Zum Inhalt springen

Eine Nacht unterm Sternenhimmel

Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten

Es war Dezember und wir waren im Nachbarort auf dem Weihnachtsmarkt gewesen. Auf den Weihnachtsmarkt blieben meine Freundin und ich dann länger als gedacht, so dass wir uns, als bereits die Nacht hereingebrochen war, zu Fuß auf den Nachhauseweg machten. Wir gingen zu Fuß, da es bereits so spät war, dass keine Züge mehr fuhren.
Wir liefen los und ließen sowohl den Weihnachtsmarkt, als auch den Ort hinter uns. Unser Nachhauseweg führt uns, auf einem Rad- und Wanderweg, durch verschiedene Felder und ein Waldstückchen. Der Weg war zwar nicht beleuchtet, wodurch wir durch die dunkle Nacht liefen, doch war dies der kürzeste Weg und wir hatten die Hoffnung, wenn wir ihn zügig begingen, in etwa einer Stunde zuhause zu sein. Da es uns mit voranschreitenden Weg kälter und kälter wurde, stellten wir bald alle Gespräche ein und zogen stattdessen unsere Mützen tief in die Stirn und unsere Schals bis vor die Nase. Kurz, wir packten uns so ein, dass das einzige, was von unseren Körpern noch exponiert dalag, ein Schlitz zwischen Mütze und Schal war, der unsere Augen freiließ.
So schritten wir durch die Nacht, bis ich plötzlich, nachdem wir etwa die Hälfte unseres Heimweges zurückgelegt hatten, wegrutschte und nach hinten hinschlug. Einen Moment lang lag ich benommen da und sah in den Nachthimmel, während sich meine Freundin neben mir hinkniete und fragte, ob mit mir alles in Ordnung sei. Doch das, was sie sagte, nahm ich gar nicht bewusst wahr. Stattdessen blickte ich in den Nachthimmel, der sternenklar war. Ich war fasziniert von dem Funkeln der Sterne, wobei auch einige menschengemachten Objekte ihre Leuchtspuren am Himmel hinterließen. Als ich so dahingestreckt dalag, fragte ich mich, wann ich das letzte Mal bewusst innegehalten hatte, um mir den Nachthimmel, mit all seinen Sternen, anzuschauen. Mir wurde bewusst, dass das letzte Mal bewusst innehalten und in den Sternenhimmel blicken, in meiner Kindheit gewesen war. Als ich so an meine Kindheit zurückdachte und wie ich in ihr in den Nachthimmel blickte, meinte ich mich zu erinnern, dass man damals noch mehr Sterne und diese auch besser sehen konnte, da die menschengemachte Lichtverschmutzung noch nicht das jetzige Ausmaß angenommen hatte.
Schließlich stand ich mit der Hilfe meiner Freundin auf, zog den Schal von meinem Mund weg und sagte zu meiner Freundin, die fragte, ob mit mir alles in Ordnung sei: „Mir geht es gut.“, um nach einem Moment des Zögerns, in dem ich in den Nachthimmel schaute, zu fragen: „Wann haben wir bzw. wann hast du das letzte Mal bewusst in den Nachthimmel geschaut und einfach die Wirkung des Nachthimmels, mit all seinen Sternen genossen?“ Darauf sah sie mich verwundert an, als überlegte sie, ob mit mir wirklich alles in Ordnung sei. Doch schließlich antwortete sie: „Das ist schon Jahrzehnte her. Warum sollte ich mir auch immer noch die Sterne bei Nacht betrachten? Dort, am Nachthimmel, ändert sich doch ehe kaum etwas!“ „Das sich physisch kaum etwas ändert, mag ja stimmen. Doch hast du noch nie in den Nachthimmel geblickt und einfach geträumt oder dich gefragt, was für Welten und Sonnensysteme, von denen die Sterne künden, es da draußen im Weltall gibt? Hast du dir mal überlegt bzw. vor Augen geführt, wie klein doch eigentlich die eigene, menschliche Existenz ist?“ erwiderte ich. Darauf meinte meine Freundin: „Ich glaub, der Sturz ist dir nicht gut bekommen. Diese Fragen und Träumereien habe ich, so wie eigentlich auch du, in meiner Kindheit hinter mir gelassen, da sie einem nichts bringen. Man muss im hier und jetzt, in der Wirklichkeit, leben und nicht in den Sternen, die kein Essen auf den Tisch bringen und einem auch im Leben nicht weiter.“ „Wann bist du nur so rational geworden? Wann hast du aufgehört zu träumen und die Welt und das Leben romantisch zu sehen? Wann hast du aufgehört, die Welt mit Kindesaugen zu sehen?“ „Ich glaube, du spinnst! Los komm, lass uns nachhause gehen, mir wird kalt.“ Sprach meine Freundin und zog mich mit sich, so dass wir unseren Weg fortsetzten.
Schließlich, ausgekühlt und in einer zweifelhaften Gemütslage, kamen wir zuhause an. Meine Freundin begab sich gleich zu Bett, um sich in ihm aufzuwärmen und sie wollte auch mich dazu animieren, damit wir uns noch etwas gegenseitig wärmen könnten. Doch ich wollte noch nicht. Stattdessen ging ich auf den Dachboden, setzte mich bei ausgeschaltetem Licht unter ein Dachfenster und betrachte die wenigen Sterne, die ich trotz meines begrenzten Sichtfeldes und der Lichtverschmutzung des Dorfes sah. Ich saß Stunden da und fragte mich, was für ein Mensch aus mir geworden war, dass ich so lange nicht mehr bewusst die Sterne wahrgenommen und scheinbar auch aufgehört hatte zu träumen.

Ich fragte mich, ob ich doch auch nur zu einer menschlichen Maschine geworden war, die einfach nur noch in Routinen arbeitete und lebte. Ich fragte mich, ob das Leben, das ich führte, überhaupt das Leben war, das ich führen wollte.

Published inErzählungen

Diese Webseite verwendet nur technische Cookies, die zur Funktion der Webseite notwendig sind. Durch die weitere Nutzung der Seite stimmst du ihrer Verwendung zu. Weitere Informationen

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn du diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwendest oder auf "Akzeptieren" klickst, erklärst du sich damit einverstanden.

Schließen