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Midlife-Crisis – Brief 5: Liebe ungleich Sex ungleich Penetration

Geschätzte Lesezeit: 9 Minuten

Liebe Freundin,
du schreibst, dass dir das Schuldzuweisungsspiel auch bereits aufgefallen ist. Überdies bringst du zum Ausdruck, dass es dir hauptsächlich in „Liebesbeziehungen“ auffiel, die mit der Zeit brüchig wurden. Ferner bringst du auch zum Ausdruck, dass du das besonders häufig beobachtetest, wenn einer oder beide der Partner*innen in eine Midlife-Crisis rutschten und aufgrund dessen ihre Leben neu zu beurteilen begannen.
Ich muss sagen, dass das mir auch schon aufgefallen ist. So habe ich zur Liebe und Sexualität bei vielen Freunden und Bekannten einige Beobachtungen gemacht, die mir symptomatisch für die Midlife-Crisis der Menschen erscheinen. Dabei sei schon einmal gesagt, dass das Verhalten der einzelnen Personen stark davon abhängig ist, was für ein „Liebesleben“ sie führten, bevor sie in die Krise schlitterten.
Ich beobachtete unter anderem häufig, dass Menschen, die langjährige Beziehungen führten, in der Mitte ihrer Leben sich zu fragen begannen, ob sie noch begehrenswert sind und ob sie es noch schafften eine andere Person von sich und ihren Vorzügen zu überzeugen. Sie fragten sich, ob sie es noch schafften, eine andere Person zu verführen, oder ob sie körperlich und charmetechnisch schon so weit abgebaut hätten, dass sie verdammt dazu wären, das Bett mit immer der gleichen Person zu teilen. Menschen wie diese, versuchen sich, wenn sie sich noch in einer Liebesbeziehung befinden, nicht selten in Seitensprüngen, oder wenn sie Single sind, als Herzensbrecher*in. Sie werden zu Menschen, die ihre Bestätigung aus den von ihnen erreichten Eroberungen ziehen.
Im Gegensatz zu diesen Menschen gibt es wiederum andere, die ihr Leben lang von fremdem Bett zu fremdem Bett sprangen, nur um dann in der Mitte ihrer Leben in eine tiefe Krise zu stürzen, wenn sie merken, dass sie nichts im Leben haben, was an und für sich von Dauer ist. Diese Menschen sehnen sich dann, genauso wie viele der Menschen, die bis weit in die Mitte ihrer Leben hinein noch nie eine Liebesbeziehung führten, nach einer festen Beziehung. Sie sehnen sich nach dem Gefühl einer tiefen Verbundenheit zu einem anderen Menschen, doch ob sie dieses Gefühl je finden, steht in den Sternen. Es ist fraglich, ob sie es noch schaffen, sich wirklich auf einen anderen Menschen einzulassen, nachdem sie häufig mehr als drei Dekaden auf dieser Welt verbrachten, in denen sie sich nie wirklich auf einen anderen Menschen einlassen mussten. Sie waren all die Jahre nur wirklich sich selbst verpflichtet und mussten daher seltenes, bei ihren Wünschen, Rücksicht auf andere Menschen nehmen oder auch einmal ihre Wünsche und Bedürfnisse hinten anstellen, wenn es dem oder der Geliebten gerade einmal nicht passt, ihnen vollkommen ergiebig zu sein.

Doch, nicht nur das. In der Mitte ihrer Leben wird einigen Menschen auch bewusst, dass es beim Sex nicht nur um die Penetration, also das Eindringen mit Körpergliedern oder Hilfsmitteln in den Körper der Sexualpartner*innen geht. Nein, stattdessen fällt vielen Menschen, die in eine Midlife-Crisis schlitterten, auf, dass das zwischenmenschliche und auch das offene Sprechen über Gedanken und Gefühle in einer Beziehung wichtig ist.
So kannte ich unter anderen Paare, die wenig miteinander sprachen und immer, wenn sie keine Worte mehr für einander fanden oder es Probleme gab, zusammen ins Bett stiegen. Sie vergnügten sich einfach immer nur sexuell, denn das klappte, im Gegensatz zu einer offenen und ehrlichen Kommunikation, in der sie sich gegenseitig ihre Gedanken und Gefühle mitteilten und einander zuhörten. Doch auch diese Paare wurden älter und begannen sich häufig nach mehr, als nur der reinen sexuellen Befriedigung, zu sehnen. Sie sehnten sich nach mehr, vor allem da die körperlichen Unzuverlässigkeiten mit den Jahren immer mehr sichtbar wurden und zunahmen. Sie begannen sich zu fragen, was sie eigentlich noch verband und da sie, abgesehen vom Sex, nichts wussten, trennten sie sich nicht selten, in der Mitte ihrer Leben.
Ach, die Liebe, als das Gefühl einer tiefen Verbundenheit mit einem anderen Mensch und die Erkenntnis, dass Sex auch einfach die körperliche Erkundung und Nähe zu einem anderen Menschen sein kann, ohne dass es gleich auf die Penetration hinausläuft.

Aber, wenn wir schon beim Thema „Liebe“ sind, so beobachte ich auch schon häufig, dass in unserer Gesellschaft, das Geld und die Staatsbürgerschaft, besonders bei älteren Männern, scheinbar sexy machen. Ältere Männer, die sich ihre Bestätigung durch die „Liebe“ einer jungen Frau suchen. Durch die „Liebe“, die doch nur das Versprechen eines besseren Lebens, entweder durch Geld oder durch die Staatsbürgerschaft, ist. Wie du sicher weißt, ist Deutschland ein relativ freies Land, in dem man trotz häufig anderslautender Meinungsbeiträge, gut leben kann. Ferner bedeutet die deutsche Staatsbürgerschaft auch, dass man relativ leicht viele Länder der Welt zu bereisen vermag. Was machen also einige Frauen, die in sozial prekären Lagen leben oder sozial aufsteigen möchten, wenn sie einen „wohlhabenden deutschen Mann“ sehen, der Interesse an einer „Beziehung“ zeigt? Sie gehen die Beziehung ein, wobei sie zum Teil darauf spekulieren, dass sie nur einige Jahre überdauert, bis entweder der Mann tot oder, wenn sie sie denn noch nicht selbst besitzen, sie die deutsche Staatsbürgerschaft bekommen, und dann keinen Nutzen mehr von der Beziehung haben. Doch, da eine Abkehr vom Partner, zumindest für eine gewisse Zeit, potentiell bedeutet, wieder in eine andere soziale Schicht abzustürzen, versuchen sie ihn, auch wenn es manchmal fast unerträglich ist, zu gefallen und das selbst dann, wenn sie dafür das „dumme Püppchen“ spielen müssen. Das „dumme Püppchen“, das wenig weiß und die Welt vom erfahrenen Mann erklärt bekommen muss. Von einem erfahrenen Mann, denn welcher Mann begegnet einer Frau, die finanziell und statustechnisch von ihm abhängig ist, schon gern auf Augenhöhe und erkennt ihre volle Intelligenz an oder duldet sogar ihre Widerworte? Ach, wie häufig sah ich in solchen Situation die Frauen mit den Augen rollen, wenn sich der Mann mal wieder als Weltenversteher und Erklärer aufspielte, obwohl er selbst häufig nicht der Gebildetste war und die Frau das Erklärte meistens ohnehin schon kannte.
Doch, nicht nur einige Frauen machen sich zu Opfern der Männer, nein, auch einige Frauen suchen sich Männer als Opfer. So kannte ich unter anderem eine Bekannte, die in eine „One-Third Life Crisis“ stützte. Die Frau, von der ich schreibe, war in einer langjährigen Beziehung und begann mit den Jahren mehr und mehr zu fordern, dass ihr Freund ihr alle Wünsche erfüllte. Sie führte sich auf, wie eine Prinzessin im Schloss und begegnete ihren Freund, als ihren persönlichen Leibeigenen, der ihr alle Wünsche zu erfüllen hatte. Diese Frau lebte einfach in den Tag hinein und lies ihren Freund für den gemeinsamen Unterhalt arbeiten. Anfänglich ertrug er es noch geduldig, denn sie absolvierte noch eine Ausbildung. Doch als ihre Ausbildung zu Ende gegangen war, änderte sich ihr Verhalten nicht. Stattdessen war sie unzufrieden mit den Arbeitsstellenangeboten, die es für sie gab, und wollte aufgrund dessen keiner der ihr angebotenen bezahlten Tätigkeiten nachgehen. Sie blieb stattdessen weiterhin zu Hause und lebte in den Tag hinein, wobei sie mehr und mehr Luxusgüter von ihrem Freund forderte, bis es ihm schließlich zu viel wurde. Von ihren Forderungen ermüdet meinte er dann, dass sie endlich auch einmal einen fairen Anteil zu ihren Ausgaben beisteuern sollte. Doch das wollte sie nicht hören, denn dafür hatte sie sich ja keinen Freund und „Ernährer“ gesucht. Durch die Forderungen der Frau und das nicht mehr „Sklave sein wollen“ des Freundes, kam es schließlich zu unerträglichen Spannungen in der Beziehung, wodurch sie schließlich gänzlich zerbrach.
Doch selbst am Ende der Beziehung wachte die „Prinzessin“ nicht auf. Nein, stattdessen gab sie alleinig ihren Freund die Schuld am Scheitern der Beziehung. Sie gab ihm die Schuld an allem, was in ihrem Leben bisher nicht geklappt und was sie nicht erreicht hatte, da er sie immer nur ausgebremst und von einer nachhaltigen Entwicklung abgehalten hätte. Ferner brachte sie auch noch zum Ausdruck, dass es um die Beziehung ohnehin nicht schade sei, da er sowieso nie gut im Bett gewesen wäre, was sie mir freimütig erzählte, obwohl ich weder danach fragte, noch es mich überhaupt interessierte. Ich interessierte mich nicht wirklich für ihr Leben und das, was sie dachte, denn immer, wenn ich sie, in dieser Lebenslage, sah, musste ich an das „Schuldspiel“ denken. Das „Schuldspiel“, das wir Menschen doch nur allzu gern spielen. Doch, zurück zu dieser ehemaligen Bekannten. Schon bevor ich sie das letzte Mal sah, fragte ich mich, ob sie es noch schaffe ihren bisherigen Aussagen etwas obendrauf zu setzen und ich muss sagen, dass sie mich nicht enttäuschte. Ich wurde nicht enttäuscht, denn sie meinte plötzlich, dass sie ja „Polyamor“ sei, und deswegen ein Mann alleine, für sie nie genug sein könne.
„Polyamor“, also die Liebe zu mehreren Menschen, für die man dann auch wirklich da sein und mit denen man eine ehrliche, innige Beziehung führen möchte. Doch schon kurz nachdem sie gemeint hatte, dass sie „Polyamor“ sei, zeigte sie mir mit einer Aussage, dass sie eigentlich gar nicht wusste, was „Polyamorie“ ist. Sie zeigte mir, dass sie eigentlich nur einen Mann suchte, der sie finanziell aushielt und eins, zwei Männer, die es ihr sexuell besorgten. Der Grund für diese, meine Einschätzung, ist, dass sie meinte, dass sie auch damit zufrieden wäre, einen Mann zu haben, der zwar nicht gut im Bett ist, dafür aber ein potentiell guter Vater, Hausmann und finanzieller Umsorgen und dass sie ferner halt noch mindestens einen Mann, für ihre sexuellen Vergnügungen, bräuchte.
Ferner brachte sie auch zum Ausdruck, dass der Vater ihrer Kinder ja ihr Ex-Freund hätte sein können, wenn er sich nicht so gehabt und ihr weiterhin alle Wünsche erfüllt und sich mit ihren sexuellen Ausschweifungen abgefunden hätte.
Schlussendlich warf sie ihrem Ex-Freund Engstirnigkeit vor und von mir darauf angesprochen, warum sie immer nur von ihrem Ex-Freund Verständnis und Anpassungswillen gefordert hat, anstatt sich auch einmal selbst zurückzunehmen und konstruktiv etwas zu ihrer Beziehung beizutragen, antworte sie nur, dass das halt nicht ihrer Lebensvorstellung entspräche.
Als ich das hörte, dachte ich, dass sie ihre Vorstellungen von Liebe und Beziehung nur anderen aufzwingen wollte, um einen persönlichen Nutzen daraus zu schlagen. Eigentlich ging es ihr nur um sich selbst und ihre potentiellen Partner, sowie deren Gedanken und Gefühle waren ihr schlichtweg egal, denn sonst hätte sie sich eingestehen müssen, dass man Liebe und das, was sie für einen ist, anderen nicht aufzwingen kann. Man kann Liebe und die Vorstellung, die man von ihr hat, wenn man überhaupt je die Chance haben möchte, eine wirklich glückliche Beziehung zu führen, dem anderen Menschen nicht aufzwingen, da wirkliche Liebe nur auf Gegenseitigkeit beruhen kann.
Ferner schockierten mich auch die Aussagen dieser Bekannten, da sie mit ihnen, wenig versteckt, zum Ausdruck brachte, dass ihr die Welt zu Füßen liegen sollte. Wie konnte man nur glauben, dass die ganze Welt einem zu Diensten sein müsste und das eigene Wohl und die eigenen Wünsche über das Wohl und die Wünsche von anderen geht? Um es kurz zu machen. Nach dieser Unterhaltung, als sie mir ihre Weltsicht so darlegte, brach der Kontakt ab, da ich ihr meine Meinung sagte und sie mit ihr nicht umgehen konnte. Sie fühlte sich durch meine Widerworte angegriffen und so gab ein Wort das andere, bis wir schließlich keine Zukunft mehr in einem gegenseitigen Umgang sahen.

Aber gut, was die Liebe betrifft, so muss wohl jeder die Form von Liebe suchen, die er sich wünscht. Jeder Mensch muss sich fragen, was er von einer Liebesbeziehung erwartet und wie er diese Erwartungen erreichen und schließlich glücklich werden kann. Wie kann man die ehrliche Liebe, die meiner Meinung nach immer nur auf Augenhöhe stattfindet und die man niemanden aufzwingen kann, finden? Die Liebe, in der man sich gegenseitig uneingeschränkt versteht und das auch abseits der rein körperlichen Gelüste?

Was meinst du, meine liebe, alte Freundin? Was ist die Liebe, nach der wir Menschen streben sollten und was ist die Liebe, die du für dich selbst suchst?

Herzlichst, dein guter Freund.

Published inMidlife-Crisis

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