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Momente – Teil 50: Der letzte Moment

Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten

Etliche Dekaden lebe ich jetzt schon auf dieser Welt. Ich wurde als Kind des späten zwanzigsten Jahrhunderts geboren und lebte weit ins einundzwanzigste Jahrhundert hinein. Meine Kindheit war geprägt von den Erfahrungen und den technischen Möglichkeiten des zwanzigsten Jahrhunderts und meine Jugend und mein weiteres Leben von dem technischen Fortschritt und den Katastrophen des einundzwanzigsten Jahrhunderts.
Ich wurde reich an Jahren und an Erfahrungen. An Erfahrungen, die Momenten meines Lebens entsprangen. Es waren Momente, in denen sich bestimmte Dinge ereigneten, die positiv, negativ oder auch nur alltäglich waren. Doch aus diesen Momenten versuchte ich stets, Rückschlüsse für mein weiteres Leben zu ziehen, auf das ich Fehltritte nicht wiederholte, sondern mich und mein Leben beständig zum Positiven weiterentwickelte. Mein Leben lang glaubte ich daran, dass man, in Verbindung mit dem Anspruch, dass man nichts Böses tun soll, sich nur seines Verstandes und seiner Erfahrungen bedienen muss, um glücklich und im Einklang mit sich und der Natur zu leben. Ich glaubte daran, auch wenn mich das Verhalten vieler meiner Mitmenschen häufig an diesen Glauben zweifeln ließ.
Doch das ist jetzt vorbei. Die vielen Momente meines Lebens, die wie der Sand einer Sanduhr beständig dahin rieselten, nähern sich ihrem Ende und ich merke, das mir nur noch ein Moment, ein allerletzter Moment, verbleibt, bevor mein vom Alter geschwächter Körper aufhört zu funktionieren und der Teil von mir, den man gemeinhin als Seele bezeichnet, ins Nichts geht.
Ach, viel zu viele Freunde und Bekannte gingen bereits diesen Weg vor mir. Viele von ihnen lange vor ihrer ‚biologischen’ Zeit. Und jetzt ist es an mir, ihn zu gehen. Es ist an mir Abschied von dieser Welt zu nehmen.
Die letzten Freunde und Bekannten, die ich noch habe, rieten mir schon die letzten Jahre immer und immer wieder, in ein Altenheim zu gehen, um dort umsorgt, das Ende zu erwarten. Doch ich konnte nicht. Ich wollte nicht. Nein, mein ganzes Leben lang suchte ich danach, im Einklang mit der Natur zu leben und darum möchte ich nicht das Ende meines Lebens, in einem Altenheim oder gar in einem Krankenhaus verbringen. Nein, und so blieb ich in meinem kleinen, von der Natur umgeben, Haus. Ich blieb da, auch wenn ich Jahr um Jahr merkte, das mir vieles schwerer und schwerer fiel. Ich blieb auch, als ich merkte, dass mein Ende naht.

Ich merke, wie mir die letzten Kräfte schwinden und so setze ich mich zum letzten Mal auf meine Veranda, blicke in meinen Garten und freue mich, dass ich das Leben, das ich auf dieser Welt verbrachte, leben durfte.
Meine Augen sehen die Pracht der Natur und während mir das Atmen schwerer und schwerer fällt, bilden sich ein letztes Mal Verse in meinem Kopf. Verse, die meine Lippen ins aufziehende Nichts flüstern.

Blumen, Tiere, Wasser, Luft,
die ihr mir Leben schenktet.
Geister der Vergangenheit,
die ihr beständig meine Schritte lenktet.
Jetzt heißt es Abschied nehmen,
und ins Nichts gehen.

Ich hoffe,
ich bereitete euch nicht allzu viel Leid,
während meiner Lebenszeit,
sondern konnte etwas zum Positiven bewegen,
anstatt nur die Welt in Schutt und Asche zu legen.

Ich hoffe,
meine Handlungen und Worte taten euch gut,
und machten anderen Menschen Mut,
bestehenden Irrsinn zu erkennen,
und beim Namen zu nennen.

Ich hoffe,
ich trug das Gute in die Welt,
und tat nicht nur das, was mir gefällt,
sondern das, was notwendig war,
gegen jegliche Gefahr,
denn jetzt kann ich nichts mehr tun,
außer für immer zu ruh’n,
und anderen, die Zukunft zu überlassen,
ich hoffe, sie werden sich ein Herz für euch fassen.

Published inMomente

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