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Momente – Teil 30: Im Esszimmer eines Freundes

Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten

„Mist, mir ist die Sojasoße ausgegangen!“, flucht ein Freund, bei dem ich zum Essen eingeladen bin, in der Küche so laut, dass ich ihn im Esszimmer höre. Ich rufe ihm zu: „Soll ich schnell welche einkaufen gehen?“ Auf meine Frage hin kommt er aus der Küche ins Esszimmer und fragt: „Wo möchtest du denn jetzt auf die Schnelle noch Sojasoße herbekommen? Hier in der Nähe gibt es ja keine Geschäfte, die sie führen, du wärst mindestens eine Dreiviertelstunde unterwegs und dann ist entweder das Essen zerkocht oder kalt.“ „Wieso sollte ich eine Dreiviertelstunde unterwegs sein? Zwei Straßen weiter gibt es doch ein kleines Asia-Geschäft, in dem sie sicherlich Sojasoße haben.“ „Hier gibt es keinen Asialaden in der Nähe. Zumindest nicht, dass ich wüsste und ich lebe schon seit mehreren Jahren hier.“ „Doch, den gibt es. Ich gehe schnell Sojasoße kaufen und da wirst du ja sehen, dass ich recht habe.“ Das gesagt, stehe ich auf, verlasse das Haus, gehe zwei Straßen weiter, betrete den Asialaden, kaufe Sojasoße und begebe mich zurück zu der Wohnung des Freundes. Für das alles brauche ich nicht einmal fünfzehn Minuten, inklusive Schuhe an- und wieder ausziehen.
Ich gebe dem Freund die Sojasoße, woraufhin er mich überrascht ansieht und meint: „Es gibt hier in der Nähe also tatsächlich einen Asialaden? Ich frage mich, warum er mir noch nie aufgefallen ist.“ Auf seine Aussage hin kann ich mir eine Spitze nicht verkneifen und erwidere: „Er ist dir nie aufgefallen, da du nie zu Fuß deine Nachbarschaft oder die Gegend erkundest. Tagtäglich stehst du auf, verlässt deine Wohnung und das Haus, steigst auf dein Fahrrad oder ins Auto, um immer und immer wieder auf den gleichen Wegen durchs Leben zu gehen, sei es zum Einkaufen oder zur Arbeit. Du fährst immer auf den gleichen Wegen, wodurch du nie etwas Neues siehst und kennenlernst. Wenn du dann einmal Urlaub hast, nutzt du deine freie Zeit ausschließlich, um irgendwohin in die Ferne zu reisen. Irgendwohin, wo du den lieben langen Tag am Strand oder in zwielichtigen Kneipen vor dich hin gammelst, anstatt einmal zuhause zu bleiben und gemütlich deine Nachbarschaft zu erkunden. Ich finde es schon erschreckend, wie viele Menschen es in die Ferne zieht, obwohl sie nicht einmal ihre Nachbarschaft oder ihre nähere Umgebung wirklich kennen. Durch dieses Verhalten behalten und verfestigen sie, genauso wie du, ihren begrenzten Horizont. Sie lernen dadurch nie etwas Neues kennen, nicht einmal die Lebensmittelgeschäfte und anderen Lokalitäten in ihrer direkten Nachbarschaft.“ „Ach ja, und was machst du? Du stromerst scheinbar den lieben langen Tag ziellos durch die Gegend und verplemperst deine Zeit. Nur so kann ich mir erklären, dass du selbst in meiner Nachbarschaft, die dutzende Kilometer von deiner Wohnung entfernt liegt, die kleinsten Läden kennst. Ich habe nun einmal einen durchgetakteten Tagesablauf und da kann ich mir nicht erlauben, einfach mal ziellos durch die Gegend zu laufen, um sie zu erkunden!“ „Ja, vielleicht passt das nicht zu deinem gewählten Lebensstil, doch frage ich mich, welcher Lebensstil der nachhaltiger, bessere und glücklich machender Lebensstil ist.“ „Was willst du mir jetzt damit sagen?“ „Nichts besonderes, außer, dass jeder wissen muss, was ihn glücklich macht. Und der Streit, den wir beide gerade austragen, macht uns beide sicherlich nicht glücklich, so dass ich vorschlage, dass wir das Essen mit der Sojasoße abschmecken, uns gemütlich an den Esstisch setzen und es uns munden lassen.“ „Ja, lass uns essen, doch ich vergesse nicht, dass du mir unterstelltest, dass ich einen beschränkten Horizont hätte.“ „Ja, dann vergiss es nicht und arbeite beständig daran, deinen Horizont zu erweitern, auf das ich meinen Kommentar nicht wiederholen muss! Aber jetzt wirklich genug damit, lass uns endlich essen. Ich habe mittlerweile wirklich Hunger.“ Das gesagt, schmecken wir das Essen mit der Sojasoße ab und lassen es uns munden.

Während wir essen, denke ich bei mir, dass viele von uns Menschen verlernt haben, unsere Umgebung zu erkunden und bewusst wahrzunehmen. Viele Dinge und Chancen, die uns unser Leben erleichterten oder vielleicht sogar bereicherten, sehen wir Tag für Tag nicht, weil wir immer nur auf den gleichen, ausgetretenen Wegen, von Termin zu Termin und von Ort zu Ort hetzen. Also warum sich nicht einfach einmal etwas Zeit nehmen, um seine Umgebung bewusst zu erkunden, wahrzunehmen und neue Wege zu beschreiten? Falsch wäre das sicherlich nicht!

Published inMomente

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