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Von Freunden und Geistern

Geschätzte Lesezeit: 8 Minuten

Einst lernte ich eine Frau kennen und sie als Freund und guten Gesprächspartner schätzen. Mit der Zeit sah ich sie sogar als eine sehr gute Freundin, mit der ich mich gerne unterhielt und meine Zeit verbrachte. Ich mochte sie und ihre Träume, die sie menschlich erscheinen ließ. Doch die meiste Zeit, die ich in ihrer Gegenwart verbrachte, hatte ich auch den Eindruck, dass sie etwas beschäftigte bzw. das sie auf der Suche nach einem Lebensweg war, auf dem sie glücklich durch die Zeit schreiten könnte.

Da ich nicht wusste, wie ich mich ihr gegenüber verhalten sollte, da ich sie nicht bei der Suche nach ihrem Lebensweg beeinflussen wollte, sondern wollte, dass sie den für sich richtigen Lebensweg selbst findet und begeht, versuchte ich ihr einfach ein guter Freund zu sein, der ihr ein Gesprächspartner und wenn nötig, eine Stütze ist. Aufgrund dessen brachte ich auch immer wieder zum Ausdruck, dass ich hoffte, dass sie ihr Glück findet. Ihr Glück, egal wo und mit welchen Freunden. Ich vertrat die Überzeugung im vollen Bewusstsein, dass sie vielleicht mal zu der Überzeugung gelangte, dass ich in ihrem Leben, als ein Bekannter, Freund, etc. keinen Platz mehr hätte, da ich sie in ihrem Glück behinderte. Sollte es wirklich dazu kommen, so würde es mich bestimmt schmerzen, doch wenn sie es zu mir sagte, könnte ich es, glaubte ich, akzeptieren, denn schon nach kurzer Zeit war sie mir als Mensch, so wichtig, dass ich sie einfach glücklich sehen wollte. Ich dachte, dass so ein lieber und netter Mensch, wie sie war, wirklich ein glückliches Leben verdiente und ich hoffte vom Herzen, dass es ihr gelänge eines zu führen.

Die Monate vergingen und wir bauten unsere Freundschaft weiter auf und aus, zumindest dachte ich das. Scheinbar hatte ich mich in diesem Punkt aber geirrt, denn auf einmal wechselte meine Bekannte kein Wort mehr mit mir und ging mir aus dem Weg.

Ich fing an mich zu fragen, ob ich mich vielleicht falsch gegenüber ihr verhalten hatte oder mit etwas, was ich tat, ihr Unrecht getan hatte. Doch wie sehr ich auch mein Gehirn marterte, mir fiel Nichts ein, was ich falsch gemacht haben könnte. Was also tun? Ich beschloss sie nach dem Grund für ihre Verhaltensänderung zu fragen, um, falls es zu einem Missverständnisse kam, es aus der Welt zu räumen. Das einzige, was meine Bekannte auf meine Nachfrage hin antwortete, war, dass alles in Ordnung sei und sie nur etwas Abstand, von allem, bräuchte. Also gut, ich konnte ja verstehen, dass man ab und an Zeit für sich braucht, warum ihr also nicht die Zeit und die Ruhe geben, die sie haben wollte?

So ließ ich sie erst einmal in Ruhe, wobei mich die Frage plagte, ob ich ihr nicht doch irgendwie vor den Kopf gestoßen oder ihr auf sonstige Art und Weise Unrecht getan hatte. Doch egal wie sehr ich auch darüber nachdachte, mir fiel nichts ein. Schließlich suchte ich nach einigen Wochen noch einmal den Kontakt zu ihr, indem ich ihr eine Nachricht schrieb. Doch auf diese Nachricht antwortete sie nicht. Auch auf die Nachricht, die ich ihr nach einem weiteren Monat schrieb, antwortete sie nicht. Darüber hinaus stellte ich fest, dass sie mir auch, wenn wir uns zufällig auf Veranstaltungen trafen, aus dem Weg ging. Immer wenn ich sie sah, tat es mir seelisch weh und mir ging es schlecht. Mich plagte mein Gewissen, dass mir sagte, dass ich meiner Bekannten etwas getan haben müsste, was sie zutiefst verletzte, denn sonst würde sie sich wohl nicht so verhalten, oder mir zumindest den Grund für ihre Verhaltensänderung sagen..

Mir ging es schlechter und schlechter, und schließlich hielt ich es nicht mehr aus, Dinge zu sehen, die mich an unsere einstige Freundschaft erinnerten. Ich hielt den Anblick der materiellen und immateriellen Dinge nicht mehr aus, die mich an sie erinnerten, da sie mir, sobald mein Blick auf sie fielen, einen Stich ins Herz versetzten. So löschte ich alle Daten und Kontaktmöglichkeiten, die mich an sie erinnern konnten, und auch einige Gegenstände, die mich an sie erinnerten, verschenkte oder entsorgte ich. Darüber hinaus versuchte ich ihr bei den Kontaktpunkte, die wir durch unseren gemeinsamen Freundeskreis und unsere ähnlichen Interessen hatten, aus dem Weg zu gehen. Tatsächlich begann ich mich über die Monate wieder etwas besser zu fühlen und meine seelischen Wunden begannen zu heilen.

Zu dieser Zeit sprach ich auch mit einigen Bekannten über das Phänomen, das Freunde auf einmal den Kontakt vollständig, ohne Angabe von Gründen, abbrachen; aufhörten mit einem zu reden und einfach verschwanden. So erfuhr ich, dass das Phänomen sogar einen Namen, nämlich „Ghosting“, hat. Ich erfuhr, dass einige meiner Bekannten selbst schon Opfer vom Ghosting wurden, und dass einige meiner Bekannten auch schon Ghosting angewendet hatten. Da mir das Konzept vom Ghosting asozial und falsch vorkam, fragte ich einige Bekannte, die zugegeben hatten, die Methoden auch schon angewandt zu haben, warum sie das getan hätten und ob sie das Verhalten nicht falsch fänden. So erfuhr ich einige Dinge über unsere Gesellschaft und ihre Entwicklung zu einer Gesellschaft, in der die Menschen nicht mehr über Probleme redeten, sondern stattdessen einfach den Problemen aus dem Weg gingen. Ich lernte, dass immer mehr Menschen in unserer Gesellschaft, einfach bequem leben wollten, und das in bestimmten Kreisen keine Diskussions- und Streitkultur mehr vorhanden war. Während der Gespräche stellte ich fest, dass ich noch weniger als bisher, ein Teil dieser Gesellschaft sein wollte.

Aber vielleicht sollte ich die Aussagen, die ich auf meine Frage, warum einige Menschen „Ghosting“ betrieben, erhalten habe, etwas ausführlicher darstellen. Die Aussagen waren folgende:

Mein soziales Umfeld hatte sich verändert und er passte einfach nicht mehr in es. Ich mochte ihn zwar noch, aber der Rest meines sozialen Umfeld war mir wichtiger. Was also tun? Ich konnte ja nicht zu ihm hin gehen, und sagen: ‚Danke für die schöne Zeit. Aber du passt nicht mehr zu meinem Leben.‘ Und auf eine eventuelle Nachfrage, nach dem Grund dafür, antworten: ‚Da mein übriges soziales Umfeld nicht mit dir klar kommt.‘ Wie sollte er das denn verstehen? Dann doch lieber wortlos gehen, auf dass er mich vergesse und ich mich nicht für etwas rechtfertigen muss, auf das ich keinen Einfluss habe.“

Von dieser Aussage einer Bekannten war ich schockiert, denn sie brachte mit ihr zum Ausdruck, dass sie den Weg des „Ghosting“ einzig und allein deswegen wählte, da er für sie der bequemere Weg ist. Es war für sie der bequemere Weg, da sie durch ihn ihren ehemaligen Bekannten nicht etwas erklären musste, was sie vielleicht selbst falsch fand, aber mit dem sie sich abfand, da es das kleinere Übel für sie zu sein schien. Sie machte sich keine Gedanken darüber, dass das einfache verschwinden aus dem Leben ihres Bekanntes für ihn unangenehmer und quälender sein könnte, als ein Grund, der vielleicht nicht bei ihm lag, mit dem er sich aber vielleicht abfinden bzw. arrangieren könnte. Ihr fehlte die Empathie, sich in ihren ehemaligen Bekannten hineinzuversetzen und zumindest zu versuchen, ihm ihre Beweggründe zu erklären.

Eine weitere Begründung die ich für solch ein Verhalten hörte war:

Es hatten sich einige Punkte angesammelt, die bedrohten unsere Freundschaft und uns zu zerstören. Es waren Dinge, die wie das Damoklesschwert über unser Beziehung schwebten. Und da ich nicht wusste, ob er meine Ängste und Befürchtungen in dieser Hinsicht teilte, und sie überhaupt war nahm, machte ich mich rar, bzw. verschwand wortlos, denn er hätte bestimmt nur über meine Ängste gelacht und gemeint, dass ich mich mal nicht so anstellen sollte. Er hätte bestimmt gemeint, dass alles gut gehen werde und ich mich nicht so anstellen sollte. Doch ich wollte mich weder seinem Spott aussetzen, noch mit ihm in den Untergang gehen und so verschwand ich halt.“

An dieser Aussage störte mich, dass Annahmen getroffen wurden und aufgrund dessen eine „feige“ Entscheidung getroffen wurde. Sie hätte zumindest mit ihn reden können, und wenn er wirklich so reagierte, wie sie befürchtete, ihren Abschied nehmen können. Doch so beruhte ihr „Ghosting“ nur auf Annahmen und es steht zu befürchten, dass er sie und ihre Ängste, wenn sie ihm wirklich wichtig war, ernst genommen hätte, und versuchte, mit ihr eine Lösung zu finden. Doch das dafür ist es jetzt zu spät. Vielleicht hatte ihr Ghosting aber auch den Grund, dass sie ihm weh tun wollte, so wie er ihr vermeintlich weh tat, indem er sie nicht ernst nahm, denn sonst würde sie nicht zu dieser Annahme können. Doch selbst dann wäre das Ghosting eine schlechte Wahl, da es nichts ändert, sondern nur Leid erzeugt.

Doch zurück zu meiner Bekannten und mir. Die Monate verstrichen und plötzlich verbesserte sich das Verhältnis zwischen mir und meiner ehemaligen Bekannten wieder. Sie fing wieder an mit mir zu sprechen und auch ansonsten sich so zu benehmen, als hätte sie wieder Interesse an einer Bekanntschaft oder Freundschaft. Doch sie erweckte nicht immer den Eindruck. Von Zeit zu Zeit blitzte bei bestimmten Anlässen ihre kalte Schulter auf. Wenn das passierte begann mich wieder mein Gewissen zu martern und die seelischen Wunden, die bereits zu heilen begonnen hatten, wieder aufzureißen.

Da ich nicht wollte, dass über kurz oder lang alles wieder kaputt geht, und sie auf einmal wieder zu einem Geist wird, der mich plagt, fragte ich sie, ob wir uns einmal, nur zu zweit, unterhalten könnten. Doch anstatt einfach ja zu sagen, wie man es von einer guten Bekannten oder einer guten Freundin erwarten würde, fragte sie „Worüber denn?“, als gebe es nichts zwischen uns zu besprechen und alles wäre alles so, wie immer. Darauf Antwortet ich, dass ich mich mit ihr darüber unterhalten wollte, was sie von mir erwartete, also ob sie in mir einfach einen Kumpel, einen Freund, oder was weiß ich sah, da ich aufgrund dessen nicht wusste, wie ich mich ihr gegenüber verhalten sollte. Die Punkte wollte ich klären, da ich nicht wollte, dass auf einmal wieder alles zu Bruch ginge, und ich mich wieder mehrere Monate mies fühlte und mich selbst fragte, was ich falsch gemacht habe.

Als sie mir auf diese Aussage hin wieder nicht antwortete, rissen die Wunden, die bereits doch erst angefangen hatten zu verheilen, erneut auf. Die Wunden bluteten und schmerzten noch mehr, als sie es beim ersten Mal getan hatten, als sie jede Kommunikation mit mir einstellte. Darüber hinaus zerbrach etwas in mir, und ich begann einen abgrundtiefen Hass auf die Gesellschaft, in der wir lebten, und in der so ein Verhalten zur Normalität geworden ist, zu verspüren. Ich hatte die Gesellschaft satt und so beschloss ich eine Auszeit zunehmen. So packte ich mir meinen Wanderrucksack und machte mich auf, um durch unerschlossene Wälder zu wandern. Das tat ich, da mir die Geister des Waldes, im Gegensatz zu den Geistern, die unserer Gesellschaft inne wohnten, immer freundlich gestimmt waren. Die Geister des Waldes schirmten mich weitestgehend von dem Irrsinn unserer Gesellschaft ab, und sie umsorgten meine Seele, auf das sie heilen könnte. Die Geister füllten mit meine Seele mit neuem Leben, auch wenn sie es nicht schafften, den Hass, den ich auf unsere Gesellschaft und die Art, wie wir Menschen in ihr, aufgrund einer mangelnden Diskussions- und Streitkultur umgingen, zu lindern.

Published inErzählungen

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