Zum Inhalt springen

Der Nationalismus der privilegierten Deutschen

Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten

Ich lese Zeitung und nationalistische Schlagzeilen springen mir ins Auge. Schlagzeilen, die davon künden, dass die Regierung versagte und nicht genügend getan habe, um Menschen zu schützen. Wobei Menschen, zu weit gefasst ist, denn die meisten Menschen sind den Schreibern der Schlagzeilen egal. Es geht ihnen nur um die deutschen Bürger, um das kostbare deutsche Blut. Es geht ihnen gegen den Strich, dass sich Deutschland einmal solidarisch mit seinen europäischen Nachbarn verhielt, wie es viele, viele Jahre lang immer und immer wieder forderten, und zusammen mit ebendiesen, seinen Nachbarn, Impfdosen gegen das Coronavirus kaufte. Zusammen mit unseren guten europäischen Nachbarn und jetzt schalt es auf allen medialen Kanälen, dass die Regierung versagt habe, da sie nicht den Alleingang zelebrierte und nach dem Motto vorging „Deutschland zuerst“. Es wird ein Impfnationalismus gefordert. Es wird gefordert, dass wir Deutsche als Erstes den Impfstoff, in ausreichender Menge, vor allen anderen bekommen. Ich höre die Menschen und kann nur mit dem Kopf schütteln. Ich kann nur mit dem Kopf schütteln, da wir, die wir in Deutschland leben, das Glück haben, mit zu den Ersten zu gehören, die Zugang zu einem Impfstoff haben, im Gegensatz zu vielen afrikanischen und asiatischen Ländern, die vielleicht noch Jahre warten müssen. Aber das möchte der „gute Deutsche“ nicht hören. Nein, der gute Deutsche sieht es als sein Recht an, als Erstes die Möglichkeit haben, sich Impfen zu lassen. Es gilt, erst er, dann der Rest der Welt.

Meine Gedanken schweifen ab und ich frage mich, warum mich solch ein Verhalten immer noch enttäuscht. Dieser „Nationalismus der Privilegierten“, den ich sehe und den viele Deutsche fordern, ist ja nichts Neues. Nein, er lebt eigentlich schon immer in unserer deutschen Gesellschaft. Es ist ein Nationalismus, der sich aus den Egoismen der Deutschen speist, die glauben, besser als andere Menschen und andere Gesellschaften zu sein.
So fordern auch viele Deutsche plakativ, dass Staaten Demokratien sein sollen. Doch wenn es uns nützt, sei es wirtschaftlich oder sicherheitspolitisch, schließen wir ganz schnell die Augen vor der Regierungsform eines Landes. Aber nicht nur das, durch unsere deutsche Lebensweise, verhindern wir auch, dass wirkliche Demokratien in anderen Ländern entstehen und bestehen können. Wir verhindern es, da wir Produkte kaufen, die durch die Ausbeutung von Menschen entstehen. Von Menschen, die nicht genug Lohn bekommen, um gesund zu leben und Geld für Bildung zu haben. Auf Grund einer falsch verstanden „Geiz-ist-Geil-Mentalität“ zahlen wir für viele Produkte nicht den angemessen oder auch nur den tatsächlichen Preis, der alle Kosten deckte. Nein, wir zahlen so wenig, dass die Staaten, von denen wir eigentlich wollen, dass sie Demokratien sind, keine demokratischen Strukturen aufbauen und erhalten können, da das Geld und Vertrauen aufgrund von Ausbeutung und Naturzerstörung fehlt. Und wie sollten die Menschen auch einem demokratischen System vertrauen, das zulässt, dass sie ausgebeutet werden und am Rande der Existenz leben. Doch nicht nur die Löhne und den Lebensstandard drückt der gute deutsche privilegierte Nationalist in anderen Ländern. Nein, er nimmt auch Umweltzerstörung, Ausbeutung von Kindern und die Unterstützung von Warlords in kauf, Hauptsache er bekommt seine Rohstoffe, wie seltene Erden und seine technischen Geräte günstig und möglichst alle zwei Jahre neu. Kurz, man könnte den privilegierten deutschen Nationalisten, auch als jemanden beschreiben, dem es egal ist, was auf der Welt und was anderen Menschen passiert, solange es ihm und seinen deutschen Mitbürgern gutgeht.
Das ist das alltägliche Gesicht des privilegierten deutschen Nationalisten, es ist das Gesicht, dass man bei der Mehrheit der Deutschen sieht, auch wenn es viele von ihnen hinter leeren Worthülsen verstecken und es nicht zugeben wollen. Doch die tagtäglichen Handlungen vieler Deutscher tragen genau dieses nationalistische Gesicht zu schau.

Doch als wäre das noch nicht schlimm genug, so gibt es auch abseits von diesem versteckten nationalistischen Gesicht der Privilegierten in Deutschland, noch ein Ungeschminktes. Das Gesicht, das viele Menschen zeigen, wenn die Auswirkungen ihrer Lebensweise Menschen zur Flucht aus ihrem Land treibt und sie dann, an den Grenzen des eigenen Landes, also Deutschland, stehen. Das Gesicht, dass sie dann zeigen, ist ein feindliches Gesicht, das nicht akzeptiert, dass der Klimawandel, zu dem die westliche Welt größtenteils beigetragen hat und die jahrzehntelange Ausbeutung anderer Länder und deren Einwohner, dort die Lebensgrundlage und teilweise die Gesellschaften zerstörte. Nein, dafür sind diese Menschen schon ganz allein schuld, was lassen sie sich und ihre Natur auch für unfaire Löhne von anderen Ländern ausbeuten?

Ach, was für eine schöne Welt. Aber komm, lasst uns weiter unsere Augen verschließen und Wein trinken, den wir anderen als Wasser bezahlen. Lasst uns weiter alles dafür tun, dass Deutschland vor allen anderen Ländern kommt, damit wir gedankenlos glücklich, frei und zufrieden leben können. Lasst uns die Welt bereisen, die doch uns Privilegierten gehört und ihre Schönheit sehen, bevor wir sie gänzlich zerstört haben. Lasst uns weiter mit hocherhoben Köpfen, mit dicken Brettern vor der Stirn, durch die Welt gehen. Zeigt der Welt die dicken Bretter, auf die wir so Stolz sind, auch wenn wir durch sie nur privilegierte Nationalisten sind, die nur sich und ihr kleines Land sehen.

Es ist schlicht und einfach so, dass viele von uns Deutschen, privilegierte Nationalisten sind, denen ein Großteil der Welt und andere Menschen Scheiß egal ist. Und wer kann uns das schon verdenken?

Published inKolumne

Diese Webseite verwendet nur technische Cookies, die zur Funktion der Webseite notwendig sind. Durch die weitere Nutzung der Seite stimmst du ihrer Verwendung zu. Weitere Informationen

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn du diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwendest oder auf "Akzeptieren" klickst, erklärst du sich damit einverstanden.

Schließen