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Momente – Teil 45: An einer Bierzeltgarnitur sitzend

Geschätzte Lesezeit: 6 Minuten

Ich sitze an einer Bierzeltgarnitur und langweile mich. Ich bin auf einem Fest, halte eine Cola in der Hand und warte darauf, dass die Uhr drei schlägt, da dann Aufbruchszeit ist. Ich sitze da, da ich mich bereit erklärte, Fahrer für einige Freunde und Bekannte bei der Feier zu sein. Ich bot mich an, sie zu fahren, da sie mir vor ein paar Tagen beim Renovieren geholfen hatten und ich sowieso keine alkoholischen Getränke trinke. Doch als ich versprach, Fahrer zu sein, hatte ich nicht gedacht, dass der Abend oder eher die Nacht so lang und langweilig würde. Schon um neun waren meine Bekannten und Freund so voll, dass sie sich fast nur noch lallend unterhalten konnten und von da an führte der weitere Weg, Stufe um Stufe die Niveauleiter tiefer und tiefer hinab.
Was also tun? Ich hatte meinen Freunden und Bekannten versprochen, dass wir bis drei Uhr auf der Feier blieben und ich stehe immer zu dem, was ich verspreche.
So hieß es also für mich warten und die Zeit totschlagen. Ich suchte mir eine ruhige Bierzeltgarnitur im Garten und setze mich. Auf dem Tisch der Bierzeltgarnitur brannte eine Kerze und aus Ermangelung einer besseren Tätigkeit betrachtete ich sie und ließ meine Gedanken schweifen. Meine Gedanken waren frei und wie immer, wenn ich sie ihre eigenen Wege gehen ließ, erzeugten sie fantastische Welten und bereisten sie anschließend.

So sitze ich da, als kurz nach eins ein Bekannter zu mir kommt und mir anfängt sein „Leid“ zu klagen: „Keine Frau auf dieser Feier will etwas mit mir zu tun haben. Alle anderen schaffen es, eine abzuschleppen und mit ihr herumzufummeln. Nur ich nicht! Alle schaffen es, nur ich bekomme keines der schönen Mädchen ab, um etwas Spaß zu haben! Nie im Leben habe ich Glück bei den Frauen.“ Halb im Gedanken, da mich das Gelaber meines Kumpels eigentlich nicht interessiert, erwidere ich: „Das stimmt doch nicht. Du hattest doch schon zwei, drei Freundinnen, wenn ich mich richtig erinnere. Wieso behauptest du dann, dass du nie in deinem Leben Glück bei den Frauen gehabt hättest?“ „Das waren Freundinnen in meiner Jugend. Nicht viel mehr als Gespielinnen, mit denen man die ersten Erfahrungen sammelt. Es waren Jugendliebschaften, die schon Jahre nicht mehr Teil meines Lebens sind. Ich möchte mich jetzt vergnügen! Ich möchte mich jetzt mit einer geilen Stute vergnügen.“ „Stuten findest du auf den Wiesen, außerhalb des Dorfes, doch ich glaube nicht, dass sie Lust auf deine Bekanntschaft haben. Was die Frauen betrifft, so unterhalte dich doch einfach nett mit ihnen. Unterhalte dich mit ihnen und habe etwas Spaß, ohne das du krampfhaft versuchst, es auf das eine hinauslaufen zu lassen. Kurz, verbringe einfach einen schönen Abend, bei dem du dich mit einigen der anwesenden Frauen nett und ungezwungen unterhältst, und so einfach verbalen Spaß hast.“ „Ich meine nicht diese Art von Spaß! Ich möchte mich sexuell vergnügen. Ich möchte endlich mal wieder eine Frau ficken!“ „Warum ist dir der sexuelle Intercourse so wichtig? Er bedeutet doch nichts, wirklich gar nichts, wenn man keine Liebe dabei verspürt. Ohne Liebe ist er doch nur stumpfsinniges Vergnügen, an dessem Ende vielleicht Leid und verletzte Gefühle stehen.“ „Mir sind doch die Gefühle scheiß egal! Liebe hält sowieso nicht ewig, also warum sie suchen? Ich möchte einfach mal wieder eine geile Tussi ficken und das kann doch nicht so schwer sein, schließlich schaffen das ja auch fast alle der anderen Anwesenden. Darüber hinaus will ich mich auch endlich mal wieder als richtigen Mann fühlen. Ich möchte mir und den anderen beweisen, dass ich immer noch ein Mann bin, der, wenn er möchte, es schafft Frauen ins Bett zu kriegen.“ „Es mag ja stimmen, dass viele Liebesbeziehungen mit der Zeit zerbrechen, da sich Menschen verändern oder weiterentwickeln und sie dann, irgendwann, keine Basis mehr für eine echte, gemeinsame Liebesbeziehung haben. Doch heißt das noch lange nicht, dass man aufhören sollte, nach der echten Liebe zu suchen. Nein, man sollte sich stattdessen wirklich die Zeit für die Suche nehmen, anstatt einfach durch die Welt zu ziehen und zu versuchen, potentielle Partner von den eigenen Fähigkeit im Bett zu überzeugen. Man sollte sich davor hüten, wenn überhaupt, nur Spaßbeziehungen einzugehen.“ „Hörst du mir nicht zu? Es geht mir nicht um die Liebe, es geht mir darum, dass ich endlich mal wieder ein paar pralle Möpse in meinen Händen halten und wohlgeformte Beine um meine Hüfte spüren möchte. Ich möchte der Welt und mir beweisen, dass ich ein ganzer Kerl bin. Ein Kerl, der es schafft, mit mehr als drei verschiedenen Frauen im Leben zu schlafen!“ „Warum ist dir so wichtig, mit wie vielen Frauen du im Bett warst? Was sagt denn schon die Anzahl der Frauen aus, mit denen du das Bett teiltest, wenn es sich am Ende doch nur um kurzzeitige Vergnügungen, ohne Liebe, handelte? Was sagt es schon über einen aus, wenn man mit Person um Person schläft, wenn man sie doch nicht liebt und auch nicht die Hoffnung hat, dass vielleicht eine echte Liebesbeziehung, die die Jahre überdauert, daraus hervorgeht?“ „Bist du dumm oder verstehst du mich wirklich nicht? Ich habe bisher nur mit drei Frauen geschlafen! Mit drei! Ich bin siebenundzwanzig Jahre alt und habe gerade einmal mal mit drei Frauen geschlafen! Wo hat man das schon mal gehört? Selbst der dümmste Tölpel schafft es, in meinem Alter, mit mehr Frauen geschlafen zu haben!“ „Als wäre das Abschleppen und die sexuellen Vergnügen das Wichtigste im Leben. Warum glauben viele Menschen wie du nur, dass es der Lebensqualität zuträglich ist, mit Personen das Bett zuteilen und Spaß zu haben, wenn man sie nicht wirklich liebt? Ist es denn nicht besser, potentielle Partnerinnen kennen- und liebenzulernen? Ist es denn nicht besser, den philosophischen Diskurs zu suchen und sich gut kennenzulernen, anstatt ohne ein Gefühl von Liebe, den sexuellen Intercourse zu vollführen?“
Nach dieser Aussage schaut mich mein Bekannter einen Moment irritiert an, bevor er sagt: „So kann nur jemand reden, der noch nie mit einer Frau geschlafen hat oder nicht in unserer Zeit lebt.“ „Selbst, wenn mein Weltbild aus der Zeit gefallen scheint oder ich den Eindruck erwecke, noch nie mit einer Frau geschlafen zu haben, so ist es mir egal. Ich braue keine sexuellen Eroberungen, um mein Ego zu pushen. Nein, das brauche ich wahrlich nicht. Darüber hinaus ist mir auch die Spaßgesellschaft, von der du sprichst, wenn du von der heutigen Zeit redest, zu wider. Mir ist sie zu wider, da sich in ihr nur noch alles ums vergnügen und Spaß haben dreht. Der Intellekt, genau so wie das Zeitnehmen, um andere Personen wirklich kennen- und vielleicht sogar liebenzulernen, spielt für viele Menschen kaum noch eine Rolle. Nein, stattdessen muss alles schnell, am besten zwischen Arbeit und Freizeitvergnügen, erledigt sein. Alles muss schnell und ohne Mühe oder Arbeit uns in die Hände fallen, selbst die Liebe! Wir stopfen unsere Kalender voll und greifen auf technische Hilfsmittel zurück, um mit Hilfe von sozialen Medien und Algorithmen den für uns passenden Partner oder eine sexuelle Vergnügung zu suchen und zu finden. Und warum? Weil wir aufgehört haben zu verstehen, dass Liebesbeziehungen Zeit brauchen, um zu entstehen und sich zu entfalten. Zeit, um einander wirklich kennen- und liebenzulernen. Zeit und Arbeit, um Konflikte, zu denen es früher oder später in jeder Beziehung kommt, versuchen zu lösen, anstatt gleich das Handtuch zu werfen und den nächstbesten Partner zu suchen, mit dem man sich dann wieder sorglos ‚sexuell‘ vergnügen kann!“
„Du weißt einfach nicht, wovon du sprichst!“, schreit mich da noch einmal mein Bekannter, mit stark nach Alkohol riechenden Atem an, bevor er sich umdreht, um erneut sein Glück bei den auf der Feier anwesenden Frauen zu versuchen. Ich bleibe zurück und betrachte wieder die Kerze auf dem Tisch. Während ich in die Kerze schaue, frage ich mich: „Bin ich wirklich aus der Zeit gefallen? Ist wirklich meine Sicht auf die Liebe und Liebesbeziehungen so veraltet, dass ich sie nie in meinem Leben finden werde? Ja, vielleicht. Doch sollte ich deswegen meine Überzeugungen über Bord werfen und dem ‚sexuellen Kurzzeitvergnügen‘ hinterherrennen? Nein, niemals!“

Published inMomente

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