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Der Fund

Geschätzte Lesezeit: 5 Minuten

Am 17.06.2020 lief ich von meiner Arbeitsstelle in Karlsruhe Maxau meine übliche Strecke nachhause. Da ein Gewitter angekündigt war, eilte ich mich, als ich plötzlich vor mir am Straßenrand unzählige Münzen auf einer Fläche von ca. fünfzig mal fünfzig Zentimeter liegen sah. Was tun? Bei mir dachte ich, dass das Auflesen der Münzen schon nicht zulange dauerte und so las ich sie alle auf. Als ich alle Münzen aufgelesenen hatte, war meine Hand gut gefüllt von ihnen. Das erledigt, setzte ich meinen Weg schnell fort, um nicht in den Gewitterguss zu kommen. Doch es gelang mir nicht, rechtzeitig mein trautes Heim zu erreichen. Als ich gerade das Hafensperrtor in Karlsruhe überquerte, begann es wie aus Kübeln zu gießen. Ich spannte schnell meinen Regenschirm auf, um nicht gänzlich durchweicht zu werden und setzte anschließend meinen Weg fort.
Da lief ich nun, in der einen Hand den Regenschirm, in der anderen die aufgesammelten Münzen. Es regnete und regnete und schon bald waren meine Schuhe zu Feuchtbiotopen oder gar Seen geworden, doch dank meines Regenschirmes blieb ich zumindest oberhalb meiner Knie relative trocken. Bei mir dachte ich, wenn das Wetter so bliebe, würde ich den Rest des Heimweges auch noch gut schaffen. Doch bei diesen Gedanken machte ich meine Rechnung ohne einen einzelnen rücksichtslosen Autofahrer. Als ich nämlich die Fettweisstraße auf dem Fußweg entlanglief, stand die Straße und vor allem die Abläufe am Straßenrand gänzlich unter Wasser, da der Regen so stark fiel, dass das Wasser es kaum noch schaffte, über die Kanalisation abzufließen. Viele Autofahrer verhielten sich in dieser Situation vernünftig und bremsten ab oder machten einen „Schlenker“ auf die Gegenfahrspur, wenn sie an mir vorbeifuhren. Doch einer tat dies nicht. Einer fuhr sehr schnell und nur wenige Zentimeter von der Bordsteinkante entfernt durch die Wassermassen, so dass sich ein Schwall, wie eine Flutwelle, über mich ergoss. Da stand ich nun, in der einen Hand die gefundenen Münzen, in der anderen den Regenschirm und vom linken Scheitel bis zur rechten Schulter klatschnass und beginnend zu frieren.
Was sollte ich tun? Einfach weiterlaufen, war das einzige, was ich tun konnte. Vielleicht fragt sich der ein oder andere auch, warum ich die gefunden Münzen nicht in meine Hosentasche steckte, um wenigstens eine Hand freizuhaben, um mir Wasser und Schmutz aus dem Gesicht zu wischen. Doch das war mir nicht möglich, da ich nur eine kurze Hose trug, die durch einen Faden im Bund gehalten wurde, und die Münzen so schwer waren, dass sie mir meine Hose heruntergezogen hätten. So blieb mir also nichts anderes übrig, als nass und mittlerweile schlecht gelaunt meinen Weg fortzusetzen.

Schließlich, durchnässt und frierend, kam ich zuhause an. Die schmutzigen, aufgelesenen Münzen warf ich ins Waschbecken, während ich mir die Hände wusch, mir meine nassen Sachen vom Leib riss, mich gründlich abtrocknete und mir trockene Sachen anzog. Anschließend warf ich meine Sachen in die Waschmaschine und machte mich daran, die gefundenen Münzen abzuwaschen und abzutrocknen.
Das erledigt, begann ich sie zu zählen. Ich stellte fest, dass ich Münzen mit einem höheren Wert, als ursprünglich angenommen, aufgelesen hatte.
Ich hatte zwei ein-Euro-Stücke, acht fünfzig-Cent-Stücke, einundvierzig zwanzig-Cent-Stücke, neunzehn zehn-Cent-Stücke, ein fünf-Cent-Stück und ein ein-Cent-Stück aufgelesen. Ich fragte mich, was ich mit dem Geld tun sollte und vor allem, wie es dazu gekommen war, dass diese Menge an Münzen, so nah und offensichtlich, verstreut am Straßenrand gelegen hatte. War vielleicht etwas passiert? Ein Radfahrer oder Fußgänger vielleicht überfallen worden? Wohl eher nicht. Der Grund für die Münzen am Straßenrand war wahrscheinlich, dass eine Kleingeldsammelbox aus einem LKW oder Wohnmobil, die ab und an, an der Stelle parkten, ohne dass es der Fahrer oder Beifahrer bemerkt hatten, herausgefallen ist. Wie dem auch sei, ich wusste nur, dass ich in dieser Situation, das richtige tun wollte und das war offensichtlich, da der Fund die Bagatellgrenze überschritt, ihm beim Fundbüro zu melden.
So ging ich online und suchte nach dem Fundbüro Karlsruhe. Nachdem ich die Seite gefunden hatte, quälte ich mich durch das Onlineformular zur Fundmeldung, fühlte es aus, wobei der Webdienst viermal beim Durchklicken des Onlineformulars abstürzte. Schließlich, am Ende der Meldung angelangt, druckte ich die Fundmeldung aus, unterschrieb sie, steckte sie in einen Briefumschlag, klebte anschließend eine achtzig-Cent-Briefmarke darauf, zog meine Schuhe an, nahm meinen Regenschirm und machte mich gleich auf den Weg, die Fundmeldung abzuschicken.
Das erledigt packte ich die gefundenen Münzen in eine Mülltüte und verstaute sie in einem Schrank, um den Dingen zu harren, die da kämen.

Die Zeit verging und am 25.06.2020 erhielt ich postalisch vom Fundbüro die Mitteilung, dass es meine Fundmeldung erhalten habe und das, wenn sich bis zum 18.12.2020 keine Person fände, die Besitzanspruch an den gefundenen Münzen erhebe, diese in meinen Besitz übergingen.
Die Mitteilung legte ich zu den gefundenen Münzen, um weiter den Dingen zu harren, die da vielleicht noch kämen.

Schließlich kam der 18.12.2020 und die Münzen gingen offiziell in meinen Besitz über. Sie gingen in meinen Besitz über und ich fragte mich, wie schon so häufig in den vorangegangenen sechs Monaten, ob es richtig gewesen ist, für den doch relativ kleinen Geldbetrag, von dem doch ziemlich sicher war, dass ihn keiner für sich beanspruchte, eine Fundmeldung zu schreiben, bei all dem Aufwand der damit verbunden war. Bei meinen Gedanken komme ich abschließend zu der Überzeugung, dass es der richtige Weg war. Es war der richtige Weg, da es der ehrliche war. Es war der ethisch, moralisch richtige Weg, der meinen Prinzipien entsprach und man Prinzipien, auch nicht wegen „Kleinigkeiten“ brechen sollte. Bricht man einmal seine Prinzipien besteht nämlich immer die Gefahr, dass sich eine Routine einschleicht und die Ausnahmen von den eigenen Prinzipien immer größer, umfänglicher und was noch schlimmer ist, zur Routine werden. Irgendwann bleibt dann von den ursprünglichen guten Prinzipien nichts mehr übrig und man macht einfach immer das, von dem man sich persönlich den größten Nutzen verspricht, egal ob es moralisch oder ethisch richtig ist. Zumindest sah ich diesen Weg des Verfalls der moralischen und ethischen Werten schon viel zu häufig und ich wollte keiner der Menschen werden, deren einziges Prinzip am Ende ist, immer nur das Beste für sich aus einer Sache herauszuholen.
Zu guter Letzt blieb noch zu klären, was ich mit den Münzen, die jetzt mir gehörten, tun sollte. Was sollte ich mit den Münzen tun, die ich doch aus finanzieller Sicht nicht brauchte und die ich mir nicht durch Arbeit, abgesehen von zwei Minuten aufheben und dreißig Minuten Fundmeldung schreiben, verdient hatte. Ich entschied mich, da gerade sowieso Weihnachtszeit war, sie für einen guten Zweck zu spenden. Frei nach dem Motto: „Be good and not evil.“

Published inErzählungen

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