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Midlife-Crisis – Brief 2: Lebensziele

Geschätzte Lesezeit: 5 Minuten

Liebe Freundin,
zuallererst einmal vielen Dank, dass du mir erlaubst, dich auch weiterhin mit meinen schriftlichen „Ergüssen“ zu behelligen.

Auf meinen letzten Brief hast du mir geantwortet, dass man erst ein gewisses Alter erreicht haben muss, um qualifizierte Entscheidungen treffen zu können. Ferner meinst du, dass das besonders auf die Entscheidungen zuträfe, die den eigenen Lebensweg beträfen. Entscheidungen, für die man Lebenserfahrung, einen Grundstock an Wissen und Verantwortungsbewusstsein benötigt, über das man in den ersten beiden Lebensdekaden noch nicht oder nur sehr begrenzt verfügt und manche Menschen ihr Leben lang nie verfügten.
Ich gebe dir in deinen Beobachtungen dahin gehend recht, dass wir Menschen in den ersten beiden Lebensdekaden noch recht planlos durch die Welt und Zeit laufen. Doch ist es denn nicht auch so, dass wir uns trotz unserer beschränkten Horizonte, unsere Lebensziele häufig in unseren ersten zwanzig Lebensjahren suchen und beginnen, auf sie hinzuarbeiten? Ist es denn nicht so, dass wir in dieser Zeit häufig Enttäuschungen beim Streben nach unseren Lebenszielen erleiden, da wir uns, auf Grund unserer fehlenden Lebenserfahrung, meist nur illusorische Ziele setzten? Ist es denn nicht so, dass viele von uns, diese illusorischen Lebensziele auch dann noch weiter verfolgen, obwohl wir bereits wissen oder es zumindest wissen müssten, dass wir sie in unseren Leben, mit unserer begrenzten Lebenszeit, nie erreichen werden? Ist es denn nicht so, dass aufgrund dessen eher früher als spät, nur die Enttäuschung kommen kann? Eine Enttäuschung, die viele Menschen verbittern und lethargisch werden lässt? Werden nicht viele von uns, in der Mitte ihrer Leben, zu Menschen, die ambitionslos durch die Zeit treiben und nur noch ein Schatten ihrer selbst oder eher möglichen geistigen Größe sind? Menschen, die unzufriedene, da unerfüllte Leben leben?
Der ein oder andere mag jetzt behaupten, dass man sich aufgrund dessen gar keine Ziele setzen sollte. Man sollte keine Lebensziele haben, da man dann auch keine Enttäuschung erleiden kann. Doch auch das führte, meiner Meinung nach, nur in ein unerfülltes Leben, da man dann von Beginn des eigenen Lebens an, nur ziellos durch Zeit und Raum dümpelt. Ich bin stattdessen zu der Überzeugung gelangt, dass man große Ziele, die man im Laufe seines Lebens erreichen möchte, auf viele kleine, realistische und erreichbare Ziele herunterbrechen sollte. Man sollte schon in der Kindheit damit anfangen, jedes große Ziel, auf viele kleine Ziele herunterzubrechen, die man in einer angemessenen Zeit und mit einem angemessenen Aufwand erreichen kann. Kleine Ziele, die einem das Leben bereichern und bei deren erreichen man seinem eigentlichen, großen Lebensziel Stück für Stück näher kommt und es trotzdem immer wieder neu beurteilen und anpassen kann, ohne plötzlich vor dem allumfassenden Nichts zu stehen, sollte sich doch die Unerreichbarkeit des ursprünglichen großen Zieles abzeichnen. In der Schulzeit kann es zum Beispiel immer das Lernen auf die nächste große Arbeit sein, die man bestmöglich versucht abzuschließen, anstatt immer auf die Zeugnisnote zu schielen, und dann enttäuscht zu sein, wenn sie doch nicht so gut wie erwartet ist. Im erwachsenen Leben, kann es die finanzielle oder zeitliche Unterstützung einer oder mehrerer Tier- und / oder Umweltschutzorganisation sein, anstatt gleich zu versuchen, die ganze Welt und alle Tiere auf ihr zu retten, wobei man nur scheitern und schlussendlich verzweifeln kann. Durch diese kleinen Etappen, mit überschaubaren Zielen, steht man dann nicht so schnell vor dem Nichts, wenn man das große Ziel nicht erreicht und jedes kleine Ziel, hat einem selbst und bestenfalls auch anderen, einen Nutzen gebracht.

Doch liebe Freundin, was sind überhaupt erfüllende und erstrebenswerte Lebensziele? Was sind Lebensziele, auf die man beim Erreichen stolz sein kann? Betrachte ich mir die Lebensziele, die sich viele Menschen, sein es Freunde, Bekannte oder mir an und für sich fremde Menschen setzen, so sehe ich, dass sie sich häufig nur egoistische, nicht selten materialistische, Ziele setzen. Sie setzen sich Lebensziele, die häufig nur ihnen alleine etwas bedeuten oder einen Nutzen für sie haben. Es sind nicht selten materielle Lebensziel, wie ein großes Haus, ein bestimmtes Auto oder die neusten technischen Errungenschaften, die als Statussymbol dienen und von einem überbordenden Lebensstil künden sollen. Doch für mich, sind diese Ziele nur Dinge, die einen Schein von einem erfüllten Leben verkünden, aber nie wirklich glücklich oder das Leben zu einem lebens- und erstrebenswerten werden lassen. Wie sollten auch egoistische Ziele, die nur das eigene Leben im Fokus haben, je wirklich erfüllend sein?

Aber gut. Welche Ziele sind denn dann überhaupt als Lebensziele erstrebenswert? Durch Nachdenken und die Beobachtung anderer Menschen kam ich für mich zu der Überzeugung, dass man im Leben danach streben sollte, die Welt als einen besseren Ort zu hinterlassen, als sie es war, als man sie betrat. Damit mein ich, dass man alles dafür tun sollte, dass das eigene Leben einen möglichst geringen negativen „Impact“ auf die Welt und die eigene Umwelt hat und dass man darüber hinaus sein Möglichstes dafür tun sollte, die Schäden, die die Menschen über Jahrhunderte, aus Fahrlässigkeit und Unwissenheit der Umwelt zufügten und zum Teil auch noch immer zufügen, zu stoppen. Am besten sollte man ein Lebenslang versuchen, alle negativen Einflüsse auf die Umwelt zu stoppen und bestmöglich bereits bestehende Zerstörung rückgängig zu machen.

Apropos Unwissenheit, von der ich in diesem Zusammenhang schreibe. Meiner Meinung nach sollte ein Lebensziel jedes Menschen, das Streben nach Wissen, Erkenntnis und das lebenslange Erweitern des eigenen Horizontes, im Sinne vom Lebenslangen lernen, sein. Der Grund für diese, meine Sicht ist, dass man erst wirklich die Welt, die Gesellschaft und man sich und sein Leben beurteilen kann, wenn man um die Zusammenhänge auf der Welt weiß. Ohne oder mit nur wenig Wissen, ist man, meiner Meinung nach, einfach nur dazu verdammt, ein unerfülltes oder oberflächliches, wenn auch pseudoglückliches, Leben zu führen.
Dabei geht im Zusammenhang mit dem Lebensziel, sich Wissen anzueignen, ein weiteres Lebensziel einher. Das Lebensziel ist, sich nicht nur selbst viel Wissen aneignen zu wollen, um daraus Macht und Prestige zu schlagen. Nein, stattdessen sollte man danach streben, das erlangte Wissen und die damit einhergehenden Erkenntnisse, zu versuchen, anderen Menschen zu vermitteln. Man sollte sein Wissen und seine Erkenntnisse mit anderen Menschen austauschen, indem man unvoreingenommen mit ihnen diskutiert und sie zu einem Tanz des für und wider, und des besseren und logischeren Argumentes einlädt. Durch diesen Tanz der Worte, werfen die Teilnehmenden hoffentlich einen Blick über ihren geistigen Tellerrand, den eigentlich jeder Mensch besitzt. So hinterfragen vielleicht die Menschen mal wieder ihren eigenen geistigen Horizont und passen ihn der meist bitteren Realität an. Setzten sich diese Menschen dann offen mit neuem Wissen und fremden Argumenten auseinander, gelingt es ihnen vielleicht auch, aber wirklich nur vielleicht, ihren geistigen Horizont, Stück für Stück, weiter in die Ferne zu schieben.

Ja, das sind eigentlich schon alle meine Lebensziele, abgesehen vielleicht noch von den grundlegenden, die da sind, genügend Essen zu haben, um gesund zu leben und dabei die Vernunft, nicht der Völlerei anheimzufallen. Mit diesem Lebensziel geht auch ein weiteres substantielles Lebensziel einher, nämlich möglichst gesund alt zu werden und eines Tages friedlich zu sterben, anstatt sich leidend durch die Zeit zu schleppen.

Aber gut, damit soll es genug von mir und meiner Sicht auf die Lebensziele sein. Ich freute mich, wenn du mir deine Sicht zu den Lebenszielen, die wir Menschen uns setzen oder setzen sollten, mitteiltest.

Dein guter Freund

Published inMidlife-Crisis

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