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Momente – Teil 34: In der Betriebskantine

Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten

Ich sitze mit einem Kollegen in der Betriebskantine und wir unterhalten uns über die verschiedensten Firmenkulturen, als mein Kollege plötzlich meint: „Die Menschen haben heute keine Empathie mehr.“ Das sagt er, während er sich Happen um Happen seines Mittagessens in den Mund schiebt. Auf seine Aussage hin antworte ich spitz: „Vor allem hier drinnen.“ Worauf mich kein Kollege überrascht anschaut und meint: „Also ich würde schon von mir behaupten, dass ich Empathie habe.“ „Aber die endet scheinbar am Tellerrand, wenn ich mir anschaue, was du dir da gerade zwischen die Kauleisten schiebst. Du hast sicherlich keine Empathie für die Lebewesen, die unter qualvollen Bedingungen gehalten und getötet werden, nur damit ihre Leichenteile tagtäglich auf deinen Teller landen und du sie verspeisen kannst.“ „Was hat denn Empathie mit Tieren zu tun? Empathie kann man nur für andere Menschen empfinden und Tiere sind nun einmal keine Menschen.“ „Empathie kann man für alle denkenden und fühlenden Lebewesen empfinden. Man sieht ja tagtäglich, wenn man nur hinschaut, wie Tiere Schmerzen verspüren, wenn man ihnen Leid zufügt und wie sie bestimmte Handlungsweisen erlernen, um Leid zu vermeiden. Allein aufgrund dieser Beobachtungen ist es uns doch möglich, Empathie gegenüber Tieren zu empfinden, denn wir können uns in sie hineinversetzen und uns vorstellen, das bestimmte Haltungs- und Umgangsformen schlecht für sie sind und ihnen Leid zufügen. Empathie bedeutet doch, dass man sich in andere Lebewesen hineinversetzen kann, oder?“ „Für Nahrung kann und sollte man keine Empathie empfinden, schließlich hat ja auch ein Löwe kein Mitleid und keine Empathie für die Gazelle, die er jagt und verspeist.“ „Ja, doch es gibt trotzdem einen entscheidenden Unterschied zwischen dem Löwen und uns. So ist der Löwe zum einen ein Karnivore, während wir Omnivoren sind, wodurch uns schon allein aufgrund unserer Biologie möglich ist, fast unseren gesamten Nährstoffbedarf über nicht tierische Lebensmittel zu decken. Darüber hinaus hält der Löwe auch nicht die Gazelle ihr Leben lang unter erbärmlichen Bedingungen, in denen sie eigentlich nur krank und qualvoll leben kann.“ „Jetzt lass doch mal die Kirche im Dorf. Erst durch die Landwirtschaft und die Haltung von Vieh, haben wir Menschen es geschafft, uns so weit zu entwickeln, wie wir heute sind. Ohne Tierhaltung und das Verspeisen von Tieren, währen wir nicht die, die wir heute sind!“ Bei diesen Worten schaue ich mir meinen Arbeitskollegen an, der zweihundertfünfzig Pfund Masse auf einen Meter siebzig Größe bringt. Bei diesem Anblick komme ich nicht umher, noch eine Spitze anzubringen und zu sagen: „In Ordnung, ich werde schweigen und nichts mehr zu dem Thema sagen, wenn du es in deiner Kondition schaffst, zu Fuß und nur mit deinen Händen und Zähnen bewaffnet, genau wie der Löwe, eine Gazelle zu jagen und zu erlegen. Doch so wie deine aktuelle Form ist, schafftest du ja nicht einmal einen Hundertmeterlauf, ohne dabei einen Herzinfarkt zu bekommen und zu sterben.“ „Brauch ich auch nicht! Wir Menschen sind schließlich hochentwickelt und so können wir Werkzeuge benutzen, um Tiere zu erlegen und komfortabel zu leben.“, erwidert mein Arbeitskollege, woraufhin ich sage: „Dann ist uns aber mit unserer Entwicklung, der Verstand abhandengekommen, denn früher wussten die meisten Menschen noch, dass man sorgsam mit den Ressourcen der Natur umgehen muss, damit sie einen über einen längeren Zeitraum ernährt und man dadurch nicht Jahr um Jahr fürchten muss, dass man sich durch seinen Umgang mit den Ressourcen selbst umbringt. Durch die Technologisierung unserer Leben, sehen wir nicht mehr, wie die Tiere in unserer Gesellschaft gequält und ausgebeutet werden. Wir sehen nicht oder wollen nicht sehen, wie für Futtermittel Regenwälder gerodet werden und wir sehen auch nicht, wie das Nitrat der Gülle, die in der Massentierhaltung anfällt, langsam unsere Böden verseucht und darüber hinaus multiresistente Keime den Ställen entspringen und uns und unsere Leben bedrohen. Eigentlich bringt deine Aussage, dass man keine Empathie mit Tieren haben brauch, nur zum Ausdruck, dass du noch unter den Tieren stehst, denn intelligente Wesen müssten wissen, dass sie nur im Einklang mit der Natur, ihrer Umwelt und den Tieren leben können, um dadurch die Chance zu haben, gut und glücklich zu leben.“ „Jetzt mach mal halblang!“, braust mein Arbeitskollege auf, bevor er fortfährt: „Wir essen seit Jahrtausenden Fleisch. Es gehört zu uns und unserer Kultur, und das lasse ich mir nicht von dir madig machen!“ „Nur weil etwas seit Jahrtausenden gemacht wird, heißt das noch lange nicht, dass es gut ist, wie man am Beispiel der ‚Sklavenhaltung‘ und des ‚Sklavenhandels‘ sehen kann. Darüber hinaus war Fleisch früher noch etwas Besonderes und wurde häufig nur zu besonderen Anlässen gegessen. So waren vielen Menschen in den vergangenen Jahrtausenden ihre Tiere heilig und sie wurden gut und nachhaltig umsorgt, im Gegensatz zu den ‚Fleischfabriken‘ heutiger Tage, die Futtermittel aus Übersee importieren und so viele Tiere halten, dass Land und Mensch vergiftet werden. Doch wir schweifen ab. Eigentlich sprachen wir über Empathie und selbst wenn du keine Empathie für die Tiere hast, so müsstest du doch Empathie für die Menschen haben, die in den Fleischfabriken ausgebeutet werden. Für die Menschen, die für immer neue Futtermittelplantagen ihre Häuser und ihre Lebensgrundlage verlieren und die Menschen, die unter den Klimawandel leiden, zudem eine fleischlastige Ernährung nicht unwesentlich beiträgt. Damit schließt sich dann auch wieder der Kreis und selbst du müsstest dir jetzt eingestehen, dass deine Empathie, auch in Bezug auf die Menschen, an deinem Tellerrand endet.“
Doch anstatt das mein Arbeitskollege Einsicht zeigt, sagt er, während er aufsteht, nur: „Jetzt hast du mir meinen Appetit verdorben! Ich werde nie wieder mit dir essen gehen!“ und verlässt die Kantine.

Meinen Arbeitskollegen hinterherblickend denke ich: „Es ist schone eine Klasse für sich, wie wir Menschen uns immer und immer wieder selbst belügen. Wir belügen uns tagtäglich, um uns gut und besonders zu fühlen. Doch herrscht dabei leider nur immer wieder mehr ‚Schein als Sein‘.“

Published inMomente

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