Immer wieder höre ich von anderen Menschen, sein es Freunde oder Bekannte, Sätze wie die folgenden: „Das wichtigste ist, sich selbst treu zu bleiben.“ oder „Solange man sich treu bleibt, ist ja alles gut.“ Dabei hasse ich es, solche Sätze zu hören. Ich hasse es, da sie meiner Meinung nach häufig leichtfertig gesagt und darüber hinaus häufig nicht als guter Rat, sondern als Selbstschutz formuliert und ausgesprochen werden.
Sätze, wie die obigen, sind als Selbstschutz gedacht, da man mit ihnen fast jedes Verhalten, ob im Guten oder im Schlechten, rechtfertigen kann. Man kann alles rechtfertigen, da man mit einem Schulterzucken und dem Satz: „So bin ich halt, und ich bin zufrieden mit dem, was ich bin.“ jedes an den Tag gelegte Verhalten, zumindest scheinbar, entschuldigen kann. Der Satz bringt nämlich vordergründig zum Ausdruck, dass das, was man tut, der eigenen Identität entspringt und man ebendiese nicht hinterfragen möchte. Doch, nicht nur das. Darüber hinaus benutzen viele Menschen Sätze, wie die obig formulierten, wenn sie sich nicht ändern und an geänderte Lebensumstände anpassen wollen. Sie wollen sich und ihre Lebensumstände nicht ändern, auch wenn die Welt um sie herum zusammenbricht und sie einen Teil der Schuld daran tragen, da es dann erforderlich wäre, dass sie sich selbst anpassten oder vielleicht sogar, ein Stück weit, in ihrem Leben zurücktreten müssten. Der Grund dafür ist, dass man, wenn man die obigen Sätze wirklich lebt, zum Teil nicht mehr in der Wirklichkeit lebt, sondern in selbst erschaffenen Realitätsblasen, in denen man tun und lassen kann, was man gerade mag.
Den Irrsinn von Aussagen, wie den oben formulierten, kann man gut daran erkennen, dass selbst ein Rassist seine Überheblichkeit gegenüber Menschen, deren Haut eine andere Pigmentierung aufweist oder die eine andere Religion leben, mit der Aussage „Solange man sich selbst treu bleibt, ist ja alles gut.“ rechtfertigen kann. Für ihn bedeutet diese Aussage nämlich nur, dass er ein Rassist ist, da er sich und seiner „Rasse“ treu ist und sie in seinen Augen, eben gesellschaftlich über anderen steht. Dabei ist ihm egal, ob die Wirklichkeit ihm recht gibt, denn schließlich ist er, er selbst, wenn er seine „Gedanken und Überzeugungen“ lebt. Selbst Adolf Hitler hätte sein Handeln und die Führung seines Vernichtungskrieges, bei dem es keine Rücksicht gab und der bis zum bitteren Ende geführt wurde, mit der Aussage: „Das Wichtigste ist, sich selbst treu zu bleiben.“ rechtfertigen können. Der Grund dafür ist, dass er mit dieser Aussage einfach nur zum Ausdruck gebracht hätte, dass es für ihn, in der Rassen- und Kriegsfrage, kein Zurück gibt, sondern nur den Weg voran. Den Weg voran, bis zum totalen Sieg oder bis zum bitteren, endgültigen Ende.
In diesem Kontext hat die Aussage, dass man sich selbst treu bleiben soll, etwas fatalistisches. Nicht das man mich jetzt falsch versteht, ich möchte keinesfalls sagen, dass alle Menschen, die versuchen „sich selbst treu zu bleiben“ Fatalisten oder Rassisten sind. Nein, dass möchte ich wahrlich nicht. Was ich stattdessen zum Ausdruck bringen möchte, ist, dass man, wenn man sich selbst dabei ertappt, Aussagen dieser Art zu tätigen, einmal innezuhalten und sich selbst bzgl. des Grundes, für die Aussage, hinterfragen sollte. Man sollte sich dann selbst einmal ehrlich fragen, ob man den Satz nur als Selbstschutz sagt, da man eben mit ihm sein eigenes Gewissen beruhigen oder gar einen, eigentlich schon selbst als falsch erkannten, Lebensweg bzw. eine Lebensart, rechtfertigen und verteidigen möchte. Vielleicht dient die Aussage einem auch nur dazu, sich selbst nicht an geänderte Lebensumstände anzupassen oder aber, selbst geschaffene Realitätsblasen nicht verlassen zu müssen, um sich einmal wirklich bewusst und ehrlich mit den Konsequenzen der eigenen Handlungen und der eigenen Lebensweise auseinandersetzen zu müssen.
Ehe mir jetzt aber jemand unterstellt, dass ich generell etwas dagegen hätte, dass man sich selbst treu bleibt, muss ich auch zum Ausdruck bringen, dass es viele Situationen gibt, in denen man sich selbst treu bleiben sollte, da man sonst zu einer Marionette anderer werden kann, wenn man nicht gar zu einem Spielball der gesellschaftlichen Gezeiten wird. So sollte man seine Überzeugungen leben und nicht klein beigeben, nur weil andere das Fordern oder weil das Leben, ohne die eigenen Prinzipien, einfacher wäre. Doch sollte man seine Prinzipien hinterfragen, wenn das Ausleben von ihnen zulasten der Umwelt oder anderer Lebewesen geht. Man sollte sich mit dem eigenen „Ich“ und der eigenen Lebensweise immer aktiv auseinandersetzen und sich fragen, ob man nicht leichtfertig anderen oder der Umwelt Schaden zufügt. Man sollte sich wirklich kritisch hinterfragen, wenn man sich selbst sagen hört, dass „alles in Ordnung ist, solange man sich selbst treu ist.“, denn meistens benutzt man solche Aussagen dazu, dass eigene Gewissen zu beruhigen, um sich nicht selbst hinterfragen, zu ändern oder eventuelle Irrwege, die man nicht bewusst wahrhaben möchte, verlassen zu müssen.
Vielleicht wäre es am besten, wenn man solche Sätze einfach gar nicht mehr benutzt, sondern aktiv begründet, warum man auf diese oder jene Art und Weise lebt und handelt, anstatt jede Lebensart und Lebensweise mit dem „sich selbst treu bleiben“ zu verteidigen und dadurch nicht mehr über sich selbst zu reflektieren?
In diesem Sinne bleibt mir, an Sie, werten Leser, zu appellieren, sich nicht einfach nur „treu zu bleiben“, sondern sich und ihr Leben aktiv zu hinterfragt. Hinterfragen Sie sich und ihr Leben, um anschließend so zu leben, dass Sie andern Lebewesen und der Umwelt möglichst wenig Schaden zufügen. Leben Sie nach ihren Überzeugungen, aber reflektieren Sie immer im ethischen und moralischen Kontext über ihr Handeln, um sich und ihr Leben an neue wissenschaftliche Erkenntnisse und eine sich verändernde Umwelt anpassen zu können. Kurz: „Nur Ignoranten und die ewig Gestrigen bleiben sich immer treu!“