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Momente – Teil 49: In einer Bar

Geschätzte Lesezeit: 5 Minuten

Ich stehe an eine Wand gelehnt in einer Bar und habe meine Augen geschlossen. Alles um mich herum wird mir viel zu viel. Viel zu viele Menschen. Viel zu laute Musik. Viel zu schlechte Luft. Viel zu viele Eindrücke und Gedanken. Eigentlich möchte ich nicht hier sein. Nein, eigentlich wollte ich nicht einmal hierherkommen. Doch eine gute Freundin überredete mich, sie an diesem Abend zu begleiten und jetzt bin ich nun einmal hier, in dieser Bar.

Ich bin in einer Bar und halte bereits den ganzen Abend wechselnde Gläser mit Apfelsaftschorle in der Hand, an den ich ab und zu nippe. Das Holen eines neuen gefüllten Glases mit Apfelsaftschorle, war bisher auch der einzige Grund, aus dem ich meinen Platz kurzzeitig verlassen habe. So stehe ich also da und habe meistens meine Augen geschlossen, um den ganzen Irrsinn, der um mich herum geschieht, nicht mehr zu sehen. Ich warte darauf, dass doch noch ein Wunder geschieht. Ein Wunder, dass ich nicht nur meine Zeit hier verschwende, sondern doch noch etwas Positives von diesem Abend mitnehme. Ich öffne kurz meine Augen und blicke mich in der Bar um. Überall gut gelaunte Menschen, die einfach Spaß haben, ohne einen Gedanken an morgen zu verschwenden. Überall höre ich die Menschen lachen und sich necken. Ach, ich beneide sie.
Warum gelingt es mir nicht, mich so wie die Menschen zu entspannen? Warum fällt es mir nur so schwer, mich einfach mal fallen zu lassen und Spaß zu haben? Ich sehe die Menschen, wie sie sich zu prosten, gemeinsam lachen und sich vergnügen. Ach, was hält mich nur davon ab, einfach auch eine Flasche Bier zu nehmen, mich zu meiner guten Freundin und ihren Freunden zu stellen und einfach auch einen schönen Abend, ohne irgendwelche Sorgen oder böse Gedanken, zu verleben?
Gedanken? Mich halten meine Gedanken davon ab, einfach mal loszulassen und ein Teil der feiernden Menge zu werden. Viel zu viele schlimme und kritische Momente erlebte und überlebte ich schon, als dass ich mich sorglos bestimmten Freuden hingeben könnte. Viel zu viel Wissen über Aktion und Reaktion, sowie der Vorgänge im Körper und in unserer Gesellschaft lassen mich nicht die Entspannung finden, die ich bräuchte, um sorglos an dem geselligen Treiben teilzunehmen.
Hinter jedem Glas Alkohol sehe ich die Freunde, die durch Trunkenheit am Steuer starben oder an ihrem Erbrochen erstickten. Hinter jeder Aufdringlichkeit und zur Schau gestellten Geilheit, sehe ich verletzte Gefühle, wenn nicht gar Belästigung oder Vergewaltigung. Viel zu viel sah und erlebte ich schon im Laufe meines Lebens, um einfach noch meine Seele baumeln zu lassen. Viel zu viel Wissen um die möglichen Konsequenzen unbedachter Handlungen belastet meine Seele, und doch möchte ich einfach mal so sein, wie alle die anderen, die heute Abend einfach nur in der Bar feiern. Ich will mich einfach mal wieder fallen lassen, um einen Abend mit Spaß und ohne Reue zu verleben. Doch was ist, wenn der nächste Morgen kommt? Was ist, wenn die Konsequenzen, vom sich gehen lassen, einen einholen? Was ist, wenn man in seiner Unbedachtheit etwas tut, das man anschließend ein Leben lang bereut und nie wieder ungeschehen machen kann?
Es sind viel zu viele Fragen, die mir durch den Kopf gehen und mich nicht am unbesorgten Vergnügen teilhaben lassen!

Meine gute Freundin kommt zu mir und brüllt mir, aufgrund der Lautstärke in der Bar, ins Ohr: „Komm, lass uns tanzen.“ „Ich kann nicht tanzen.“, ist das, was ich ihr erwidere. „Jeder kann tanzen! Komm einfach mit und lass die Musik auf deinen Körper wirken, dann wird das schon.“ Widerwillig löse ich mich von meinem Platz an der Wand, der den bisherigen Abend mein Zufluchtsort gewesen ist. Widerwillig folge ich meiner guten Freundin auf die Tanzfläche. Sie beginnt zu tanzen und ich komme mir einfach lächerlich vor. Ungelenk stehe ich da und versuche meine Glieder zur Musik zu bewegen. Es klappt einfach nicht.
Wie schaffen es nur die anderen, alles um sich herum auszublenden und sich einfach gehenzulassen? Ich weiß es nicht. Das einzige was mir, als ich vor mir meine gute Freundin tanzen sehe, bewusst wird, ist, dass ich sie liebend gern in den Arm nähme und an sie geschmiegt, tanzte. Ich fühlte gern ihre Nähe und dann wären mir auch die Blicke der Anderen und das, was sie vielleicht dächten, egal. Doch warum tue ich das dann nicht einfach? Ich tue es nicht, wegen der mahnenden Stimme und ihrer Fragen in meinem Kopf. „Was ist, wenn sie mein Verhalten als aufdringlich empfindet?“, „Was, wenn ich durch eine unbedachte Tat unsere Freundschaft zerstöre?“ oder kurz: „Wie veränderte sich die Zukunft, wenn ich einfach meinen Gefühlen nachgäbe, anstatt einfach der zu bleiben, der ich schon immer war.“ Meine Gedanken lähmen mich. Sie behindern mich und doch sind sie ein Teil von mir. Ein Teil, von dem, was ich bin und was ich wahrscheinlich immer sein werde.

Über meine Gedanken habe ich aufgehört meine Gliedmaßen zu bewegen und so stehe ich einfach da, wie zur Salzsäule erstarrt. Ich stehe da und betrachte meine gute Freundin, wie sie sich zur Musik dreht und dreht und einfach ihren Spaß hat. Als das Lied endet, stupst sie mich an und meint: „Also das, müssen wir noch einmal üben. Lass doch einfach mal locker und lasse dich einfach von deinen Gefühlen, anstatt von deinem Kopf leiten.“ Ach, wie gern würde ich sie, nach dieser Aufforderung, einfach in die Arme nehmen und küssen. Doch ich tue es nicht. Stattdessen beginnt es in meinen Kopf zu arbeiten und meine Gedanken zeigen mir alle möglichen und unmöglichen Szenarien, die sich aus meiner Aktion, sowie ihrer darauffolgenden möglichen Reaktion ergeben könnten. Es sind viele. Viel zu viele! Und von denen haben die meisten keinen guten Ausgang.
Aufgrund meiner Gedanken antworte ich meiner guten Freundin: „Ich kann nicht. Ich bin zu verkopft und meine Gedanken machen nie Pause.“ Auf diese Aussage hin, sieht mich meine gute Freundin mitleidig an und meint: „Wenn du zu verkopft bist, stehst du dir nur immer und immer wieder selbst im Weg. Manchmal muss man auch einfach etwas riskieren und über seinen Schatten springen, anstatt immer alles nur abzuwägen und das daraus resultierende Nichtstun, die Entscheidung sein zu lassen.“
Ich höre ihre Worte und sie ergeben Sinn. Sie ergeben Sinn und ich möchte ihnen wirklich glauben. Ich möchte nach ihnen handeln, doch ich weiß, dass es mir nie gelingen wird.

Und so bin ich gefangen, in einem selbsterschaffenen Gefängnis, das mich vom wirklichen und glücklichen Leben abhält. Einem Gefängnis aus meinen Erfahrungen, meinen Gedanken und meinem Wissen, das mich mehr und mehr einschränkt, je mehr ich lerne und von der Welt sehe.

Published inMomente

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