum Feiern sucht ‚That’s life‘.“ „Aber, …“ „Nichts aber. Ich muss jetzt aussteigen und du schaffst es sowieso nicht, mich von meiner Meinung und Entscheidung abzubringen, also spare dir deine Worte!“ Damit beendet meine Bekannte die Unterhaltung und steht auf. Zum Abschied dreht sie sich aber noch einmal zu mir um und meint: „Also dann, mach’s gut. Vielleicht sieht man sich ja mal irgendwann abseits des Zuges auf der Straße, bis dahin, bye.“ Das gesagt geht sie zur Zugtür und steigt bei der nächsten Haltestelle aus.
Ich bleibe allein zurück und frage mich, wie wir Menschen jemals nachhaltig und im Einklang mit der Natur leben wollen, wenn solch ein Umwelt und Klima zerstörender Materialismus, wie ihn meine Bekannte zur Schau trägt, tief in unserer Gesellschaft und in dem Wesen vieler Menschen verankert ist?

Wie sollen wir nur je eins mit dem Planeten werden und im Einklang mit unserer Umwelt leben?

Published inMomente

Diese Webseite verwendet nur technische Cookies, die zur Funktion der Webseite notwendig sind. Durch die weitere Nutzung der Seite stimmst du ihrer Verwendung zu. Weitere Informationen

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn du diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwendest oder auf "Akzeptieren" klickst, erklärst du sich damit einverstanden.

Schließen