Zum Inhalt springen

Von der „freien Liebe“ – ein Kommentar

Geschätzte Lesezeit: 8 Minuten

In diesem Text möchte ich mich mit der „freien Liebe“ auseinandersetzen. Mit der „freien Liebe“ meine ich aber nicht die „freie Liebe“, wie sie von und seit der 68er-Bewegung gefordert wurde bzw. wird, also nicht die „freie Liebe“ als Synonym dafür, dass man sich zwanglos mit allen möglichen Menschen sexuell vergnügen kann. Nein, ich meine die „freie Liebe“ in dem Sinn, dass man den oder die Lieben kann, die man möchte, also die Liebe, die nicht von anderen eingesperrt oder beschnitten wird.

Bei meiner Auseinandersetzung mit diesem Thema möchte ich mich dabei an den folgenden Fragen orientieren: „Was verstehe ich unter ‚freier Liebe‘ und warum finde ich, dass ‚freie Liebe‘ im Sinne der Forderung der 68er-Bewegung eigentlich nicht ‚frei Liebe‘ genannt werden sollte?“, „Warum halte ich die ‚freie Liebe‘ für ein schützenswertes und erstrebenswertes Gut?“ und „Warum glaube ich, dass unsere Gesellschaft Lichtjahre davon entfernt ist, der ‚freien Liebe‘ ein zuhause zu bieten? Ein zuhause, in dem sie gefördert, beschützt und gelebt wird?“

So beginne ich mit der ersten Leitfrage, nämlich der, was ich unter „freier Liebe“ verstehe. Unter der „freien Liebe“ verstehe ich, dass jeder jeden lieben kann, ohne dass die Liebe zu einer Person bzw. zwischen den betreffenden Personen durch soziale oder gesellschaftliche Zwänge eingeschränkt wird. Damit meine ich, dass keine Person und keine Gesellschaft das Recht hat, Menschen in eine bestimmte Form der Liebe oder besser gesagt, zu einer bestimmten Art von Beziehung zu zwingen. Die Liebe ist meiner Meinung nach erst wirklich frei, wenn man sie selbst in seinem Herzen spürt, aber, und das ist genau so wichtig, dass man seine Liebe keinem aufzwingt, denn dann benutzte man seine freie Liebe, um die Liebe eines anderen zu unterdrücken und nicht selten zu ersticken. Freiheit, vor allem die Freiheit der Liebe, ist nur möglich, wenn sie allen gewährt wird. So ist es zwar möglich, dass man sich verliebt, die Liebe aber nicht erwidert wird, da sich die Liebe des gewünschten Partners in eine andere Richtung entwickelte. An dieser Stelle erkennt man auch das Problem mit der freien Liebe, nämlich das die Liebe gefährdet und verletzlich ist, da man ihre Erwiderung nicht erzwingen kann und nicht erzwingen sollte. Doch ich bin der Meinung, dass man trotzdem auf die „freie Liebe“ vertrauen sollte, auch wenn man manchmal enttäuscht und verletzt wird, wenn sie nicht erwidert wird. Doch ein wichtiger Aspekt der „freien Liebe“ ist, dass man ihr immer wieder die Möglichkeit geben kann, sich zu regenerieren und sich, wenn mal alles passt, zu ihrer vollkommene Schönheit zu entfalten. Im Gegensatz dazu hat die Liebe, die durch Zwänge bestimmt ist, i. d. R. nie die Möglichkeit, ihre vollkommene Schönheit zu entfalten und ist deswegen nur ein Schatten ihrer selbst.

An dieser Stelle möchte ich darum auch darauf zu sprechen kommen, warum die „freie Liebe“, die reinweg auf die Freiheit zur körperlichen Vereinigung abzielt, z. T. der wirklichen „freien Liebe“ abträglich ist. Der Grund dafür ist, dass man, wenn man eine reinweg sexuelle Beziehung zu einem Partner führt, sich und seiner Liebe selbst Grenzen setzt, da es i. d. R. ja das Verständnis zwischen den Partnern gibt, dass es reinweg körperlich ist, und die Partnerschaft nicht durch ein Gefühl von Liebe bestimmt wird. Entwickelt einer der Partner dennoch ein Gefühl von Liebe nimmt die Beziehung meist einen der folgenden drei Verläufe:

  1. Der betroffene behält seine Gefühle für sich und legt sie selbst in Ketten, da sie nicht zu dem Konzept der Beziehung passen. Durch diese Ketten ist es der Liebe nicht möglich, ihre völlige Schönheit zu entfalten und sie stirbt Stück für Stück und mit ihr ein Teil der Person.

  2. Der verliebte Partner gesteht seine Gefühle dem Partner und der Partner fühlt sich betrogen, da das Gefühl von „Liebe“ nicht vorgesehen war, und es die getroffene Vereinbarungen bzgl. des zwanglosen sexuellen Miteinanders verkomplizierte und zunichtemachte. In dieser Situation macht der Partner dann eventuell einen gänzlichen Rückzieher und man selbst bleibt allein, mit seiner verletzten Liebe zurück.

  3. Der verliebte Partner gesteht seine Gefühle dem Partner und der Partner erwidert die Gefühle. In diesem Fall könnte sich dann die Liebe zwischen den Partnern frei entfalten und entwickeln. Doch dieser Fall ist leider der Fall von den dreien, der am seltensten eintritt.

Darüber hinaus erkennt man an meinen obigen Ausführungen, dass die „frei Liebe“, in der Form, wie sie die 68er auffassten und wie sie z. T. heute gelebt wird, eigentlich keine Liebe war bzw. ist. Stattdessen zielt die „frei Liebe“, wie sie von der 68er-Bewegung propagiert wurde, hauptsächlich darauf ab, die sexuellen, um nicht zu sagen, animalischen Triebe zu befriedigen. Bei dieser Liebe lebt man häufig nur im Moment, anstatt sich mit dem Konzept der Liebe und dem Konzept einer langen, glücklichen und liebevollen Partnerschaft zu beschäftigen, denn das würde ja Arbeit, Zeit und Vertrauen kosten.

Damit komme ich zu dem Punkt, warum ich die „freie Liebe“ für ein erstrebens- und schützenswertes Gut halte. Die freie Liebe halte ich für ein erstrebenswertes und schützenswertes Gut, da mir häufig Menschen begegnen, deren Liebe nicht frei ist bzw., deren Liebe sich nicht frei entfalten kann. Ich sehe die traurigen Augen und die gezwungenen Lächeln von Menschen, die ihre Suche nach Liebe aufgegeben haben. Ich sehe Menschen, die selbst ihrer Liebe die Flügel stutzten oder die die Hoffnung aufgaben, einmal von Herzen lieben zu können. Menschen, die unglückliche Beziehungen führen, damit sie nicht allein sind. Beziehungen, die gesellschaftlich akzeptiert sind, und die Zustimmung des sozialen Umfelds der betreffenden Person finden.

Selbst in unserer heutigen Zeit, in unserer sogenannten freien westlichen Welt, gehen Menschen „Liebesbeziehungen“ ein, die nur einseitig sind. Beziehungen, in denen einer der Partner sich bzw. seine Liebe aufgibt, um eventuell die Liebe des Partners zu befriedigen, wenn die Beziehung nicht gar eine Beziehung ist, in der gar keine Liebe wohnt, da sie eine reine Zweck-Beziehung ist.

An dieser Stelle möchte ich auch zum Ausdruck bringen, dass es meiner Meinung nach nichts Schlimmeres gibt, als eine „Liebesbeziehung“ in der die Liebe des einen, der Liebe und dem Glück des anderen keinen Platz gibt. So gibt es Menschen, die sagen, dass sie diese und jene Person lieben, sie aber nicht merken, dass der Partner / die Partnerin unglücklich ist, da ihr und ihrer Liebe kein Platz gegeben wird. Diese einseitige Liebe halte ich deswegen auch nicht für eine wirkliche, echte Liebe, da es eher die Liebe ist, mit der man ein materielles Gut liebt, anstatt ein denkendes und fühlendes Wesen. Denn wenn man jemanden wirklich liebt, sollte man sich das beste für die betreffende Person wünschen, unabhängig davon, ob er auch einen liebt. Das mag zwar schwer fallen und nicht selten auch mal weh tun, doch die Liebe, und vor allem die „freie Liebe“ lebt davon, dass sie echt und frei von jeglichen Zwängen ist. Sie ist also auch frei vom Zwang, dass sie von einer bestimmten Person erwidert wird, und man muss sich dann damit abfinden, dass mit der betreffenden Person eine Liebesbeziehung nicht möglich ist, und man vielleicht an einem anderen Ort, zu einer anderen Zeit, die Person findet, deren „freie Liebe“ mit der eigenen „freien Liebe“ kompatibel ist. An dieser Stelle ist vielleicht auch noch anzumerken, dass man, wenn man wirklich die „freie Liebe“ leben möchte, mit sich im Reinen sein muss. Man muss glücklich mit sich selbst und seinen Freunden leben können, denn der wirklichen „freien Liebe“ ein Platz in seinem Leben zu geben ist ein zeitaufwendiger Prozess, und manchmal kann es Jahr und Jahrzehnte dauern, denn passenden Partner zu finden.

Damit möchte ich jetzt zur dritten meiner Leitfragen kommen. Nämlich der, warum ich glaube, dass unsere Gesellschaft noch Lichtjahre von einer Gesellschaft entfernt ist, in der die Liebe wirklich frei sein kann. Der Grund für diese, meine pessimistische Sicht ist, dass in unserer Gesellschaft die verschiedenen Formen der Liebe, sei es die heterosexuelle oder die homosexuelle Liebe einen unterschiedlichen Stellenwert haben und die Liebe zwischen zwei Menschen häufig nur eine Chance hat, wenn das soziale Umfeld sie akzeptiert. Das soziale Umfeld, sein es Freunde oder Familie, hat dabei den größten Einfluss darauf, ob sich die Liebe einer Person und zwischen zwei Personen entfalten kann, da sie i. d. R. nicht jede Liebe akzeptieren, sondern ihre eigenen Maßstäbe und Erwartungen ansetzen. So beeinflussen diese Menschen bewusst und unbewusst die Liebe, u. a. durch Kommentare, die auf eventuell vorhandene finanzielle oder soziale Differenzen hinwiesen. In dieser Hinsicht gewann ich auch schon häufig den Eindruck, dass in unserer Gesellschaft nur zwei Lieben wirklich frei sind und gefördert werden. Diese Lieben sind die Selbstverliebtheit und die Konsumliebe. Die Selbstverliebtheit, die nicht selten schon krankhaft narzisstisch ist und die Konsumliebe, die befeuert wird, da weitläufig die Meinung vorherrscht, dass nur ein konsumierender Bürger, ein guter Bürger ist, da er die Wirtschaft voranbringt. Es bleibt zu sagen, dass es die freie Liebe in unserer Gesellschaft solange schwer hat, solange sie verschiedenen Formen vor Recht und Gesetz nicht gleich behandelt werden, und solange Menschen die beidseitige Liebe zwischen Personen nicht akzeptieren, da sie nicht ihren Wertevorstellungen entsprechen.

Ich gebe zu, es gibt Situationen, in denen bestimmte Beziehungen durch Recht und Gesetz eingeschränkt werden müssen, vor allem dann, wenn einer der Partner physischer oder psychischer Schaden droht. Doch solche Fälle sollten kaum auftreten, wenn man jeden das Recht auf „freie Liebe“ ohne Zwänge einräumt, denn dann muss eigentlich jede Liebe zwischen zwei Menschen beidseitig gewollt sein und gelebt werden.

Da sich mein Kommentar zur „freien Liebe“ zum Plädoyer für die „freie Liebe“ entwickelte, möchte ich an dieser Stelle noch eine Warnung anbringen. Ich bin wirklich für die freie Liebe, in dem Sinne, dass man Lieben kann und darf, wen man möchte, doch sollte man, wenn man dann frei liebt, es nicht an einem gewissen Protektionismus der Liebe mangeln lassen. Der Grund dafür ist, dass es leider auf unserer Welt viel zu viele Menschen gibt, die Menschen, die in sie verliebt sind, ausnutzen. Diese Menschen versuchen einen Profit aus der Liebe des anderen zu schlagen und verletzten oder gar töten die Liebe des betreffenden Menschen dadurch über kurz oder lang. Darum liebt, wenn ihr lieben möchtet, aber seit nicht blind bzgl. der Gefahren, die die Welt für die Liebe bereit hält.

Darüber hinaus denkt auch daran, dass ihr, wenn ihr jemanden wirklich liebt, auch sein Glück im Auge behaltet, ohne euch ausnutzen zu lassen. Liebe heißt auch, den anderen gehen zu lassen, wenn man es nicht schafft, ihn glücklich zu machen oder wenn man sich selbst aufgeben müsste, um ihn glücklich zu machen. Manchmal kann dazu auch ein Gespräch beitragen. Ein klärendes Gespräch, wie sie viel zu häufig oder viel zu spät in unserer heutigen Zeit geführt werden, da sie unangenehm sind. Doch Gespräche sind nun einmal ein Hauptmittel zum Informationsaustausch und aufgrund dessen sollten sie in einer Beziehung, vor allem Liebesbeziehung, nie zu kurz kommen.

Published inKolumne

Diese Webseite verwendet nur technische Cookies, die zur Funktion der Webseite notwendig sind. Durch die weitere Nutzung der Seite stimmst du ihrer Verwendung zu. Weitere Informationen

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn du diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwendest oder auf "Akzeptieren" klickst, erklärst du sich damit einverstanden.

Schließen