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Momente – Teil 46: Unterm Weihnachtsbaum

Geschätzte Lesezeit: 7 Minuten

Ich sitze unter meinem Weihnachtsbaum, in meinem Garten. Ich wollte keinen Weihnachtsbaum von einer Plantage oder einen aus Plastik. Nein, er sollte noch am Leben sein und am Leben bleiben. So entschied ich mich einfach dazu, den Baum, der in meinem Garten steht, als Weihnachtsbaum zu schmücken. Ich schmückte ihn schlicht, mit selbstgefertigten Weihnachtsschmuck und Strohsternen. Dinge aus Plastik oder elektrisch betriebenes, sucht man an ihm vergebens. Das tat ich, da mir künstlicher Schmuck und Lichterketten zu aufdringlich sind und darüber hinaus sicherlich nicht für meine nachhaltige Lebenseinstellung stehen oder auch nur stehen könnten.
Unter den Weihnachtsbaum stellte ich einen Gartenstuhl, auf den ich jetzt, gut eingepackt in warmhaltende Kleidung, sitze. Ich sitze alleine da und genieße die ruhige, relativ stille Weihnachtsnacht. Neben mir auf dem Boden habe ich dabei eine Thermoskanne mit Tee stehen und in meinen Händen halte ich eine Tasse mit ihrem ausgeschenkten, warmen Inhalt, der mir zum einen meine Hände und beim Trinken, meinen Körper wärmt.
So sitze ich da, genieße die kühle Winterluft und freue mich, dass endlich die Adventszeit, mit ihren Blechlawinen, die aufgrund der Pandemie dieses Jahr zwar weniger als sonst, aber trotzdem deutlich zu sehen und zu hören waren, vorbei ist. Darüber hinaus freue ich mich auch, dass mit dem Weihnachtsfest, der saisonale übermäßige und sinnlose Konsum, den dieses Jahr, noch mehr als sonst, die Paketboten zu tragen und ertragen hatten, zu Ende geht. Zu Ende geht das vermehrte sinnlose Geld ausgeben, das immer in der Zeit vor und um Weihnachten die Leute pflegen, um sich Zuneigung oder Aufmerksamkeit von Menschen zu kaufen, die sie eigentlich ohne jegliches Schenken, mögen sollten und wenn das nicht der Fall ist, sie die Geschenke eigentlich nicht wert sind. Ich frage mich, was nur aus dem ursprünglichen Geist der Weihnacht geworden ist. Der weihnachtliche Geist, der einfach „Nächstenliebe“ und das „Fest der Familie“ verspricht. Was ist nur daraus geworden, sich zur Weihnachtszeit einfach mal zurückzunehmen und Gutes zu tun? Was ist daraus geworden, einfach mal anderen Menschen und Lebewesen wirklich zu helfen und ihnen etwas Gutes zukommen zulassen, anstatt dem überfüllenden, weltzerstörenden, materiellen Irrsinn zu frönen? Ist es denn nicht das beste, Abstand vom überschwänglichen Materialismus zu nehmen, um Menschen und Tieren zu helfen, denen es nicht so gut wie einen selbst oder dem eigenen sozialen Umfeld geht?
Da ich mich nicht den materiellen Verführungen und Versprechungen der Werbeindustrie hingebe, ist die Adventszeit für mich eigentlich immer eine ruhige Zeit. Zumal dieses Jahr, da ich aufgrund der Pandemie nicht dazu neigte, viele Familienfeiern zu veranstalten oder zu besuchen. Nein, nur ein paar einzelne Treffen, im kleinen Kreis, und das war’s. Die restliche Adventszeit verbrachte ich damit, einige Geschenktüten mit nachhaltigen und einfachen Produkten zu packen und anonym zu spenden. Es waren Geschenktüten die dann zur Weihnachtszeit von Hilfsorganisationen an Menschen verteilt worden, denen es ökonomisch nicht gut geht und die darüber hinaus auch häufig am Rande der Gesellschaft leben. Doch, nicht nur das. Darüber hinaus nutzte ich auch einen Teil meiner Zeit und meines Geldes dafür, Dinge in Angriff zu nehmen, die es Tieren ermöglichten, den Winter gut zu überstehen. Sein es einige Spenden an Tierschutzvereine, sein es Vogelhäuser mit Nahrung für unsere gefiederten Freunde, die durch uns Menschen immer mehr von ihrem Lebensraum verlieren, da durch Versiegelung und Umweltzerstörung ihre natürlichen Winterquartiere und Nahrungsspeicher zerstört werden, wodurch ihnen kaum noch möglich ist, so zu leben, wie es ihre eigentliche Natur ist.

Ich sitze da, unter meinem Weihnachtsbaum und denke weiter über unsere menschliche Gesellschaft nach. Ich denke darüber nach, was wir, als Menschen, eigentlich sind und was uns ausmacht. Mir wird bewusst, dass man den Menschen, im Großen und Ganzen, als einen weltumspannenden Parasiten betrachten kann, der im Laufe seiner Existenz eigentlich immer nur nimmt. Er nimmt alles, vom Leben anderer Erdbewohner, von unberührten Lebensräumen, bis hin zu bestimmten Erden und Metallen, die sich in der Hülle unserer Erde befinden, so dass Krater, wie Pockennarben, die Erde zieren. Und im Gegenzug gibt der Mensch der Natur und Welt nichts Positives zurück.
Meine Gedanken schweifen weiter, sie überstreichen das letzte Jahr, dass sich mit Weihnachten schnellen Schrittes seinem Ende nähert. Meine Gedanken zeigen mir ein Jahr, dass von einer Pandemie geprägt ist, die man als eine Aneinanderreihung vieler kleiner und großer Katastrophen, sowohl im privaten als auch im gesellschaftlichen betrachten kann. Und wie es nun einmal so ist, bringen Katastrophen das Gute und das Schlechte im Menschen zum Vorschein. So bringt die Pandemie, Hilfsbereitschaft bei einigen Menschen zum Vorschein, die anfingen, sich wirklich um andere Menschen zu kümmern und ihnen zu helfen. Doch viel zu häufig sah man auch das Schlechte und Egoistische. Man sah, dass viel zu viele Menschen in unserer Gesellschaft immer nur an sich und ihr ‚Vergnügen’ denken. Man sah Menschen, die die Notsituation ausnutzten, um sich zu bereichern und dadurch die Not anderer noch verschlimmerten. Es gab Menschen, die Schutzausrüstung aus Kinderkrankenhäusern und Kliniken stahlen, wodurch es Menschen, die anderen Menschen wirklichen Helfen konnten und wollten, unnötig erschwert wurde, sicher zu arbeiten und ihren Patienten zu helfen. Kurz, man sah viele Menschen, die nur an sich und / oder ihre Vergnügungen dachten und dadurch andere fahrlässig, wenn nicht gar mutwillig, gefährdeten.

Bei diesem Gedanken beginnt ein Streit zwischen zwei meiner grundlegenden Wesenszüge, in meinem Kopf. Es ist ein Konflikt, den zwei meiner rudimentären Sichtweisen auf die Welt führen. Die Sichtweisen, die miteinander streiten, ist meine pessimistische Sicht, die mir bei meinen Gedanken über unsere Gesellschaft kommt und mein aufklärerisches Menschenbild, das den Menschen als selbstbestimmtes, vernunftbegabtes Wesen sieht. Meine weihnachtliche Hoffnung bestärkt mich, trotz allem darin, an das aufklärerische Menschenbild zu glauben. Meine weihnachtliche Hoffnung, die da ist, sich zu besinnen und an das Gute im Menschen zu glauben.
An das Gute im Menschen glauben? Ich muss mir ein sarkastisches Lachen verkneifen, denn wenn mich etwas das letzte Jahr lehrte, so war es doch das, dass viele Menschen ein Brett vor dem Kopf haben. Ich merkte bei viel zu vielen meiner Bekannten und Freunde, oder sollte ich eher sagen, ehemaligen Freunden und Bekannten, dass bei ihnen der geistige Horizont ein Brett ist, dass sie scheinbar an ihre Stirn genagelt haben. Ein Brett, durch das sie ständig nur eine eingeschränkte Sicht auf die Welt haben und dadurch halb blind durch sie laufen. Wie viele meiner Freunde und Bekannte propagierten in den letzten Monaten nur immer und immer wieder die höchst fragwürdigen, in ihren ‚Filterblasen‘ herangereiften, Ideen und Überzeugungen? Ihre abstrusen Gedanken, die jedweder wissenschaftlichen Erkenntnis, wissenschaftlicher Herangehensweise oder auch nur dem gesunden Menschenverstand und der Logik Hohn sprachen? Viel zu viele! Ich sah und erlebte, dass sich viel zu viele dieser Bekannten nicht mit der Wirklichkeit und mit dem, was anderen Menschen auf der Welt oder sogar in ihrem eigenen Umfeld passierte, auseinandersetzten. Nein, stattdessen sahen und sehen sie immer nur ihre eigenen Leben, die sie in vollen Zügen, wenn auch auf Kosten und zu Lasten anderer, leben und genießen wollen. Rücksichtnahme und Besonnenheit suchte und sucht man bei ihnen vergebens. Doch als wäre das noch nicht schlimm genug, so fingen auch einige von ihnen an, alle Wissenschaftler als gekauft und Teil einer Verschwörung zu sehen. Es breitete sich in einigen gesellschaftlichen Kreisen eine Stimmung und ein Weltbild aus, in dem für das jeweilige Individuum nur die eigene Meinung, die richtige sein konnte. Diese Menschen leben scheinbar nach dem Motto: „Wie kann meine eigene Meinung falsch sein, wenn ich sie mir doch immer und immer wieder selbst, anhand von dem, was ich erlebe oder sehe, bestätigen kann?“ Wobei sie bewusst ignorieren, dass sie sich selbst ‚Filterblasen’ erschaffen, da sie sich nur mit den Menschen umgeben, die ihnen nicht widersprechen und darüber hinaus auch häufig ihre Meinung teilen. Sie schaffen sich eine eigene geistige Welt, in der Logik, Wissenschaft und die physikalische Realität keinen Platz mehr haben, sondern nur noch das, an das sie glauben und das, das sie mit geschlossenen Augen sehen.

Mir fröstelt. Ich trinke einen Schluck Tee und versuche an etwas Positives zu denken. Mir fällt nichts ein. Zu viele Probleme lassen mich keine weihnachtliche Ruhe finden. Ich muss an den fast ungehindert voranschreitenden, menschengemachten Klimawandel denken. An die geistige Flucht vieler Menschen aus der Realität. An die Bereicherung einzelner auf Kosten und zu Lasten anderer und der Umwelt, und das gerade auch zur Weihnachtszeit. Ich sehe in vielen Aspekten eine grenzenlose egoistische Welt und doch kann und darf die Welt nicht so sein. Es muss eine bessere Welt geben.
Und doch, je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr stelle ich fest, dass sich auf der Welt und in unserer Gesellschaft diese Strömungen, mit all ihren negativen Fassetten, mehr und mehr ausprägen. Es wird leider noch viel zu viel dem Egoismus gehuldigt, anstatt ein nachhaltiges, auf ökologischer und humanistischer Vernunft basiertes Gesellschaftsmodell zu etablieren. Ein Gesellschafts- und vielleicht sogar Weltmodell, in dem alle Menschen in Frieden und im Einklang mit der Natur leben können.

„In Frieden und im Einklang mit der Natur leben“, das klingt doch gut. Das ist das, nach dem man im Leben streben sollte und so nehme ich mir da, unter meinem lebenden Weihnachtsbaum sitzend, vor, mein Leben lang nach Frieden und Einklang mit der Natur zu streben und ihn zu leben. Ich werde Tag für Tag darauf hinarbeiten, wobei Logik, Wissenschaft und Verständnis meine Werkzeuge zum Erreichen dieses Zieles sein sollen, denn nichts ist gefährlicher, als Filterblasen und die grenzenlose selbst Überschätzung des eigenen Weltbildes. Vor allem dann, wenn das eigene Weltbild nicht auf physikalischen und wissenschaftlichen Grundlagen basiert.

Published inMomente

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