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Unter AFD-Wählern

Geschätzte Lesezeit: 6 Minuten

Ich befinde mich auf einer Dienstreise im Ruhrgebiet. Es ist der Nachmittag des zweiten Tages und wir befinden uns bei einem Unterlieferanten, eines Maschinenlieferanten. Wir haben den geschäftlichen Teil abgeschlossen und sprechen, wie es in solchen Fällen üblich ist, noch über dieses und jenes. Während dieses Gespräches kommt das Thema „Ukraine Krieg“ auf. Der „Ukraine-Krieg“, der bereits viele Menschenleben kostete, wobei jeden Tag noch mehr hinzukommen. Doch anstatt den Krieg zu verurteilen, bringen fünf der sieben Anwesenden zum Ausdruck, dass er uns nichts anginge und der Russe zum Teil recht habe. Die fünf Anwesenden, die wie ich, ihre Wurzeln in den neuen Bundesländern haben, begründen ihre Meinung damit, dass die NATO sich halt so weit ausgebreitet und die Russen bedroht habe, dass sie die Zähne zeigen müssten. Ferner bringen sie zum Ausdruck, dass Putin nur die Fehler rückgängig mache, die seine Vorgänger begingen, in dem sie die Sowjetunion zerfallen und die Teilstaaten in ihre Unabhängigkeit entließen.
Der letzte Anwesende, außer mir, erwidert darauf, dass dem nicht so sei und man sich fragen solle, warum die ehemaligen Ostblockstaaten denn in die NATO wollten. Er sagt, dass die Sowjetunion über Jahrzehnte ihre Interessen durch Repressalien aufrechterhalten habe und Russland diese Philosophie weiter verfolge. Die Sowjetunion habe viele Proteste und Freiheitsbewegungen in ihren Nachbarländern gewaltsam niedergeschlagen, sei es der Aufstand vom 17. Juni 1953 in der DDR oder der Prager Frühling im Jahr 1968, nur um einige wenige zu nennen. Diese Politik der Gewalt setzte Russland auch nach dem Zerfall der Sowjetunion fort, wie man an den zwei Tschetschenienkriegen, den Überfall auf Georgien 2008 (Kaukasuskrieg), der Annexion der Krim 2014 und den acht Jahre später beginnenden Ukrainekrieg sähe.
Doch die Russlandversteher am Tisch wollen diese Argumente nicht gellten lassen und meinen, dass uns das nichts anginge und wir uns um uns und unsere Interessen kümmern sollten. Sie bringen zum Ausdruck, dass wir Deutschen genug mit uns zu tun hätten und uns aus „ausländischen Angelegenheiten“ heraushalten sollten.
Schließlich brechen wir die Unterhaltung über das Thema ab und diskutieren über andere Themen und die Industriepolitik, wobei sich die Gemüter bald wieder erhitzen und die Russlandversteher sich auf die Grünen und die Deutsche Umweltpolitik einschießen. Sie bringen zum Ausdruck, dass es ja nicht sein könne, dass wir Deutschen uns strenge Umweltziele gäben und unsere Wirtschaft durch immer mehr Auflagen und hohe Energiepreise abwürgten, während andere Länder einfach weiter die Umwelt verpesteten. Ferner meinen sie, dass alle etablierten Parteien, nicht mehr die Interessen ihrer Wähler verträten und man deswegen die AFD wähle. Sie sagen, dass die AFD noch die einzige Partei wäre, die sich getraue, ihre Meinung und die ihrer Wähler zu sagen. Die AFD wird als Partei gelobt, die sich als einzige noch dafür einsetzte, den Wohlstand in Deutschland zu halten.
Meine Erwiderung, dass die Umweltziele im Pariser Klimaabkommen festgeschrieben sein und ein Transformationsprozess notwendig ist, um einen bewohnbaren Planeten zu erhalten, wickeln sie ab. Stattdessen meinen sie, dass Deutschlands Auswirkungen auf das Weltklima viel zu gering sein, um einen Unterschied zu machen und Wohlstand wichtiger, als Umweltschutz, sei. Auf meine Erwiderung hin, dass bei uns nicht Wohlstand, sondern Überfluss herrsche und man sich auf die Genügsamkeit als Tugend, für eine nachhaltige Welt, besinnen sollte, bezeichneten sie mich als Spinner. Auf meine wiederholte Aussage, dass wir Deutschen einfach auf einem zu großen umwelt- und klimatechnischen Fußabdruck lebten und immer noch leben, bezeichnen sie mich als einen verzogenen Idealisten, der im Wohlstand aufgewachsen sei und aufgrund dessen gar nicht wisse, wovon er eigentlich spräche. Sie bringen zum Ausdruck, dass sie den Wohlstand hart erarbeitet hätten und er ihnen deswegen zustünde. Worauf ich nur erwidere, dass der Wohlstand größtenteils auf Kosten und zulasten anderer Menschen und Länder sowie der Umwelt entstand und man eben nicht immer so weiter machen könne, wenn man eine gerechte und lebenswerte Welt erhalten wolle. Doch sie widersprechen mir erneut und bringen nur immer und immer wieder die Sorgen um ihren Wohlstand zum Ausdruck.
Da mich dieses Gespräch mehr und mehr ermüdet, beende ich es schließlich, indem ich zum Ausdruck bringe, dass ich zurück ins Hotel und am späten Nachmittag noch etwas die Stadt besichtigen möchte. So verabschiedeten wir uns, in dem Wissen, dass wir verschiedene politische und welttechnische Anschauungen haben.

Zwei Tage vergehen.

Ich bin wieder auf der Arbeit und befinde mich im Betriebsratsbüro. Da ich etwas zu früh dran bin, unterhalte ich mich noch etwas mit dem Betriebsratsvorsitzenden. Er fragt mich, wie denn meine Dienstreise gewesen sei, worauf ich erwidere, dass ich mich zeitweise wie auf einem AFD-Stammtisch fühlte und die Unterhaltung schildere, die ich erlebte. An dieser Stelle steigen zwei ältere, pfälzische Kollegen in die Unterhaltung ein und meinen, dass die Leute doch recht hätten und wir uns um unsere eigenen Angelegenheiten kümmern sollten. Sie meinen, dass es ja nicht sein könne, dass wir Waffen und Geld in die Ukraine schickten, während es uns selbst immer schlechter und schlechter ginge. Sie bringen zum Ausdruck, dass wir uns mit Russland gut stellen sollten, denn es habe schließlich alle Verträge eingehalten und Deutschland mit billigem Erdgas versorgt. Mit Erdgas, dass die deutsche Wirtschaft benötigte und eigentlich immer noch braucht, um gut zu funktionieren. Auf meine Erwiderung, dass man damit auch Russlands Kriege finanziert habe und immer noch finanziert, sagen sie, dass wir keine Angst haben müssen, da sich Russland nie getraute, ein NATO-Land zu überfallen.
Ich denke, wie naiv kann man nur sein, wenn man sich, wie meine zwei alten Pfälzer Kollegen, blind auf die Abschreckungskraft der NATO verlässt und ich frage mich, ob sie das immer noch täten, wenn die USA, bei einer Wiederwahl von Donald Trump, ihren Ausstieg aus dem Beistandsversprechen vollzögen. Doch nicht nur das, was ist mit den ganzen anderen Ländern, die nicht militärisch stark sind oder einem Verteidigungsbündnis angehören? So frage ich meine Kollegen, was denn mit ebendiesen Ländern und ihren im Völkerrecht verbrieften Rechten sei. Darauf meinen sie nur, dass diese Länder uns nichts angingen und wir uns um unsere eigenen Dinge kümmern sollen. Als ich dem widerspreche und meine, dass man so nicht denken könne und auf keinen Fall Kriegstreiber und Diktatoren unterstützen solle, kommt als Antwort die Frage, woher ich denn wisse, dass die Demokratie, die beste Regierungsform sei? Ferner kritisieren sie Alexei Nawalny, der doch dumm gewesen sei, nach seiner Vergiftung und Genesung nach Russland zurückzukehren, nur um schließlich im Gefängnis zu landen und zu sterben. Meine Erwiderung, dass er sich eben für eine bessere Gesellschaft wie Mahatma Gandhi und Nelson Mandela einsetzen wollte, tun sie als illusorische Träume ab, da er von anderen Ländern keine Rückendeckung gehabt habe.
Ehrlich schockieren tun sie mich schließlich mit der Aussage, dass Diktatoren und repressive Staaten teilweise besser als eine Demokratie sein. Besser als eine Demokratie, in der über den besten Weg diskutiert und das Recht in Gesetze gegossen ist, über die sich keiner hinwegsetzen können sollte. Ferner bringen sie zum Ausdruck, dass manche Menschen einfach eine Diktatur verdient hätten.
An dieser Stelle bricht das Gespräch schließlich ab, da die Betriebsratssitzung beginnt.

Während der Sitzung denke ich immer wieder über die Einstellungen meiner Kollegen nach und ich empfinde eine Enttäuschung in meinem Herzen. Doch nicht nur dass, darüber hinaus erinnere ich mich an ein AFD-Plakat, das ich vor etwas mehr als einem Jahr in Karlsruhe sah. Mit dem Plakat lud die AFD-Karlsruhe zu einer Informationsveranstaltung, zum Thema Energiekrise, zu der es aufgrund des russischen Überfalls auf die Ukraine gekommen war, ein. In der oberen rechten Ecke des Plakats stand „Unser Land zuerst!“ und ich erkannte den Egoismus, denn dieser Satz auf dem Plakat aussprach, in den Argumenten meiner Gesprächspartner, der letzten Tage, wieder. Doch sollte man wirklich nur an das eigene Land und sich selbst denken? Sollte man nur sich selbst als Zentrum der Welt sehen, koste es andere und die Umwelt, was es wolle?
Nein, das sollte man meiner Meinung nach nie. Man sollte so leben, dass man weltweit so wenig wie möglich Schaden und Leid verursacht. Doch scheinbar bin ich einer von wenigen, der diese Einstellung vertritt, und so gilt:

Unser Land zuerst in die Lethargie!

Unser Land zuerst in die Ignoranz!

Unser Land zuerst in den Untergang!

Published inErzählungen

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