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Eine letzte Liebesgeschichte – Brief 13: In Erwartung des Nachwuchses

Geschätzte Lesezeit: 7 Minuten

Liebe Freundin, heute kann ich dir von einer guten Neuigkeit berichten. Ich kann dir davon berichten, dass ich bald Vater werde. Ich werde bald Vater, da meine Partnerin mittlerweile im achten Monat schwanger ist. Doch, nicht nur das. Nein, sie trägt dabei auch noch Zwillinge unter ihrer Brust. Zwillinge, ein Mädchen und ein Junge. Ich freu mich so. Ich freue mich auf unsere Kinder und auf den neuen Lebensabschnitt, der mit ihnen beginnt.

Jetzt, da meine Partnerin im achten Monat schwanger ist, ist ihre Schwangerschaft kaum mehr zu übersehen und von Freunden und Familienangehörigen kommen immer häufiger die Fragen, ob es den ein Junge oder Mädchen wird und was wir denn noch für unseren Nachwuchs gebrauchen könnten. Sie fragen nach dem Geschlecht unserer noch ungeborenen Kinder, mit der Intension, uns die „passenden“ Dinge für sie zu schenken. Doch wir wickeln ihre Fragen ab. Wir wickeln sie ab und sagen, dass wir nichts brauchen, da wir Angst davor haben, was sie uns, beziehungsweise unseren Kindern, dann schenken und was für ein Rollen- und Gesellschaftsbild sie mit ihren Geschenken zum Ausdruck bringen. Das mag zwar etwas komisch klingen, doch seit meine Partnerin feststellte, dass sie schwanger ist, achteten wir beide vermehrt darauf, wie die Menschen in unserem persönlichen Umfeld ihre Kinder erziehen und wie sie mit ihnen umgehen. Wir achteten auf alle möglichen Kleinigkeiten und tauschten uns über sie aus. Dabei stellten wir fest, dass wir Deutschen zwar meinen, dass es keine klassischen Rollenbilder mehr gibt, aber viele von uns sie bewusst oder unterbewusst immer noch ihren Kindern vorleben oder sie mit ihren Verboten und Loben in Richtung der klassischen Rollenbilder lenken.
So sahen wir häufig, dass wenn kleine Jungen herumtollten, es hieß, dass sein nun einmal echte kleine Kerle und das es sich für sie so gehörte. Im Gegensatz dazu hieß es bei den Mädchen, die genauso wie die Jungen herumtobten, viel schneller und häufiger, dass sie das nicht tun, sondern sich etwas ruhiger verhalten sollten. Das Gleiche galt auch für Ordnung und Sauberkeit, so wurde den Jungs eher nachgesehen, wenn sie mal wieder schmutzige Kleidung oder ein unaufgeräumtes Zimmer hatten, als den Mädchen, bei den es ziemlich häufig und schnell hieß: „Das schickt sich aber nicht!“, womit aber gemeint war, dass es sich nur nicht für ein Mädchen schickt. Doch nicht nur das Benehmen der Kinder wurde unterschiedlich bewertet, nein, die Menschen schenkten den Kindern auch unterschiedliche Sachen, sobald sie von ihnen wussten, dass es Jungen oder Mädchen sind. Sie schenkten ihnen Kleidungsstücke in unterschiedlichen Farben. Mädchen oft Dinge, die die Farbe Rosa oder Pink hatten und Jungen, Sachen die blau waren. Aber auch die Art des Spielzeuges, das sie den Kindern schenkten oder gaben, unterschied sich nach dem Geschlecht des jeweiligen Kindes. So bekamen Mädchen eher Puppen oder Kochspielzeug und Jungen eher Autos und technische Spielzeuge zum Geschenk oder Spielen überreicht.
Als mir das mit den Farben bewusst wurde, musste ich an eine Dokumentation zurückdenken, die ich vor etlichen Jahren einmal gesehen hatte. In der Dokumentation meinte einer der befragten Wissenschaftler, dass die Farbklischees einer der größten Erfolge der Werbeindustrie sein, da, wenn Eltern mit etwas Abstand ein zweites Kind nach ihrem ersten bekämen, eine beinah fünfzigprozentige Wahrscheinlichkeit bestünde, dass es ein anderes Geschlecht als das erstgeborene Kind hat und sich die Eltern, in diesem Fall, genötigt sähen, fast alle Sachen neu zu kaufen, wenn sie denn dem Rollenklischee entsprechen wollten.
Ich war schockiert von dem, was ich da fast tagtäglich sah. Ich war wirklich schockiert und fragte mich, wie ich verhindern könnte, dass meine Kinder in einer Gesellschaft aufwachsen, in der Rollenklischees immer noch so vorherrschend und unterbewusst gelebt werden, auch wenn viele behaupten, dass wir sie längst überwunden haben. Über diese Gedanken und der Auseinandersetzung mit den Rollenbildern von Männern und Frauen in unserer Gesellschaft, stellte ich auch vermehrt in meinem Bekannten-, Freundes- und Familienkreis fest, dass auch viele von uns Erwachsenen noch die „konservativen“ Rollenbilder leben und zu allem Überfluss auch noch rechtfertigen.
So hörte ich von einer Bekannten, als ihr Fahrrad einen Platten hatte, dass ihr Freund das mal reparieren solle, denn schließlich seien „mechanische Arbeiten“ Männersache. Im Gegensatz dazu hörte ich von einigen Männern, wenn es um Haushaltsdinge, wie Kochen oder Wäschewaschen, ging, dass das eher die Frauen machen sollten, da sie es sowieso besser als wir Männer könnten. Ich hörte Rollenklischee über Rollenklischee. Aber wie du mich ja kennst, so konnte und wollte ich mich damit nicht abfinden und versuchte den Irrsinn, den ich da sah, aufzuzeigen. Ich versuchte zu argumentieren, Beispiele zu bringen, die ihre Aussagen entkräften sollten und manch einmal auch einfache Sachverhalte zu erklären. Doch ich stieß auf einen Wall der Ignoranz. Sie konnten oder wollten meine Argumente einfach nicht verstehen und bei einigen merkte ich sogar, dass sie es gar nicht verstehen wollten, da sie sich mit den vorherrschenden Rollenbildern arrangiert hatten. Einigen von ihnen waren die Rollenbilder einfach recht, da sie für sie einfachere, bequemere und strukturierte Leben bedeuteten. Aufgrund dessen schlug mir von einigen mir bekannten Frauen, Antworten wie: „Das muss ich nicht wissen!“, entgegen, wenn ich ihnen versuchte technische Zusammenhänge zu erklären. Umgekehrt bekam ich die gleiche Antwort auch von einigen Männern, als wir uns einmal über das Flicken von Kleidung und wie man das am besten macht, unterhielten. Sie meinten, dass das Frauensache sei und nichts für sie.

Mit der Zeit wurde ich frustrierter und frustrierter mit den Rollen- und Gesellschaftsbildern, die ich sah. Dazu trug insbesondere bei, dass ich begann auch verschiedene Studien zum Thema Rollenbilder und Kindererziehung zu lesen. Studien, die unter anderem aufzeigten, dass sich Mädchen in gemischten Klassen mit Jungen, in den naturwissenschaftlichen Fächern, zurücknahmen, auch wenn sie mehr wussten oder konnten als ihre männlichen Äquivalente, einfach, weil die gesellschaftliche Vorstellung immer noch die ist, dass Jungen besser in den Naturwissenschaften sind und sie nicht gegen die „ungeschriebene“ Norm verstoßen wollten, um dadurch als ein „Freak“ oder „Laune der Natur“ gesehen zu werden. Dem gegenüber werden auch Jungen, die eher „Frauenfächer“ belegen und in ihnen gut sind, als „Freak“ gesehen, wobei Jungen für ihre Wahl und ihre eingeschlagenen Lebenswege häufiger weniger Ablehnung ernten, als Mädchen.
Aber so, wie es momentan ist, werden Mädchen und Jungen teilweise in der Schule, durch ihre Klassenkamerad*innen, als Freaks gesehen, die nicht wirklich dazu gehören, wenn sie von den veralteten „konservativen“ Vorstellungen, die viele von uns noch in ihren Köpfen haben und ihren Kindern mit auf den Lebensweg geben, abweichen. Ist man an diesem Punkt besonders ehrlich und betrachtet sich Kinder, die gerade in ihrer Pubertät sind, so suchen viele von ihnen Zugehörigkeit und Anerkennung. Sie suchen ihren Platz im Leben und die Bestätigung für ihn und seltenst erfahren sie diese, wenn sie in Fächern brillieren, die eher untypisch für das gesellschaftliche Rollenbild ihres Geschlechtes sind.

Doch wie soll ich jetzt diesen Rollenbildern begegnen? Wie soll ich versuchen meine Kinder unabhängig von ihnen zu erziehen? Ich weiß es nicht! Ich weiß es nicht, da meine Kinder immer als ein Teil dieser, unserer Gesellschaft aufwachsen werden. Sie werden ein Teil von ihr und den in ihr gelebten Rollenbildern, die Medien propagieren, Gesetze implizieren und wir Erwachsenen ihnen vorleben, sein.
Das einzige, was meine Partnerin und ich vielleicht tun können, um zu verhindern, dass unsere Kinder in ein Rollenklischee gepresst werden, ist, ihnen bestmöglich alle Freiheiten bei der Wahl ihrer Interessen zu lassen; sie, wenn sie denn alt genug sind, über Rollenbilder und Klischees aufzuklären und, in jungen Jahren, zu versuchen ihnen beiden gegenüber wirklich gleich aufzutreten. Doch, nicht nur das. Meine Partnerin und ich müssen ihnen auch vorleben, dass Frauen und Männer, unabhängig von ihrem Geschlecht, wirklich alles, sei es technisch, hauswirtschaftlich oder was auch immer, gut und zuverlässig erledigen können und auch sollten.
Diese Punkte, die doch noch die einfachen sind, heißt es in Angriff nehmen. Es sind diese Punkte, die meine Partnerin und ich eigentlich schon jetzt leben. Der schwierigste Punkt für uns wird eher der werden, Familienmitglieder, Freunde und Bekannte davon abzuhalten, unseren Kindern in jungen Jahren Dinge zu schenken, die Rollenklischees entsprechen. Dinge, die entweder alle pink oder rosa, bei Mädchen, und blau, bei Jungen oder zu geschlechtsklischeehaft sind. Oder um einen alten Freund zu zitieren: „Meine Frau und ich habe für meine Tochter nie rosa Kleidung und ‚mädchentypische‘ Dinge gekauft, doch als ich letztens in ihr Kinderzimmer kam, stellte ich fest, dass sie fast nur rosafarbene und ‚mädchentypische‘ Dinge besitzt, da ihr unsere Freunde und Familienangehörige, seit ihrer Geburt, auch wenn sie sich die Dinge nicht wünschte, nur solche Dinge schenkten.“

Doch, wie dem auch sei. Primär freuen meine Partnerin und ich uns erst einmal darauf, Eltern zu werden und ich hoffe, dass uns die Erziehung unserer Kinder so weit gelingt, als dass sie irgendwann aus falsch verstanden Zwang, versuchen irgendwelchen Rollenklischees zu entsprechen, die keine wissenschaftliche oder genetische Grundlage haben.

Published inEine letzte Liebesgeschichte

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