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Momente – Teil 48: Im Hörsaal

Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten

Es ist ein Freitagnachmittag und ich sitze in einem Hörsaal und warte darauf, dass die letzte Vorlesung des Tages beginnt, bevor es endlich heißt, Wochenende. Ein Kommilitone, mit dem ich recht gut klarkomme, sitzt neben mir und wir quatschen etwas, bis endlich der Professor käme und die Vorlesung eröffnete.
In unserer Unterhaltung meint plötzlich mein Kommilitone, als wir darüber sprechen, was wir am Wochenende zu tun gedächten: „Ach, hast du es gut. Du kannst das ganze Wochenende tun und lassen, was du möchtest.“ Irritiert antworte ich ihn darauf: „Ja, aber das kannst du doch auch. Wie du ja bereits sagtest, unternimmst du etwas mit deiner Freundin.“ „Ja, und das ist das Problem. Sie hat das ganze Wochenende durchgeplant. Sie hat fast jede Minute des Wochenendes bereits verplant, wobei sie keine Zeit zum lange Ausschlafen oder einfach mal rumgammeln, eingeplant hat. Nein, stattdessen geht es nach ihrem Plan früh los, zu ihrem Pferd auf der Koppel und daran anschließend eine Wanderung und der Besuch von Freunden. Sie möchte einfach Station um Station ihrer Tagesplanung abarbeiten, wobei sie keine Zeit zum Verschnaufen oder Nichtstun vorgesehen hat. Ach, das wird anstrengend.“ Ich verstehe das Problem, dass mein Kommilitone da zum Ausdruck bringt, nicht und so erwidere ich: „Das macht doch erst deine Freundin sympathisch. Es ist doch schön, dass sie einen Plan von dem hat, was sie tun und erleben möchte, anstatt einfach Tag um Tag ihres Lebens, und somit ihre kostbare Lebenszeit, zu verschwenden. Es ist doch schön, dass sie sich etwas vornimmt, das gibt ihrem Leben doch Struktur und verhindert, dass sie zu einem stumpfsinnigen Couchpotato wird. Sie nutzt ihre Lebenszeit für ihre Interessen und um etwas zu erleben. Sie beschäftigt sich mit anderen Lebewesen und geht in die Natur, anstatt Tag für Tag immer nur in den eigenen vier Wänden zu sitzen und ihre kostbare Lebenszeit zu vergammeln.“
Das gesagt, funkelt mich mein Kommilitone böse an und meint: „Möchtest du damit jetzt etwa sagen, dass meine Freundin besser zu dir passte? Das kannst du schön knicken, noch bin ich mit ihr zusammen, auch wenn ich den Tag lieber gechillt angehe, als alles durchgeplant zu haben.“ Die Erwiderung meines Kommilitonen irritiert mich, denn ich habe ja mit keinem Wort davon gesagt, dass seine Freundin besser zu mir passte. Ich sagte doch nur, dass es sie mir sympathisch erscheinen lässt, dass sie weiß, was sie mit ihrer Zeit anfangen möchte, anstatt Stunden oder gar Tage mit Nichtstun zu verschwenden. Warum bringt ihn dann meine Aussage nur so zur Rage?
Ich denke nach und für sein Verhalten fallen mir zwei mögliche Ursache ein. Die eine mögliche Ursache ist, dass es zwischen ihm und seiner Freundin bereits kriselt, sie aber noch versuchen, ihre Beziehung am Laufen zu halten, wobei die Hoffnung auf einen Erfolg ihrer Bemühungen schon weitestgehend geschwunden ist. Die andere Möglichkeit, die mir einfällt, geht mit der ersten Möglichkeit, Hand in Hand einher. Die zweite Möglichkeit ist, dass er langsam, nachdem die erste Verliebtheit geschwunden ist, merkt, dass die unterschiedlichen Lebensstile und Lebenseinstellungen von ihm und seiner Freundin ein hohes Spannungspotential aufweisen. Ein Spannungspotential, das zwangsläufig zu Reibungen und Streit führt, nachdem die erste Verliebtheit verflogen ist und dem Alltag und der Gewöhnung Platz gemacht hat.
Da ich keine Lust verspüre, nur Mutmaßungen anzustellen, die mir nichts bringen und ich auch nicht im Raum stehen lassen möchte, dass ich ein Interesse an seiner Freundin hätte und sie ihn eventuell gar auszuspannen gedächte, sagte ich zu ihm: „Ich habe mit keinem Wort gesagt, dass deine Freundin besser zu mir passte, denn dafür kenne ich sie nicht gut genug. Aber lass mich, da du so auf meine Aussage reagiertest, dir eine Frage stellen: ‚Ist zwischen dir und deiner Freundin noch alles in Ordnung?‘“ „Ja, alles Bestens!“, blaffte er mich als Erwiderung an, wobei sein Ton, seine Worte Lügen straft.
Nachdem er mich so angeblafft hat, verspüre ich keine Lust mehr, auf eine weitere Unterhaltung mit ihm und es breitet sich eine bedrückende Stille aus.

Eine Stille, die mich über menschliche Gefühle, zwischenmenschliche Beziehungen und die Liebe philosophieren lässt. Eine Stille, die ihr Ende erst findet, als der Professor den Hörsaal betritt und die Vorlesung beginnt.

Doch auch wenn ich versuche der Vorlesung zu folgen, so fällt es mir schwer. Fragen schwirren mir unaufhörlich durch meinen Kopf. Fragen darüber, was Liebe ist und wie man Liebesbeziehungen aufbaut und erhält. Dabei kristallisiert sich besonders die Frage heraus, wann denn die echte Liebe beginnt und wann sie geht. Nach der Unterhaltung mit meinem Kommilitonen rückt dabei auch der Aspekt, wann man sich eingestehen sollte, dass die Liebe eine Beziehung verlassen hat und welche Konsequenzen man, wann daraus ziehen sollte, um nicht in einer leeren Beziehung gefangen zu sein, ins Zentrum meiner Aufmerksamkeit. Doch ich finde keine einfache, passende Antwort auf diese Frage, denn diese kann es nicht geben. In Liebesbeziehungen hängt so vieles vom einzelnen Fall ab, dass es kein Patentrezept geben kann, außer vielleicht, dass man sich auf seine ‚wahren’ Gefühle verlassen muss. ‚Auf seine wahren Gefühle verlassen.‘, ich frage mich, wie viele Menschen das heute noch tun, anstatt einfach Spaß- oder Nutzbeziehungen zu führen, die sie einfach nur des Scheines halber Liebesbeziehung nennen, obwohl die Liebe schon lange nicht mehr in ihnen wohnt, wenn sie denn jemals in ihnen wohnte.

Published inMomente

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